"Große" Koalition in Bremen

Rot-Grün darf an der Weser weiterregieren. Der hohe Stimmengewinn des ehemals kleinen Koalitionspartners beschert der Regierung nun eine sichere Mehrheit von rund 60 Prozent

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Bremen hat gewählt und sich entschieden, den Umfragen weitgehend zu entsprechen. Die Fortsetzung der rot-grünen Regierung ist nach einem stabilen SPD-Ergebnis und dem deutlichen Stimmenzuwachs der Grünen gesichert. Die Opposition hat weniger Anlass zur Freude. Die CDU ist nur noch drittstärkste Partei, die Liberalen scheiterten an der 5-Prozent-Hürde, und der Linken blieb der nächste herbe Rückschlag nur denkbar knapp erspart.

65 Jahre SPD – vier kommen dazu

In Hamburg und Bremen ist die Welt noch in Ordnung. Während die SPD vielerorts Richtung Bedeutungslosigkeit taumelt, wehen an Elbe und Weser weiter die roten Fähnchen.

Jens Böhrnsen muss die Regierungsbank – im Gegensatz zum Hamburger Kollegen Olaf Scholz – zwar mit den Grünen teilen und aller Voraussicht nach zusätzliche Senatorenposten frei räumen. Doch auch seine Vorgänger koalierten schon einmal mit CDU, FDP oder FDP und Grünen, ohne ernsthaft in Gefahr zu geraten, den Chefsessel an die Konkurrenz zu verlieren. Nach Wilhelm Kaisen, Willy Dehnkamp, Hans Koschnick, Klaus Wedemeier und Henning Scherf ist Böhrnsen der sechste Bürgermeister der Genossen, die Bremen seit 1946 ohne Unterbrechung regieren. Diesmal bekamen sie rund 36 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Mit Erfolgsbilanzen hat der Dauerauftrag der Wähler freilich wenig zu tun. Bremen rangiert, insbesondere im Vergleich der westdeutschen Bundesländer, zumeist am Tabellenende und hat schlechte Aussichten, sich kurz- oder mittelfristig aus hoher Arbeitslosigkeit, immenser Verschuldung und einer anhaltenden Bildungsmisere zu befreien. Hartz-IV-Abonnenten und Weser-Millionäre bewachen die Außenposten des sozialen Zusammenhalts, doch die Bürgerinnen und Bürger scheint dieser Umstand kaum zu irritieren.

Hinter den trüben Statistiken verbergen sich oft grundlegende strukturelle Probleme, so die offizielle Sprachregelung. Die Bremer, die am Sonntag erstmals schon mit 16 Jahren wählen und insgesamt fünf Stimmen abgegeben durften, vermeiden direkte Schuldzuweisungen und entscheiden sich vorzugsweise für die Kandidaten, denen sie Seriosität und Überzeugungskraft attestieren und ein hohes Maß an Durchsetzungsfähigkeit im föderalen System zutrauen.

Der ehemalige Verwaltungsrichter Jens Böhrnsen musste unter diesen Umständen keine Kunststücke vollbringen. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Getreuen vor zu viel Siegessicherheit zu warnen:

In den Zeitungen lese ich, eigentlich brauchen wir die Wahl nicht mehr. Es sei doch längst alles entschieden. Das stimmt nicht. Gelaufen ist die Wahl am Abend des 22. Mai und keine Sekunde früher.

Jens Böhrnsen

Schulterschluss mit falschen Arbeitern

Die CDU kann in Bremen traditionell wenig richtig machen und entschied sich möglichweise deshalb, (fast) alles falsch zu machen. Im April posierte die wenig charismatische Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann auf einem Plakat neben zwei vermeintlichen Hafenarbeitern. Die Herren im Blaumann entpuppten sich anschließend als CDU-Mitglieder, und Mohr-Lüllmann kam endlich in die Schlagzeilen: Allerdings nur im Zusammenhang mit "vorgetäuschter Volksnähe" oder ganz schlicht als "Mogel-Rita".

Im Programm der Christdemokraten wurden "10 Gründe am 22. Mai CDU zu wählen" offeriert, die an Beliebigkeit ihresgleichen suchten. Gut möglich, dass gleich der erste ausreichend Gründe lieferte, das 58-seitige Opus nicht weiterzulesen.

Erstens: Wir haben die beste Kandidatin!

Mit Dr. Rita Mohr-Lüllmann hat die CDU Bremen zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau als Spitzenkandidaten für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft nominiert. Die sympathische Seiteneinsteigerin hat unsere Parteimitglieder schnell durch ihre Leistungen in ihrem privaten und beruflichen Lebensweg von sich überzeugt: Promovierte Pharmazeutin und erfolgreiche selbstständige Unternehmerin, ebenso wie Ehefrau und zweifache Mutter – Rita Mohr-Lüllmann weiß um die Sorgen und Nöte, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Wahlprogramm CDU Bremen

Inhaltliche Kontur gewann die CDU trotz der zweifelsohne kritischen Lage des Stadtstaates nur sehr bedingt. Sie fand kaum eine Möglichkeit, mobilisierende Reiz- und Streitthemen in die Öffentlichkeit zu bringen. Durchsichtige Parolen wie "65 Jahre SPD sind genug!", "Wir können Wirtschaft!" oder gar "Verkehr muss fließen!" reichten nicht einmal für 20 Prozent. Dem programmatischen Offenbarungseid folgte ein politisches Debakel.

Kein Interesse an der falschen Macht

"Ich habe an inhaltsleerer Macht kein Interesse", gab die grüne Spitzenkandidatin Karoline Linnert wenige Tage vor dem Urnengang zu Protokoll und setzte damit ein letztes Sympathiehäubchen auf die Euphoriewelle, die ihrer Partei auch in Bremen ein sattes Stimmenplus von 6 Prozent bescherte.

Durch den Absturz der CDU war die prinzipielle Möglichkeit, in einer Koalition mit der Union selbst die Regierungschefin zu stellen, dahin, doch Linnert favorisiert ohnehin ein anderes Erfolgskonzept: Der stete Schulterschluss mit den Bürgern soll die grüne Machtbasis nachhaltig sichern. Wer dann in der Regierung den Ton angibt, ist zunächst nicht so entscheidend.

Was soll ich mit einem Regierungsbündnis, in dem ich zwangsläufig wortbrüchig werden muss? Was soll ich mit einem Bündnis, das die Stadt nicht will, das die Menschen nicht wollen?

Karoline Linnert

Linnert machte im Wahlkampf keinen Hehl daraus, dass Bremen auch in Zukunft ein harter Sparkurs verordnet werden muss und die 300 Millionen Euro, die Bund und Länder Jahr für Jahr aufbringen, um die Neuverschuldung der Stadt bis 2020 auf null zu setzen, nicht reichen könnten. Dafür präsentierte sie, gerne auf Facebook, die vielen kleinen Erfolge, die das Leben in einem von Grünen regierten Gemeinwesen so ökologisch korrekt machen.

Die Stromversorgung sämtlicher öffentlicher Gebäude in Bremen wird bereits zu 100 Prozent aus Öko-Strom bestritten. Aber auch jede/r einzelne ist gefordert. Manchmal fehlt nur der letzte Anstoß.

Karoline Linnert

Bis der nächsten Wahl sind aller Voraussicht nach umfangreichere Erfolgsmeldungen nötig, um das Ergebnis vom 22. Mai 2011 zu bestätigen. Schließlich ist Linnert nicht nur selbsternannte Ökostrom-Beauftragte, sondern in erster Linie Senatorin für Finanzen. Aber bis dahin ziehen nun erst einmal wieder vier Jahre ins Land.

Mama lebt in einem sozial benachteiligten Stadtteil

Bremen war das erste westdeutsche Bundesland, in das die Linke 2007 eigene Abgeordnete schicken durfte. 8,4 Prozent holte die Partei vor vier Jahren, um bei der Bundestagswahl 2009 noch einmal nachzulegen. Doch die Arbeit in der Bremer Bürgerschaft wurde von Streitereien und Intrigen überschattet. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sirvan Cakici musste sich häufiger mit einem liebestollen Kollegen und den Schlagzeilen der Boulevardpresse ("Bremens schönste Politikerin") als mit der politischen Konkurrenz auseinandersetzen und trat im November 2010 schließlich zur SPD über.

Wir waren immer mit dem Zustand beschäftigt, dass wir kaum über Inhalte diskutieren konnten.

Sirvan Cakici

Spitzenkandidatin Kristina Vogt wollte diese Situation grundlegend ändern und ließ zu diesem Zweck sogar ihren 15-jährigen Sohn zu Wort kamen. "Mama, du bist die einzige Spitzenkandidatin, die in einem sozial benachteiligten Stadtteil lebt", wurde der Nachwuchs der allein erziehenden Rechtsanwaltsfachangestellten zitiert.

In Bremen widmete sich die Linke den regionalen Themen sehr viel konkreter als in manchen anderen Bundesländern, forderte unter anderem einen "Masterplan Armutsbekämpfung" in Höhe von "mindestens" 50 Millionen Euro pro Jahr, beschäftigte sich aber auch mit diffizilen Fragen der Seehafenverkehrspolitik und plädierte für einen Stopp der Rüstungsforschung an den Bremer Hochschulen.

Mit Stiftungsprofessuren und Stiftungsstudiengängen kaufen sich Rüstungsfirmen an den Bremer Hochschulen ein. Wir wollen ein Verbot von Rüstungsforschung. Keine öffentliche Förderung mehr für die militärischen Überwachungsprojekte GAUSS und CEON!

Die LINKE – Bremen

Auf den umstrittenen Boykottaufruf des Bremer Friedensforums gegen Produkte aus Israel reagierten die Landessprecher Cornelia Barth und Christoph Spehr vor knapp zwei Wochen in einer diskutablen, aber sehr ausführlichen Stellungnahme.

Die linken Initiativen dienten allerdings nicht nur dem Versuch einer neuen inhaltlichen Profilierung. Im Falle eines Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde, das schließlich nur knapp verhindert wurde, hätten sich die angeschlagenen Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst wieder fragen lassen müssen, ob sie wirklich bis 2012 durchhalten wollen.

Die FDP hat ein Problem

Philipp Rösler fühlte sich "wie in Houston", als er kurz nach seiner Ernennung zum Bundeswirtschaftsminister das Raumfahrt-Systemhaus OHB in Bremen besuchte. Am Sonntagabend dürfte sich der neue FDP-Vorsitzende dann wie überall gefühlt haben, wo die Liberalen in letzter Zeit an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind. Nicht einmal 3 Prozent entschieden sich für die Liberalen, im Bereich der Listenstimmen mussten sie offenbar sogar der Piratenpartei den Vortritt lassen, die insgesamt etwa 2 Prozent verbuchte.

Auch in Bremen versuchte es die FDP mit der mutmaßlich jüngsten verfügbaren Politiker-Generation. Spitzenkandidat Oliver Möllenstädt ist 33 Jahre alt, präsentierte sich auf seiner lieblos gestalteten Partei-Homepage aber schon wie ein echter Mandatsträger.

Auf die Frage "Warum mache ich Politik?", die sich der Wirtschaftsingenieur möglicherweise nur selber stellte, antwortete er:

Damit mehr Bremerinnen und Bremer ihre Freiheit genießen können. Dazu gehört eine Mittelstand- und Wirtschaftsfreundliche Standortpolitik, eine gute Bildungspolitik, die Lehrern und Schülern etwas zutraut und eine solide Haushaltspolitik, die die Gestaltungsspielräume zukünftiger Generationen nicht verspielt.

Oliver Möllenstädt

Möllenstädts Mitkandidaten machten es allerdings nicht besser. Gerade den Jüngeren scheinen die kreativen Ideen vorläufig ausgegangen zu sein. Warum gehen FDP-Leute in die Politik? Eine Auswahl:

Weil ich Bremen noch lebens- und liebenswerter für alle Bürgerinnen und Bürger machen möchte und mit Trauer sehe wie das Land in den vergangenen Legislaturperioden herunter gewirtschaftet wurde.

Christina Meyer, FDP-Kandidatin (25 Jahre)

Weil ich die Zukunft unseres Landes zum Positiven mitgestalten möchte.

Felix Sa'd, FDP-Kandidat (29 Jahre)

Politik mache ich um etwas zu bewegen.

Tobias Glümer, FDP-Kandidat (37 Jahre)

Weil ich davon überzeugt bin, dass wir sie besser machen können. Ich will und werde bessere Politik machen, wenn die Bremer mir über ihre Stimmen ihr Vertrauen aussprechen. Für mich geht es in Politik nicht nur darum, die Interessen einer bestimmten Gruppe gegen eine andere durchzusetzen, sondern sie für alle Bürger zu machen. (…)

Adam Bielecki, FDP-Kandidat (27 Jahre)

Braune Werder-Fans und wütende Bürger

Die NPD geriet wegen augenscheinlich volksverhetzender Wahlkampfkampagnen vor diesem Urnengang einmal mehr ins Visier der Staatsanwaltschaft. Doch auch innerparteilich gab es einige Querelen.

"Bundesorganisationsleiter" Jens Pühse durfte in Bremerhaven kandidieren, Ex-DVU-Chef Matthias Faust musste dafür Listenplatz 1 in der Stadt Bremen übernehmen. Schlecht für Faust, der keine realistischen Chancen auf einen Platz in der Bürgerschaft hatte.

Pühse wollte dagegen von den Besonderheiten des Wahlrechts profitieren und sich über Bremerhaven für parlamentarische Aufgaben empfehlen. Zu diesem Zweck trat er werbewirksam dem Fußball-Bundesligisten Werder Bremen bei, der sich fortan bemühte, das unliebsame Mitglied wieder loszuwerden.

Das wiederum freute auch Matthias Faust, der im Partei-Organ "Deutsche Stimme" keinen Zweifel an der NPD-Strategie ließ, das "Ausländer-Problem" in den Mittelpunkt zu stellen, um es mit der sozialen Frage zu verbinden. Ansonsten galt: einfach nur im Gespräch bleiben.

Über uns wird geredet, was eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Wahlteilnahme ist. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht in den lokalen Medien erwähnt werden.

Matthias Faust

Genützt hat es offenbar nichts. Wenn das amtliche Endergebnis, das für Mittwoch erwartet wird, die laufenden Hochrechnungen bestätigt, bleibt die NPD in Bremen und Bremerhaven außen vor.

Stattdessen ziehen die "Bürger in Wut" erneut in die Stadtverordnetenversammlung und die Bürgerschaft des Landes ein. 2007 hatte der Nachfolger der (Schill-)"Partei Rechtsstaatlicher Offensive" noch eine juristische Verlängerung und Nachwahlen in Anspruch nehmen müssen, um in beide Parlamente Abgeordnete entsenden zu können.

Die Wählervereinigung, die sich "gegen unkontrollierte Zuwanderung und Multikulti", gegen "deutschfeindliche Äußerungen", aber für "die Wiederbelebung konservativer Werte und bürgerlicher Tugenden" und natürlich auch für ein "Burka-Verbot in Deutschland" einsetzen will, erreichte landesweit einen deutlichen Stimmenzuwachs. Sie könnte am Ende auch ohne den Umweg über Bremerhaven in die Bürgerschaft des Landes einziehen.