Griechenland: Drogenhandel, Oligarchen und Minister

Athene und Plato über den Wundern Griechenlands: "Es gibt Momente, wo das reale Geschehen in der griechischen Politik mehr an einen südamerikanischen Drogenstaat denn an ein Mitgliedsland der EU erinnert." Foto: Sébastien Bertrand / CC BY 2.0

Frei von dubiosen Kontakten und parteipolitischer Ausschlachtung der Kriminalität ist keine der bislang an der Regierung beteiligten Parteien

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Außer der Finanzkrise hat die Nea Dimokratia unter Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis ihre vorgebliche Gesetzestreue als politisches Thema entdeckt. Das Ergebnis ist ein öffentlicher Dialog, der vor allem eines aufzeigt: Frei von dubiosen Kontakten und parteipolitischer Ausschlachtung der Kriminalität ist keine der bislang an der Regierung Griechenlands beteiligten Parteien. Alle präsentieren sich als die wahren Hüter des Gesetzes, können oder wollen jedoch nicht alle damit zusammenhängenden Fragen beantworten.

Es geht um mehr als eine vom Bürgerschutzminister Nikos Toskas verbotene Demonstration der Polizeigewerkschaft. Diese wollte mitten im Autonomenviertel Exarchia am Donnerstag für einen Tag den zentralen Platz besetzen und damit Präsenz zeigen. Die Autonomen kündigten Gegendemonstrationen an und wollten ihrerseits den zentralen Platz von Kolonaki, dem Viertel der Yuppis und Politiker, besetzen. Toskas fürchtete mitten im Hochsommer Straßenschlachten und verbot kurzerhand alle Demonstrationen im Athener Zentrum.

Die Fronten innerhalb des Landes sind so verhärtet, dass Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis Gefahr für den Staat nur von Seiten der Linken sieht. Die Goldene Morgenröte hält der Vorsitzende der Nea Dimokratia dagegen für harmlos. Er möchte, so verspricht er bei jeder Gelegenheit, für Recht und Ordnung sorgen, während die Linke lediglich Chaos und Gesetzeslosigkeit propagieren würde.

Drogenhandel ohne Verfolger

Der Tod eines elfjährigen Schülers durch eine verirrte Kugel rückte den Athener Vorort Menidi in den Fokus. Dort werden in 31 der Polizei durchaus bekannten Häusern Drogen verkauft. Die Drogenhändler, unter denen sich auch Roma, Spätaussiedler griechischer Abstammung aus der ehemaligen UdSSR, Russen und Georgier befinden, sind der Polizei ebenfalls bekannt.

Journalistische Recherchen von Fernsehsendern und Druckpresse ergaben, dass einige Polizisten, die mit einem kargen Monatslohn von maximal 1.200 Euro pro Monat sündhaft teure Sportwagen ihr Eigen nennen, offenbar doppelt, vom Staat und den Drogenhändlern, kassiert haben. Fakt ist, dass trotz des demonstrierten Aktionismus des Staats auch in der vergangenen Woche Kugeln durch die Luft flogen und eine vierzehnjährige Schülerin knapp verfehlten.

Währenddessen gehen die Anwohner von Menidi bereits zum neunzehnten Mal seit dem Tod des Elfjährigen auf die Straßen und demonstrieren gegen die Kriminalität in ihrem Viertel. Die Staatsanwaltschaft und die innere Abteilung der Polizei laden indes die Journalisten vor, die während ihrer Recherchen korrupte Polizisten entdeckten.

Kleinlaut musste Bildungsminister Kostas Gavroglou eingestehen, dass an der Aristoteles Universität in Thessaloniki ebenfalls der Drogenhandel nahezu unbehelligt walten kann. Geschützt durch das "akademische Asyl" welches das Eingreifen von Polizeikräften in Universitäten an eine Entscheidung des Rektorats bindet, verkaufen Händler ihre Drogen auf dem Campus.

Eine Schiffsladung voll geschmuggelter Zigaretten

Dass in Griechenland regelmäßig Verkäufer von geschmuggelten Zigaretten erwischt werden, ist nicht neu. Seltsam mutet allerdings an, dass nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen auf Kreta eine Schiffsladung voll geschmuggelter Zigaretten entdeckt wird, die einer bestimmten Firma zuzuordnen sind.

Die Firma SEKAP, Eigentum des Oligarchen und Fußballbosses Ivan Savvidis, sollte erst vor knapp zwei Monaten von einer Altlast befreit werden. Vor der Privatisierung des halb staatlichen, halb genossenschaftlichen Unternehmens war gegen dieses eine zweistellige Millionenstrafe verhängt worden. Die SEKAP war in Zigarettenschmuggel verwickelt.

Savvidis gab an, beim Kauf von dieser Strafe nichts gewusst zu haben. Die Regierung kam ihm entgegen und erließ dem russisch-griechischen Unternehmer und ehemaligem Duma-Politiker die Strafe. Nun muss eine Erklärung gefunden werden, warum die Kartons auf beiden Schmuggelschiffen aus dem SEKAP-Werk im nordgriechischen Xanthi stammen. Allein auf einem der beiden offiziell als Fischkutter die Meere kreuzenden Schiffen befanden sich 1.557.200 Zigarettenpackungen.

Herrenlose Drogen, der Minister, der Reeder und die Medien

Es gibt trotz alledem Momente, in denen das reale Geschehen in der griechischen Politik mehr an einen südamerikanischen Drogenstaat denn an ein Mitgliedsland der EU erinnert. Es geht ausgerechnet um Savvidis ärgsten Konkurrenten, den Reeder und Fußballboss Evangelos Marinakis.

Marinakis besitzt den Serienmeister Olympiakos Piräus. Sein Name ist in einen Wettskandal um geschobene Spiele verwickelt. Offiziell darf der familiär mit Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis befreundete Unternehmer nicht als Fußballboß auftreten, weil ein Gericht ihm dies bis zum Ende der Verhandlungen über den Wettskandal untersagt hat. Marinakis hält sich nicht daran, wird jedoch auch nicht belangt.

Savvidis hingegen besitzt den nordgriechischen Konkurrenten PAOK Thessaloniki. Sein Team errang den Pokal. Der in der Öffentlichkeit nur russisch sprechende Freund Wladimir Putins favorisiert Premierminister Alexis Tsipras. Er möchte diesem mit medialer Macht mindestens eine Dekade der Regierung ermöglichen.

Marinakis hingegen hatte Gerüchten zufolge bei den Kommunal- und Regionalwahlen 2014 im Gegenzug für das Bürgermeisteramt seines Günstlings die Wahl der Regionalpräsidentin Rena Dourou von Syriza unterstützt. Heute gehört er zu den ärgsten Kritikern Tsipras und dessen Regierung. Marinakis Zeitung und Radio Parapolitika lassen keine Gelegenheit aus, die Regierung zu kritisieren.

Beide, Marinakis und Savvidis, möchten ihre Medienmacht ausbauen. Sie kauften beide Anteile am finanziell angeschlagenen Fernsehsender Mega TV. Beim Rennen um die Printsparte des DOL-Konzerns, der die von Savvidis erworbenen Anteile an Mega besaß, machte Marinakis das Rennen. Er besitzt nun zwei Traditionszeitungen, To Vima und Ta Nea. Savvidis legte Einspruch gegen den Ausgang des spezifischen Bieterverfahrens ein.

Nea Dimokratia und PASOK werfen nun der Regierung vor, diese würde Marinakis mit dem Drogenhandel in Verbindung bringen, um diesen aus dem Mediensektor zu verbannen. Unterstützung bekommen die Altparteien dabei ausgerechnet von der Goldenen Morgenröte.

Die Regierung, ihr nahe stehende Anhänger, aber auch zahlreiche eigentlich der Nea Dimokratia näher stehende Medien bringen Marinakis mit dem größten Drogenfund Europas in Verbindung. Der Affäre um das Schiff Noor One, welches drei Tonnen reines Heroin nach Griechenland brachte.

Der Lebenslängliche

Der Fall flog im Juni 2014 auf, als die US-Amerikanische Drogenbehörde DEA in Griechenland statt der eigentlich zuständigen Polizei einen in die Provinz abgeschobenen Polizeioffizier und die Küstenwache informierte. Ohne Kenntnis der Kriminalpolizei nahm die Küstenwache auf der Noor One und dem Festland Verdächtige fest.

Insgesamt sieben der auch als Belastungszeugen auftretenden Festgenommenen, sowie zwei deren Angehöriger kamen in den letzten Jahren auf ungeklärte Weise ums Leben. Die bisherigen Verurteilungen im Fall der Noor One besagen schlicht, dass das Schiff von einem unbekannten Finanzier und Auftraggeber erworben und mit Heroin gefüllt wurde.

"Der Reeder M. ist der Hintermann", lautet kurz zusammengefasst eine der Aussagen des Unternehmers Efthymis Giannousakis. Giannousakis, in dessen Immobilien 800 Kilo Heroin gefunden wurden, ist auch in Kraftstoffschmuggel verwickelt. Es gibt Millionenüberweisungen, welche eine Geschäftsbeziehung zwischen Giannousakis und Marinakis belegen.

Der wegen Drogenschmuggels zu lebenslanger Haft verurteilte Giannousakis hat mit einem in der Haftanstalt eigentlich verbotenem Mobiltelefon den hinsichtlich seiner Methoden nicht unumstrittenen Journalisten und Herausgeber Makis Triantafyllopoulos kontaktiert.

Diesem erzählte er über Telefon zahlreiche Einzelheiten, welche Marinakis und dessen engste Mitarbeiter belasten. Die Urheberschaft am Drogengeschäft mit der Noor One, Kraftstoffschmuggel und Geldwäsche sind einige der Anschuldigungen, welche der Inhaftierte erhob und - so Triantafyllopoulos - mit Dokumenten belegen konnte.

Der Verteigungsminister Kammenos

Seit Mai 2017 veröffentlicht Triantafyllopoulos die Tondokumente zusammen mit Fotokopien der Beweisstücke. Dadurch wurde bekannt, dass Giannousakis bereits im Januar 2017 in Kontakt zum Verteidigungsminister Panos Kammenos stand. Laut Kammenos hatte Triantafyllopoulos ihn im Namen des lebenslänglich Einsitzenden darum gebeten.

Kammenos rief mit seinem persönlichen Telefon Giannousakis auf dessen Mobiltelefon im Gefängnis an. Er sorgte dafür, dass eine Staatsanwältin zu nächtlicher Stunde zwecks Aufnahme einer Aussage in die Haftanstalt Chalkida kam. Dies alles wird von keiner Seite bestritten.

Allerdings gibt es eine Aussage von Giannousakis gegenüber Triantafyllopoulos, welche den weiteren Verlauf der Geschichte äußerst kompliziert macht. Der Verurteilte kündigte an, dass er alle Aussagen widerrufen werde, wenn er und seine Familie nicht in Sicherheit gebracht würden. Er würde, sagte er damals, auch die Strafverfolger und den Minister anzeigen. Dabei würde er denen vorwerfen, dass sie ihn zu einer Aussage gegen Marinakis erpresst hätten.

Genau dieser Fall trat ein. In einem weiteren Interview, diesmal für die Zeitschrift Unfollow, widerrief er alle Aussagen und erklärte dagegen Kammenos, Triantafyllopoulos und die Justiz zu Erpressern. Gleichzeitig stellte er Strafanzeigen.

Parlamentarische Anfragen

Somit gibt es nun zwei, sich diametral widersprechende Aussagen von Giannousakis. Die Nea Dimokratia, die PASOK und die Goldene Morgenröte nahmen dies zum Anlass, parlamentarische Anfragen mit Beschuldigungen an Verteidigungsminister Kammenos und Justizminister Stavros Kontonis zu richten

Kammenos verteidigte sich mit Hinweis auf seine Bürgerpflicht, gegen Drogenhändler vorzugehen. Der Fragesteller der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, hingegen warf Kammenos eine illegale Einmischung in die Justiz vor. Georgiadis konnte bei seiner Frage auf den detaillierten Verbindungsnachweis hinweisen, den Giannousakis von der Deutschen Telekom-Tochter OTE in die Haftanstalt gesandt bekam. Der Minister und das Telekommunikationsunternehmen hätten von der Illegalität des Mobiltelefons gewusst, meinte Georgiadis. Gleichzeitig warf er Kontonis vor, dass in dessen Haftanstalten das Chaos vorherrschen würde.

Von Seiten der PASOK bekam Georgiadis Unterstützung. Der frühere Gesundheits- und Sozialminister Andreas Loverdos sieht sogar Tsipras als Hauptverantwortlichen. Giannis Lagos von der Goldenen Morgenröte konnte dagegen bei seiner Parlamentsrede mit bislang unbekanntem Detailwissen zu den Vorgängen aufwarten. Er tat dies so geschickt, dass Kontonis und Kammenos vorherige Erklärungen zumindest als unvollständig eingestuft werden können.

Der Justizminister stritt alle Vorwürfe ab. Kammenos habe verantwortungsbewusst gehandelt und das gesamte Verfahren sei bis auf Details, wie die verbotenen Mobiltelefone in Haftanstalten, vollkommen legal, meinte er. Die Opposition solle sich vielmehr fragen, wieso Belastungszeugen der Affäre um das Heroin reihenweise zu Tode kommen würden, betonte Kontonis.

Darüber hinaus griff er Georgiadis und Loverdos persönlich an. Er warf beiden vor, dass diese während ihrer Zeit im Gesundheitsministerium Günstlinge mit Jobs, Aufträgen und Rabatten versorgt hätten.

Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos bestätigte öffentlich, dass der Premier hinter seinen Ministern steht. Es sei nicht verwerflich, mit Strafgefangenen zu reden, meinte er. Die Justiz hat Giannousakis nun temporär von der Haftanstalt Chalkida nach Piräus verlegt. Dort steht er seit Mittwoch vergangener Woche Rede und Antwort.