Griechenland: 99 Jahre Ausverkauf - alternativlos

Seite 2: Politik der Alternativlosigkeit

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Es gab wie mittlerweile neben der ständigen Gesetzgebung im eigentlich als Ausnahme vorgesehenen Eilverfahren üblich zum Abschluss eine namentliche Abstimmung. Wie erwartet stimmte die Opposition geschlossen gegen das Gesamtpaket. Es gab bei einigen der mehreren hundert Artikeln Abweichungen. Nicht alle Gesetze des umfangreichen Pakets sind vollkommen negativ.

Lediglich die Abgeordneten der Goldenen Morgenröte stimmten geschlossen mit Nein, die Regierungsfraktionen des SYRIZA und der Unabhängigen Griechen sagten zu allem "Ja". Bereits im Vorfeld der Abstimmung versuchten sie die empfundene Alternativlosigkeit des Votums mit unterschiedlichen, teilweise lachhaften Ausreden zu entschuldigen. Der eine meinte, er würde mit tiefen Trauergeheul die Zustimmung geben. Sehr viele bedauerten, dass es keine Alternative zu dem eingeschlagenen Weg gäbe. Wieder andere erklärten allen Ernstes, dass nunmehr mit den Beschlüssen des Mammutpakets die Zeit der Sparmemoranden vorbei sei.

Die frühere PASOK-Politikerin und Schauspielerin Anna Vagena demonstrierte ihren bereits öffentlich im Parlament geäußerten Unmut dadurch, dass sie sich mehrfach zur namentlichen Abstimmung aufrufen ließ. Sie war für einige Minuten verschwunden.

Als letzte aller Abgeordneten war nach dem letzten Aufruf Vasiliki Katrivanou an der Reihe. Bis dato war die seit 2012 im Parlament sitzende Psychologin und Aktivistin für ihre Partei die Beauftragte für Menschen- und Gefangenenrechte. Zu den Erfolgen Katrivanous gehören die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare, die Lockerung der Haftbedingungen für kranke Inhaftierte und das Stützen der Rechte von Suchtkranken. Auf Katrivanou sprachen zu diesem Zeitpunkt Fraktionskollegen ein, offenbar sollte sie umgestimmt werden. Im Plenum war es laut. Die übrigen noch dort befindlichen Abgeordneten plauderten und diskutierten wild über Politik aber auch über ein gerade beendetes Basketballspiel der Erzrivalen Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen.

Plötzlich trat eine Totenstille ein. "Ja zum Gesetz, nein zu den Artikeln, welche den Kostendämpfer und den Ausverkauf des Staatseigentums betreffen", kam es aus Katrivanous Mund. Stunden später verkündete sie, wie von der Partei gefordert den Rückzug aus allen politischen Ämtern und den Rücktritt vom Parlamentssitz. Ihr Nachfolger wird als Nachrücker der Sprecher des Regierungsausschusses für Flüchtlingsfragen, Giorgos Kyritsis.

Katrivanou betonte bei der Begründung ihres Rücktritts, dass sie nicht zum Dr. Faust der Linken werden wolle. Sie könne in der Politik der Partei keine der linken Werte mehr erkennen, für welche sie einst eingetreten sei. Aber auch sie bewertete den aktuellen Kurs, mit dem Maßnahmen gegen die Grundwerte der Linken umgesetzt werden, als alternativlos.

Ausverkauf für 99 Jahre - das Parlament entmachtet

Kaum ein Artikel des gesamten Pakets war so umstritten, wie die Verpfändung nahezu sämtlicher staatlicher Besitztümer. Dass die Akropolis in Athen, deren Ticket für Besucher unter Tsipras von zehn auf zwanzig Euro verdoppelt wurde, noch von der Verpfändung ausgenommen ist, bleibt ein schwacher Trost.

Finanzminister Euclid Tsakalotos. Bild: W. Aswestopoulos

Mit dem Artikel wurde die bisherige Treuhandanstalt Griechenlands, TAIPED - Hellenic Republic Assets Development Fund - beinahe obsolet. Sie besteht weiter für den Rest ihrer sechsjährigen Laufzeit und soll die ihr bislang übertragenen Immobilien privatisieren. Dazu gehören auch die immer wieder verschobenen Verkäufe des alten internationalen Flughafens von Athen, Elliniko, der Luxushotelanlage Asteras Vouliagmenis, von Campingplätzen im gesamten Land und von olympischen Sportanlagen.

Tatsächlich kommen seit Sonntag alle staatlichen Firmen, Besitztümer und Liegenschaften unter die Verwaltung einer Firma, einem neuen Privatisierungsfonds, deren Verwaltungsrat aus fünf Mitgliedern besteht. Zwei der Fünf sind Vertreter der Kreditgeber. Der Fonds behält laut Gesetz für 99 Jahre das Eigentum und auch das Recht des Verkaufs für den Staatsbesitz. Zu den knapp 71.500 übertragenen Immobilien soll sogar Tsipras Amtssitz, Maximos Mansion, zählen. Der Amtssitz wurde dem Staat einst von einem reichen Gönner übertragen.

Aufgrund von Protesten aus der eigenen Fraktion wurden von der Regierung die Staatsfirmen für Gas, Wasser und elektrischen Strom vorläufig ausgenommen. Das Gleiche gilt unter anderem für die Briefpost und den öffentlichen Personennahverkehr.

Allerdings ist dies trügerisch. Laut nun gültigem Gesetz können die betreffenden Firmen jederzeit per Ministerentscheid und ohne Kontrolle des Parlaments übertragen werden. Das Parlament ist künftig faktisch entmachtet und hat auch bei den Verkäufen von Staatseigentum kein Mitspracherecht mehr. Es wird lediglich informiert und kann seine Meinung kundtun.

Um die zentrale olympische Sportanlage bei Maroussi, wo das Olympiastadion Athens ist, gab es dagegen einen surrealen Streit. Die Anlage wurde der neuen Privatisierungs- und Verwaltungsgesellschaft übertragen, obwohl sie nicht zum Staatseigentum zählt. Sie ist vielmehr Eigentum des Nationalen Olympischen Komitees und wurde von diesem an Vereine verpachtet. Das NOK droht mit dem Gang vor nationale und internationale Gerichte. Letztendlich wurde die strittige Anlage mit einer am Wochenende eingereichten "gesetzestechnisch verbessernden Änderung" von der Übertragung der Eigentumsverhältnisse ausgenommen.

Das Finanzministerium verteidigt sich. Es behauptet, dass es sich nicht um Privatisierungen, sondern um Nutzungen handeln würde. Die 99 Jahre Laufzeit seien eine international übliche Praxis, heißt es.