Griechenland: Sprengsatz im Kürzungsautomatismus

Seite 2: Tsipras Hoffnung und die Angst vor der Wut der Bürger

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Er verweist unter anderem darauf, dass Griechenland für 2015 ein höheres Primärplus im Haushalt aufweisen konnte, als von den Kreditgebern erwartet wurde. Dabei übersieht er, dass diese buchhalterische Zahlenangabe maßgeblich über einen Zahlungsstopp der öffentlichen Hand bewerkstelligt wurde. Diese Maßnahme hat die Privatwirtschaft regelrecht abgewürgt. Zusätzlich dazu konnte Griechenland 2015 höhere EU-Zuschüsse als vorher kalkuliert einnehmen.

Zudem wird in der öffentlichen Diskussion in Griechenland durch die Regierung eine weitere wichtige Komponente des Mechanismus offenbar bewusst ausgeklammert. Das dritte Sparpaket des Landes läuft 2018 aus. Für die Zeit danach hat die Eurogruppe Tsipras nun das Nachdenken über Maßnahmen zur Erleichterung der Schuldenlast versprochen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Dies ist so schwammig formuliert, dass der von Tsipras ersehnte und von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble kategorisch abgelehnte Schuldenschnitt unwahrscheinlich erscheint. Gleichzeitig stellte sich Tsipras, der einst das Land aus dem Schuldendiktat heraus führen wollte, selbst ein Bein.

Letzte Rate 2060

Denn wenn der Mechanismus einmal greift, dann bleibt er bis zum vollständigen Bezahlung der aktuell existierenden Staatsschulden gültig. Alle Regierungen bis in die Sechziger des aktuellen Jahrhunderts müssten demnach Jahr für Jahr ein Primärplus von 3,5 Prozent des BIPs erzielen, oder Renten und Gehälter kürzen. Denn erst 2041 ist, wenn alles planmäßig läuft und keine weiteren Rettungsmilliarden nötig sind, ein Großteil des Kredit aus den bislang drei Rettungspaketen abbezahlt. 2060 wäre dann die letzte Rate fällig.

2013 errechnete der IWF in einer Studie, dass die bei 26 großen in den letzten drei Jahrzehnten erfolgten Schuldenreduzierungsaktionen in entwickelten Ländern im Schnitt ein Primärüberschuss von 3,1 Prozent erzielt wurde.

Zu große Erwartung eines Primärpluswertes

Belgien schaffte zwischen 1987 und 2008 einen Schnitt von 4,3 Prozent, Italien zwischen 1992 und 2008 den Durchschnittswert von 3,1 Prozent. Auf Basis der gleichen Studie wurde der grundlegende Fehler des ersten griechischen Rettungspakets, eine zu große Erwartung eines Primärpluswertes als einer der Gründe für dessen Scheitern identifiziert.

Die Regierung Giorgos Papandreous hatte Griechenlands Wirtschaftskraft zu optimistisch bewertet. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die mögliche Wirtschaftsleistung Griechenlands unter den aktuellen Rahmenbedingungen der stetigen Steuererhöhungen und nach knapp einer Dekade der Rezession höher ist, als 2010.

Potentielle Investoren könnten aufgrund der negativen Erfahrungen der letzten Jahre von einer Automatisierung von Steuererhöhungen abgeschreckt werden. Tsipras versucht mit dem Versprechen, für Großinvestoren eine Steuerlast für eine Dekade verbindlich festzuschreiben, gegenzusteuern. Inwieweit solch eine Regelung mit der griechischen Verfassung oder Wettbewerbsgesetzen im Einklang steht, ist jedoch noch unklar.

Reinen Wein einschenken

Würde die Regierung den Bürgern reinen Wein einschenken, dann müsste sie intensivere Proteste als in den drei Tagen vor der Abstimmung am vergangenen Sonntag erwarten. Um am 24. Mai eine Einigung mit der Eurogruppe zu erzielen und die Kredittranche zu erhalten, müssen jedoch die Automatisierungen des fraglichen Mechanismus vom Parlament, welches sich damit selbst entmachten würde, abgesegnet werden.

Am Sonntag zeigte sich, dass Tsipras anders als seine Vorgänger nun eine andere Front gegen sich hat. Es sind seine einstigen Parteigenossen, wie Panagiotis Lafazanis aber auch Rechtsanwälte, Wissenschaftler und Ingenieure. Die geistige Elite des Landes droht offen mit der kollektiven Auswanderung.