Gorleben soll Vorzugsbehandlung bei Endlagersuche erhalten

Ute Vogt und Wolfgang Renneberg bei der Vorstellung des Gutachtens. Bild: S. Duwe

Ex-Ministerialdirektor Wolfgang Renneberg kritisiert Demokratiedefizit im Entwurf des Umweltministeriums

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Bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle versucht Umweltminister Röttgen, das Vertrauen der Menschen im Wendland zurückzugewinnen. Weil Demokratie vom Dialog lebe, besuchte der Minister im vergangenen Jahr die aufgebrachten Endlagergegnger - auch um sie zu überzeugen, dass man Gorleben deswegen erkunde, um "die Nichteignung von Gorleben zu ermitteln". Geglaubt hat ihm das vor Ort kaum einer, aber nach außen hin konnte sich Röttgen als ein Minister darstellen, der sich auch schwierigen Gesprächen mutig stellt. Der aktuelle Gesetzentwurf aus seinem Hause zur Endlagersuche, der Telepolis vorliegt, dürfte aber die Kritiker in Gorleben bestätigen.

Untersuchungsausschuss am 13. 9. 2010 zur Beweisaufnahme in Gorleben. Bild: DBT/Melde

Ziel des umstrittenen Gesetzentwurfs ist es, "in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren" einen Endlagerstandort zu finden. Um dieses Ziel zu erreichen, will der Umweltminister gleich zwei neue Institutionen ins Leben rufen: ein "Bundesinstitut für Endlagerung" und eine "Ethikkommission Sichere Entsorgung". Während die Ethikkommission vor allem "zur ganzheitlichen periodischen Begutachtung der verantwortungsethischen Entscheidungsgrundlagen" beitragen und damit wohl vor allem in bewährter Tradition zur Beruhigung der Bevölkerung dienen soll, kommt dem Bundesinstitut eine gewichtige praktische Bedeutung zu.

Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass der Gesetzentwurf dem Bundesinstitut eine ganze Reihe von Aufgaben bei der Endlagersuche zugewiesen wird, während das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), welches eine große Expertise in Fragen der Endlagerung besitzt, lediglich in einer Fußnote unter der Rubrik bisherige Aufgabenverteilung erwähnt wird. Durch das Gesetz wird ihm auch keinerlei Kompetenz bei der Endlagersuche zugewiesen - nicht einmal im wissenschaftlichen Bereich. Es ist kein Geheimnis, dass das BfS aufgrund seiner kritischen Haltung in der Koalition als äußerst unbeliebt gilt.

Laut dem vorliegenden Gesetzentwurf vom 2. Februar soll das Bundesinstitut Entscheidungs- und Beurteilungsgrundlagen für die Suche nach möglichen Standorten für das Endlager und einen anschließenden Standortvergleich erarbeiten. Dazu gehören die allgemeinen Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung, Entscheidungsgrundlagen zur Rückhol- und Bergbarkeit der Abfälle, aber auch "geowissenschaftliche und raumplanerische Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen im Hinblick auf die Eignung für die Endlagerung". Diese Entscheidungsgrundlagen sollen anschließend in Form eines Gesetzes von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Sind die Entscheidungsgrundlagen getroffen, soll das Bundesinstitut auf dieser Grundlage geeignete und ungeeignete Standorte für ein Endlager benennen. Es folgt dann eine obertägige Untersuchung der in Frage kommenden Standorte. Ist diese abgeschlossen, schlägt das Bundesinstitut je nach den Ergebnissen Standorte vor, die zusätzlich auch untertägig erkundet werden.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen bei der Besichtigung des Erkundungsbergwerks Gorleben am 2.12.2010 mit Wolfram König, dem Präsidenten des Bundesamts für Strahlenschutz. Bild: BMU

Der Gesetzentwurf sieht dabei ausdrücklich die Möglichkeit vor, an dieser Stelle des Verfahrens auch Gorleben wieder ins Spiel zu bringen - der Salzstock würde dann die Prüfung auf Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen überspringen. Im Entwurf heißt es dazu:

Den Auswahlvorschlag für die untertägig zu erkundenden Standorte legt das Bundesinstitut dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vor. Die Bundesregierung bringt nach Vorlage des Auswahlvorschlages den Entwurf für ein Gesetz ein, das die untertägig zu erkundenden [ein oder… Standort(e) (ggf. zusätzlich zu dem Salzstock Gorleben)] auswählt und ausweist. Über diesen Gesetzentwurf entscheiden Bundestag und Bundesrat.

So könnte es sein, dass nur ein Standort die Vorauswahl übersteht - und dann Gorleben als Alternativstandort ohne Prüfung auf Ausschlusskriterien als Alternative wieder ins Spiel gebracht wird. Dies ist bemerkenswert, da Experten bereits ausreichend Gründe bekannt sind, um Gorleben als guten Endlagerstandort schon heute für ungeeignet zu erklären. Schon lange hält das BfS das Aus für Gorleben für denkbar - wegen Gaseinschlüssen im Salzstock.

Nach Abschluss des Standortvergleichs soll das Bundesinstitut schließlich auf Basis der dann durchgeführten Langzeitsicherheitsanalysen "unter Berücksichtigung sämtlicher öffentlicher Belange" einen Endlagerstandort vorschlagen. Neben Sicherheitsaspekten sollen dabei insbesondere die Akzeptanz der betroffenen Öffentlichkeit und "sozioökonomische Belange" berücksichtigt werden. Der Vorschlag des Instituts soll dann schließlich vom Umweltministerium geprüft und von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.

SPD spricht von einem "Gorlebenfindungsgesetz"

In einem Gutachten für die SPD-Fraktion kritisiert Wolfgang Renneberg, der von 1998 bis 2009 die Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung des Bundesumweltministeriums leitete, den Gesetzentwurf scharf. Das Umweltministerium sehe ein Verfahren für die Endlagersuche vor, für welches die Schutzzwecke des Atomgesetzes nicht mehr gelten würden. Die Schutzziele des Atomgesetzes würden so außer Kraft gesetzt. Zudem bedürfe es keiner weiteren Genehmigung oder Planfeststellung für die Erkundung.

Das Bundesinstitut habe einen "nicht weiter überprüfbaren Beurteilungs- und Ermessensspielraum", wobei dessen Entscheidungen "praktisch unangreifbar" sind. Da das komplette Verfahren als Gesetzgebungsverfahren ausgestaltet sei, würde es einer Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte entzogen. Zudem würden die Betreiber der Atomkraftwerke von der Kostenübernahme einschließlich der Erkundungskosten befreit, da es keine Möglichkeit gibt, diese zur Übernahme von Kosten zu verpflichten, die der Vorbereitung von Gesetzen dienen. Weiterhin fordert Renneberg, dass sich Gorleben dem gleichen Verfahren stellen muss, wie die anderen Standorte auch.

Auch die Einrichtung des Bundesinstituts selbst kritisiert Renneberg. Denn während das BfS dem Umweltminister und dieser wiederum dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist, würde das Bundesinstitut keiner fachlichen Kontrolle gegenüber der Regierung unterliegen. Der Bundestag sei jedoch mit seinen bisherigen Möglichkeiten nicht in der Lage, diese Kontrollfunktion zu übernehmen. In der Konstruktion des Instituts sieht Renneberg daher ein Demokratiedefizit. Zudem bestehe keine Notwendigkeit, das Bundesinstitut überhaupt zu schaffen.

Ute Vogt, die für die SPD im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages sitzt, hält den Entwurf aus dem Umweltministerium für ein "Gorlebenfindungsgesetz", dabei sei der Standort "juristisch, politisch und geologisch tot".

Tatsächlich kam auch ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass es möglich ist, Gorleben ganz aus dem Standortauswahlverfahren auszuschließen. Es gebe ausreichend sachliche Gründe dafür, Gorleben anders zu behandeln als andere Standorte. Greenpeace hält den Ausschluss von Gorleben darüber hinaus für notwendig, da ansonsten die Aufstellung der Sicherheitskriterien kompromittiert sei, "da jede Aufstellung von Sicherheitskriterien immer auch zugleich eine Entscheidung über die Eignung oder Nichteignung des Standortes Gorleben sei."

Auch Wolfgang Renneberg hält den Ausschluss von Gorleben aus der Endlagersuche für möglich. Wenn er ausreichend begründet wird, gebe es keine rechtlichen Probleme dies zu tun. Dorothée Menzner, die energiepolitische Sprecherin der Linkspartei, forderte, im Endlagergesetz auch direktdemokratische Beteiligung der Bürger vorzusehen.