Griechenland: Die europäische Hängepartie geht weiter

Seite 4: Europas Wähler entgleiten der Politik

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Vor wenigen Jahren noch verstanden sich viele Menschen zuerst als Europäer und dann als Angehörige ihrer Nation. Heute tun das nur noch wenige. Die Menschen stehen Europa im günstigsten Fall noch gleichgültig gegenüber, wenn nicht inzwischen gar feindselig.

Das ist eine unmittelbare Folge des Euro und der Eurokrise. Europas Wähler entgleiten der Politik. Die Bürger beginnen zu begreifen, dass die Politik in den Händen einer Bande schwülstig daher schwadronierender Politgockel liegt, die primitivste Zusammenhänge nicht begreifen und ihre Ignoranz unter einem gewaltigen Schwall leerer, aber tönender Redensarten kaschieren.

Besonders wenn es darauf ankäme, Zusammenhänge wirklich zu begreifen, reden sie meist nur dumm daher. Es ist aber auf Dauer unmöglich, ganze Länder mit blödem Gesülze zu regieren oder gar durch Krisen zu führen.

Das Urteil des französischen Historikers und Sozialwissenschaftlers Emmanuel Todd ist eindeutig: "Der Euro geht in die Geschichte ein als der Meister-Irrtum der herrschenden Eliten in Europa. Sie wussten nicht, was sie schufen - einen Zombie -, und können sich deshalb auch nicht davon lösen." Und weiter: "Tatsache ist, dass die Währungsunion Spannungen und Gegensätze in Europa auf das Äußerste verschärft hat. Der Euro bringt die Europäer gegeneinander auf. Die nationalen Währungen waren ein Instrument der Regulierung im gemeinsamen Markt, um Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Um das zu erkennen, braucht man keinen Nobelpreis für Ökonomie."

In einer Situation, in der es entscheidend auf eine fach- und sachgerechte Analyse von Vorteilen und Nachteilen einer folgenschweren währungspolitischen Entscheidung ankäme und nicht auf eine romantische Heraufbeschwörung blühender Landschaften, versteigen sich die Politiker zu ebenso emotionaler wie banaler Europa-Euphorie, beschworen Schreckensvisionen vom 2. Weltkrieg und zelebrierten feierlich und in gestelzten Reden die allgemeine Hoffnung auf Friede, Freude und auch besonders viel Eierkuchen.

Viele Befürworter des Euro setzen nun einmal die Befürwortung des Euro mit der Begeisterung für die europäische Einigung gleich und verstehen ihre eigene Rolle als die einer Avantgarde. Doch sie sind nicht die Avantgarde einer europäischen Friedensordnung. Sie sind ihre Totengräber. Und die Politik, die sie betreiben, ist klar gegen die Interessen breiter Bevölkerungsschichten gerichtet.

Viele Menschen in den meisten Ländern Europas müssen einschneidende Einbußen an Einkommen hinnehmen. Einige Länder leiden unter Massenarbeitslosigkeit. Ein Ende ist nicht absehbar. Parlamentarier, Abgeordnete, Parteifunktionäre, Regierungsbeamte und Regierungsmitglieder zählen allerdings nicht zu diesen Menschen. Denen geht es prächtig.

Die Behauptung, der Euro sei eine "Friedenswährung" oder gar der "Garant für den Frieden in Europa" ist hanebüchener Unsinn. Sachlich ist an der Euro-Friedens-Euphorie nicht einmal ein Körnchen Wahrheit. Zwischen den westlichen Staaten herrscht seit 1945 Frieden - auch ohne eine gemeinsame Währung.

Auch in den Jahrzehnten vor Einführung des Euro beherrschte die deutsch-französische Freundschaft die europäische Szene. Die Briten kämpften nicht gegen Deutsche und auch nicht gegen Franzosen, obwohl die Briten noch immer nicht den Euro haben. Die USA haben keine militärischen Konflikte mit Kanada, und Japan hat keine mit den USA, auch Südkorea nicht mit Japan. Nach 1945 zog Frieden ein in der westlichen Welt und zwar völlig unabhängig von der Währungsordnung. Der Friede in Europa und in der westlichen Welt steht auf einer sehr viel solideren Basis als der europäischen Gemeinschaftswährung.

Die Gelder, die für den Schuldendienst gebraucht werden, fehlen an anderen Stellen. Besondere Not herrscht ausgerechnet im ach so reichen Deutschland seit vielen Jahren in den Bundesländern, in Städten und Gemeinden: Deutschlands Infrastruktur verfällt rapide. In den meisten anderen Ländern der Eurozone sieht es übrigens nicht viel besser aus. Die öffentlichen Straßen und Brücken verkommen und werden zur Gefahr für ihre Nutzer, Schulen und Kindergärten verrotten, Jugendhäuser, Schwimmbäder, Krankenhäuser, öffentliche Bibliotheken, Theater, Museen, Zoos und Mütterberatungsstellen werden geschlossen - die Kommunen stehen vor dem Bankrott. Man sollte nicht vergessen: Das bei weitem am stärksten verschuldete Land Europas ist nicht Griechenland, sondern Deutschland mit 2,1 Billionen Euro.

Die demokratische Politik mit ihren unzähligen Fehlleistungen ist das Geld nicht wert, das sie fehlleitet und verprasst. Eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung der entwickelten Demokratien muss zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, dass ihr Nutzen gering ist und ihre Kosten immens sind.

Wozu überhaupt soll das System der demokratischen Repräsentation noch gut sein, wenn das Volk in ihm nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und die Entscheidungsprozesse ein ständiges Ärgernis sind?

  • Etwa um den staatlich finanzierten, aus eigener Kraft gar nicht lebensfähigen Apparat der politischen Parteien am Leben zu erhalten? Der Parteienstaat ist doch das Problem, nicht die Lösung.
  • Um die in kurzen Abständen stattfindenden Wahlkämpfe mit ihren Schaugefechten und Scheinalternativen auf Kosten der Steuerzahler bis in alle Ewigkeit fortzuführen? Sie sind ein weiteres Problem, aber keine Lösung.
  • Um möglichst viele Parlamentarier in Bund, Ländern und Kommunen in Brot und Arbeit zu halten? Sie sind das Problem, nicht die Lösung.
  • Um möglichst viele Parlamente mit vielen hundert Abgeordneten zu unterhalten, in denen permanent Scheindebatten fürs Fernsehen geführt und am Ende Regierungsentscheidungen doch nur gehorsam abgenickt werden? Sie sind ein Riesenproblem und ganz gewiss nicht die Lösung.
  • Oder gar um wegen der alle paar Monate stattfindenden Wahlen damit zurechtkommen zu müssen, dass die Politik monatelang paralysiert und entscheidungsunfähig ist, weil sie im Wahlkampf steht und keine Entscheidungen trifft? Genau darin liegt ja eines der vielen Probleme, aber nicht die Lösung.
  • Um die öffentlichen Finanzen vollends zu ruinieren und die Staatsschulden weiter ständig zu erhöhen? Sie sind eines der Hauptprobleme und ganz sicherlich keine Lösung. Wahrscheinlich können die öffentlichen Schulden in repräsentativen Demokratien überhaupt nicht nachhaltig reduziert werden.
  • Um marode Wirtschaftszweige mit Hilfe von Subventionen künstlich und gegen jede wirtschaftliche Vernunft am Leben zu erhalten? Sie sind eines der Beispiele sinnloser Ressourcenverschwendung in entwickelten repräsentativen Demokratien. Aber gewiss keine Lösung.
  • Um dafür zu sorgen, dass viele tausend Lobbyisten auch unter den Parlamentariern stets einen Ansprechpartner zu finden? Die finden die auch so.
  • Um den demografischen Wandel über uns hinwegrollen zu lassen und die dringend benötigte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland weiterhin mit populistischen Latrinenparolen zu bewältigen? Nein, man braucht ja auch keinen Fußpilz.
  • Um die Städte, Gemeinden und Landkreise endgültig in den Ruin zu treiben? Natürlich nicht.
  • Um weiterhin jede wirklich dringend erforderliche Reform in endlosen Gremiensitzungen und überflüssigen Palavern bereits im Keim zu ersticken und die Politik des haltlosen Wurschtelns bis ans Ende aller Tage fortzuführen? Sicherlich nicht.

Ja, wozu denn dann?

Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Menschen in den entwickelten Demokratien der Welt darüber nachdenken müssen, ob es Alternativen zu den erstarrten und verkrusteten Herrschaftsformen gibt, die sich ohne Fug und Recht noch immer als Demokratien bezeichnen. Sie nennen sich nur Demokratien, sind es aber längst nicht mehr. Sie schmücken sich mit einem Namen, den sie längst nicht mehr verdienen. Sie sind leere Hülsen im Gewande einer Demokratie.