Grashüpfer auf Acid

Der japanische Musikclip-Produzent Hiroyuki Nakano hat mit "Stereo Future" endlich seinen zweiten Spielfilm vorgelegt

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Auf dem diesjährigen Filmfest der Berlin Beta waren wieder einmal sehr viele Produktionen aus Asien am Start. Eine japanische DV-Reihe zum Thema "Liebe" ergänzte das Programm, sowie vereinzelte Filme aus dem Reich der Sinne. Darunter Kazushi Watanabes "19", der im aktuellen ResAlert als grosse Entdeckung gefeiert wird. Aber auch Hiroyuki Nakanos "Stereo Future: SF Episode 2002".

Willkommen in der nicht allzu fernen Zukunft! (Still aus "Stereo Future")

Selten hat ein Film in letzter Zeit gleich zu Beginn dazu beigetragen, dass man sich entspannt zurücklehnt, ohne eine passive Rezipientenhaltung einzunehmen. Mit einer langen Kamerafahrt auf einer Bahn durch japanische Sommerwälder tauchen wir in "Stereo Future" ein: Sattes grün, sanftes Licht und eine weise, geistreiche Erzählerstimme, die sich über das Alltagschaos stellt und eine universelle Perspektive eröffnet. Den musikalischen Teppich liefert eine post-klassische Adaption von klassischer Musik. So geschmackvoll, so stilsicher hat man es schon lange nicht mehr gehört. Vorallem auch nicht als Kombination von ambientösem Atmo-Soundtrack und vergeistigter Drahtseil-Appropriation.

Ein Replikant des Zukunftsministers Towa Tei darf hier natürlich nicht fehlen (Still aus "Stereo Future")

Der Eklektizismus des Films, in dem es auch Heavy Metal, sexy Techno-House und Folklore zu jeweils "passenden" Bildern hagelt , deutet sich hier schon an. Vor allem aber auch, dass der Regisseur ein unsäglich sensibles Händchen dafür hat, höchst disparate Kontexte miteinander zu verweben, ohne dabei seine Handschrift zu verlieren. Es bleibt ein durchgängig temporeicher Film, mit zeitgeistig durchdesignten Oberflächen, coolen Locations und hippen Darstellern. Kein Wunder, dass auch der Technoproduzent Towa Tei an irgendeiner Stelle in einem Club auftaucht, wo Beatmungsgeräte der einzige und letzte Kick der Club-Kids sind.

mweltaktivismus auf höchstem Niveau und an der Schnittstelle zu den Massen (Still aus "Stereo Future")

Zu diesem Zeitpunkt ist der Film bereits fortgeschritten. Wir haben eine Odyssee absolviert. Favorisierte Fortbewegungsart: Hyper-Montage. Vom Zug, in einen S/W Samurai-Streifen, dann plötzlich in ein kunterbuntes Set hineingemorphed, wo irgendwelche Komiker vom Tonsetzer mittels Verzerrungsverfahren durch Stimmlagen-Up&Downs manövriert werden. Zeit zum Durchatmen gibt's erstmal nicht, doch langsam schält sich eine Geschichte heraus, die um ein Paar herum angelegt ist. Er ist Darsteller in Samurai-Filmen (das dritte SF: Samurai Fighter), sie (das vierte SF: Silent Female) beginnt unsere Umwelt auf ihren Sinn und Ursprung zu hinterfragen. Neben Privatsspähre, Set und Filmstudio ergibt sich so eine Parallelerzählung in den Räumen einer Sendeanstalt, wo in der Abwesenheit des Abteilungsleiters umweltaktivistische Inhalte auf das Programm gesetzt werden. Unvermittelt taucht auch ein Baumdoktor in ihrem Leben auf und bringt es ordentlich durcheinander.

Hauptdarsteller Masatoshi Nagase in seiner Rolle als Samurai-Schauspieler-turned-Barmanager (Still aus "Stereo Future")

Dieser Themen-Mix hört sich erstmal nach nichts absolut Neuem an. Ähnliches hätte schliesslich auch Sogo Ishi in einen seiner Filme Mitte der 90er einfließen lassen können. Doch Referenzen sind erstmal in einem Bereich zu suchen. In erster Linie in Nakanos eigener Arbeit. "Stereo Future" ist nämlich eine Art Fortsetzung zu "Samurai Fiction" (1998), der seinerzeit in Japan für viel Furore gesorgt hat. Als S/W-Kostümfilm vermochte "Samurai Fiction" das prä-moderne Leben eines Samurai mit der visuellen und tonalen Energie einer PunkRock-Platte zu erzählen. Paul Smith war prompt fasziniert und widmete Nakano ein T-Shirt.

Samurai-Referenzen durchziehen den gesamten Film und eröffnen somit Vergangenheitsdiskurse auf unterschiedlichsten Leveln (Still aus "Stereo Future")

Die Begeisterung, die angesichts von "Samurai Fiction" aufkam, hatte aber auch etwas damit zu tun, dass es Nakanos Spielfilm-Debut war. Der 1958 in Hiroshima Geborene begann im Alter von 22 Jahren seine Karriere beim Fernsehen, im Zuge dessen er eine Produktionsfirma gründete und u.a. für Sakamoto Ryuichi Videokunst kreierte. In den 90ern begann er verstärkt sich der Musik-Clip-Industrie zuzuwenden und produzierte Kurzfilmchen für u.a. Dee Lite, Blankey Jet City und Towa Tei. Nakano ist somit ein weiterer Regisseur, der nicht nur die visuelle Sprache des Musikclips in den Spielfilm importiert, sondern mit seiner Erfahrung im besagten Genre auch neue Standards im Kino zu setzen vermag.

Neben Leuten wie Spike Jonze und Mike Mills ist Nakano ein ernstzunehmender Quereinsteiger im Big Business der großen Leinwand. Sicherlich auch, weil er einen anderen kulturellen Background hat. Wir hoffen auf eine Stereo Future.