Griechenland: Wie autoritär ist Mitsotakis?

Seite 2: Journalistische Ethik wird überprüft – aber von wem?

Tatsächlich wurde die Polizeimeldung als Erklärung für die Vorfälle in Thessaloniki von den großen Fernsehstationen wortgetreu verlesen. Auch hier gibt es einen Hintergrund. Die Regierung hat die Polizei als zuständige Instanz für derartige Erklärungen bestimmt. Jedwede andere Version kann als Fake News bezeichnet werden.

Fake News können gerichtlich verfolgt werden, wie der jüngste Fall rund um Flüchtlinge beweist. Diese sollen, so war es Stand der Dinge im August, auf dem griechischen Staatsgebiet einer Insel im Grenzfluss Evros gewesen sein.

Die griechische Regierung behauptet stattdessen, dass die Geflüchteten auf dem türkischen Teil des kleinen Eilands gewesen sein sollen. Die Menschen mussten tagelang ausharren. Die Presse beschrieb den Fall. Gegen diejenigen, die in nationalen oder internationalen Medien geschrieben haben, dass die Menschen auf dem griechischen Teil der Insel waren, ermittelt nach Anzeige eines rechtsextremen Politikers nun der Areopag, Griechenlands oberstes Strafgericht.

Die Regierung wirft den Journalisten vor, sie würden in einer konzertierten Aktion im Sinn der Türkei und gegen die Sicherheitsinteressen Griechenlands handeln.

Das Problem der freien Berichterstattung ist, dass es der Presse nicht gestattet wird, im Grenzgebiet Griechenland zur Türkei zu recherchieren. Journalisten sind daher entweder auf Zeugenaussagen oder aber auf Videos und GPS-Daten der Geflüchteten angewiesen, oder sie müssen für investigativen Journalismus Risiken eingehen.

Ein derartiges Risiko ging Georgios Christidis von Der Spiegel ein. Er nutzte seinen Zweitjob als freier Übersetzer und gelangte so mit der Hilfsorganisation HumanRights360 ins Lager, wo die Geflüchteten vom Evros untergebracht wurden. Damit gerieten Christidis und Der Spiegel ins Visier von Immigrationsminister Notis Mitarachi. Die Hilfsorganisation darf ohne staatliche Lizenz aus dem Ministerium von Mitarachi nicht arbeiten.

Sie unterschrieb eine Erklärung, mit der sie im Gegensatz zu allen vorherigen Erklärungen die Version von Mitarachi zum Drama an der Grenze teilt. Gleichzeitig liefert HumanRichts360 Christidis ans Messer. Denn die Organisation behauptet, dass Christidis Aktion eine Einzelaktion des Journalisten gewesen sei:

"Der Eintritt eines Journalisten in das Evros-Flüchtlingslager erfolgte auf seine alleinige Initiative hin, ohne vorherige Kenntnis, Information oder Beteiligung der Verwaltung unserer Organisation. Schließlich war der oben Genannte noch nie ein Mitarbeiter oder Partner unserer Organisation, wie es im Übermittlungsdokument seines Eintrittsantrags fälschlicherweise angegeben war."

Für Christidis dürften die Folgen übersehbar sein. Wäre er bei einem griechischen Medium beschäftigt, dann sähe die Sache anders aus. Denn, anders als in der Corona-Krise, als die Regierung ohne transparente Kriterien Hilfsgelder nur an die Medien vergab, die in ihrem Sinn berichteten, soll in der aktuellen Krise ein formaljuristisch korrekter Mechanismus geschaffen werden.

Hilfsgelder, staatliche Werbung und Werbung von staatsnahen Betrieben erhalten künftig nur Medien, die im neu zu schaffenden staatlichen Register der Medien als ethisch einwandfrei eingetragen sind. Die Verbreitung von Fake News entspricht nicht der journalistischen Ethik.

Die Frage ist aber im Zweifelsfall: Wer bestimmt, ob es Fake News sind, oder nicht? Bereits jetzt gibt es ein Gesetz, das empfindliche Geldstrafen für Fake News im Internet vorsieht:

Wer öffentlich oder über das Internet Falschmeldungen veröffentlicht oder verbreitet, die geeignet sind, die Öffentlichkeit zu beunruhigen oder zu beängstigen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit oder die öffentliche Gesundheit des Landes zu erschüttern, wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monate und einer Geldstrafe bestraft.

Wurde die Tat wiederholt durch die Presse oder das Internet begangen, wird der Täter mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und einer Geldstrafe bestraft. Der tatsächliche Eigentümer oder Herausgebers des Mediums, mit dem die Handlungen der vorherigen Absätze vorgenommen wurden, wird mit derselben Strafe bestraft.


Neufassung des Artikels 191, Paragraph 1

Künftig droht auch Printmedien über das neue Register eine Einschränkung ihrer Berichtsmöglichkeiten. Die Folgen sind in der griechischen Medienwelt spürbar. Vor allem im Fernsehen treffen die Regierungspolitiker selten auf Widerspruch seitens der Journalisten.

Dadurch ist allerdings ihre Reaktionsfähigkeit auf kritische Fragen etwas eingeschränkt. Das jüngste Beispiel lieferte Stelios Petsas, in dessen Amtszeit als Regierungssprecher die Geldvergabe an regierungsfreundliche Medien während der Pandemie fiel.

"Wer sich nicht anpasst, stirbt"

Neubauten von Mietshäusern in Griechenland müssen Gasheizungen haben. Die Abkehr von Heizöl wurde in den vergangenen Jahren vom Staat forciert und auch gefördert. Der Kohleausstieg wurde von der Regierung vorgezogen.

Dadurch erhöhte Griechenland mitten in der aktuellen Energiekrise die Abhängigkeit von Gas in der Stromerzeugung. Die Preise für alternative Heizmethoden, etwa mit Holz oder Pellets sind in exorbitante Höhen gestiegen. Heizen mit Elektrizität ist ökonomisch gesehen unbezahlbar. Die Regierung will dies mit einer Rückkehr zum Heizöl lösen und fördert den Kraftstoff.

Auf drängende Fragen von Oppositionspolitikern und Journalisten während einer Fernsehdiskussion, wie denn die Bürger nun mal ebenso eine Gasheizung gegen eine Ölheizung austauschen, und den erforderlichen Tank installieren sollen, fiel dem stellvertretenden Innenminister Stelios Petsas nur ein: "Wer sich nicht anpasst, stirbt".