Ground Zero der Menschheit

Interview mit Mike Davis über sein Buch "Planet der Slums"

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Sein kurzes Haar und der Schnurrbart sind stark angegraut, aber er hat noch immer den stämmigen, kräftigen Körperbau des Fleischersohns, der vor langer Zeit in El Cajón, einer Vorstadt von San Diego, geschlachtetes Vieh für seinen Vater geschleppt hat. Ehe man sich versiehst, sitzt man schon in seinem Wagen mit Allradantrieb und fährt mit ihm nach McManson, einen Außenbezirk von San Diego, oder runter zur mexikanischen Grenze, direkt zu dem neuen, umstrittenen Dreifachzaun, der gerade errichtet wird (und wo ihr prompt mit der Border Patrol aneinander geratet). Er ist ein wunderbarer Reiseführer, ein wandelndes Lexikon, er kennt alles, was an Südkalifornien außergewöhnlich oder fesselnd ist. Nichts in der Landschaft scheint einem Kommentar, einer kurzen Beschreibung oder Analyse zu entgehen. Die Brücke des Interstate-Highway, über die man irgendwo in der Ödnis fernab der Stadt fährt, ist die höchste gegossene Betonbrücke im ganzen Land. Alle möglichen Kriegsschiffe, die den blauen Hafen von San Diego regelmäßig anlaufen, werden identifiziert und erörtert, einschließlich des Stealth-Landungsschiffes der Navy SEALs1 („Die Navy hat hier noch mehr Spielzeug!“) .

Mike Davis: Bild: Assoziation A

Einem kleinen Vortrag über den örtlichen Immobilienmarkt folgt die Klage, dass „das einzige, worüber alle heutzutage in San Diego reden, Immobilienpreise sind“! Auf jede Militärbasis und jedes Sperrgebiet am Weg weist er hin: „Die Leute hier nehmen das Militär, mit dem sie Wand an Wand leben, nicht wahr. Sie sehen nicht den Tod überall um sie herum, die mörderischen Waffensysteme. Sie blenden einfach alles aus.“ Ab und zu kommt eine kuriose Erinnerung an alte Zeiten hoch: „Das einzig Gute daran, in San Diego aufzuwachsen, waren das Navy-Viertel und seine billigen Kinos. Das war ein Teenagerparadies.“ Als Beifahrer merkt man schnell, dass man Zeuge einer überwältigenden, aber alltäglichen Performance eines Universalgelehrten bist, der niemals etwas zu vergessen scheint.

Sein schlichtes Haus liegt am Rande einer der ärmsten Gegenden San Diegos, durch die ihr eine kurze Spritztour unternehmt – während er dir beiläufig die örtlichen Graffitis erläutert. Sein kleines Wohnzimmer, in dem wir meine Aufnahmegeräte aufstellen, wird von einem riesigen, bunten Spielhaus für seine zweijährigen Zwillinge James und Cassandra (oder Casey) dominiert. Bei einem Interview in seinem Haus, ist man von einer Welt revolutionärer Geschichte umgeben: keine Wand, kein Winkel und keine Ecke, nicht einmal das Badezimmer, ohne revolutionäre Plakate („Camarada! Trabaja y lucha por la revolucion!“). Überall um einen herum Stiefel, die auf russische Plutokraten treten, riesige Fäuste, die die deutsche Ausbeuterklasse zerschlagen, während man dich im Jahr 1919 dazu aufruft: „Wählt Spartacus!“

Mike Davis, dessen erstes Buch über Los Angeles, City of Quartz, ein Bestseller wurde und ihn als den innovativsten Stadt-Gelehrten des Landes etablierte, hat seitdem über alles Mögliche geschrieben, von der „fiktionalen Zerstörung Los Angeles’“ über die Geburt der Dritten Welt im 19. Jahrhundert bis hin zur Möglichkeit einer Vogelgrippe-Pandemie in unserer Zeit2. Zuletzt hat er seinen rastlosen, suchenden Geist in einem neuen Buch, Planet der Slums, der globalen Stadt zugewandt. Ein Buch, dessen Schlussfolgerungen so alarmierend sind, dass ich sie zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs nehme.

Wir richten uns ein provisorisches Eckchen mit meinen Rekorder in seinem Wohnzimmer ein und fangen an. Davis hat etwas von der alten, nahezu verloren gegangenen amerikanischen Tradition des Autodidakten. In der Welt eines Stammes wäre er sicher der angesagte Geschichtenerzähler.

Das gesamte zukünftige Wachstum der Menschheit wird in Städten stattfinden, zum allergrößten Teil in armen Städten und dort hauptsächlich in Slums

Erzähl doch bitte zuerst, wie Du zum Thema Stadt gekommen bist. (...)
Mike Davis: Zur Stadt kam ich ganz einfach, indem ich Los Angeles untersuchte, und zu LA kam ich, weil ich als jemand aus der Neuen Linken der 1960er Jahre, der viel Zeit in das Studium des Marxismus gesteckt hat, dachte, radikale Gesellschaftstheorie könne einfach alles erklären. Es schien mir, dass die Bewährungsprobe dieser Annahme wäre, Los Angeles zu verstehen. (...) Aus dieser ursprünglich begrenzten Sichtweise entfaltete sich die Welt von Los Angeles, das in meinem ursprünglichen Projekt ein Mosaik aus ungefähr 450 Einzelteilen war. (...)
Wie würdest Du Dich denn selbst bezeichnen?
Mike Davis: Wie einige andere Überlebende der Neuen Linken betrachte ich mich selbst als einen „Organizer“, als jemand, der sich um Machtstrukturen und politische Analysen kümmert. Beinahe alles, worüber ich geschrieben oder nachgedacht habe, korrespondiert auf irgendeine verrückte Art mit dem, was meiner jeweils aktuellen Auffassung nach strategisch oder taktisch vordringlich ist. So als ob ich noch immer dem National Council des SDS3 oder dem Chicagoer Büro der IWW4 rechenschaftspflichtig wäre.
All das gehörte zu dem strategischen Puzzle, das ich in City of Quartz behandelt habe. LA stand an einem entscheidenden Wendepunkt. Durch die Globalisierung hatte sich seine Ökonomie umgestaltet, es entstanden ganz neue Verknüpfungen, und viele Leute waren auf der Strecke geblieben. Aber die Stadt hatte und hat noch immer dieses unglaubliche, vielgestaltige positive Potenzial für progressive Politik, für überraschende Aktivität. Damals wollte ich ein für eine neue Generation von Aktivisten nützliches Buch schreiben und herausfinden, wie ein Ort wie Los Angeles gesehen werden kann, dessen Phantasievorstellung selbst sich in seine materielle Struktur eingeschrieben hat. Es ist eine Stadt, die ihre Bilder lebt.
Und dann brachen die Riots von 1992 aus ...
Mike Davis: … und ich versuchte, sie als eine unmittelbare Konsequenz des Globalisierungsprozesses zu verstehen. Manche Leute waren Gewinner, manche Verlierer. Es war auch eine Tatsache, dass die Globalisierung letztlich in Gestalt der transnationalen Drogenindustrie South-Central-LA erreichte. Nur in dieser Form brachte die Globalisierung überhaupt Geld in diese Viertel. (...)
Wenn wir einen Sprung von 15 Jahren machen, zu deinem neuesten Buch Planet der Slums, diesem grandiosen Stadtgemälde, dürfen wir uns dazu vorstellen, dass Du Deine Marschbefehle nun von irgendeinem globalen Zentralkomitee erhältst? Und kannst Du uns eine Einführung geben, wie unser verslumender Planet heute aussieht?
Mike Davis: Es ist schon erstaunlich, dass die klassische Gesellschaftstheorie, ob nun Marx, Weber oder gar die Modernisierungstheorie des Kalten Krieges, nicht antizipiert hat, was mit der Stadt in den letzten 30 oder 40 Jahren passiert ist. Niemand hat die Entstehung einer riesigen Klasse vorhergesehen, die hauptsächlich aus jungen Menschen besteht, die in Städten leben, keine formelle Verbindung zur Weltwirtschaft haben und auch chancenlos sind, jemals eine zu bekommen. Diese informelle Arbeiterklasse ist nicht das Marxsche Lumpenproletariat, und sie ist nicht der „Slum der Hoffnung“, wie man ihn sich vor 20 oder 30 Jahren vorgestellt hat – voller Menschen, die schließlich in die formelle Ökonomie aufsteigen werden. Diese an die Ränder der Städte verbannte, informelle globale Arbeiterklasse hat normalerweise wenig Zugang zur traditionellen Kultur der Städte, und sie stellt eine beispiellose Entwicklung dar, die in der Theorie nicht vorhergesehen wurde.
Nenn doch einfach mal ein paar Zahlen zur Verslumung des Planeten.
Mike Davis: Erst seit wenigen Jahren sind wir in der Lage, Urbanisierung im globalen Maßstab klar zu ermessen. Vorher war die Datenlage unzuverlässig, aber Habitat5 hat sich sehr um Zahlen, Haushaltserhebungen und Fallstudien bemüht, die eine zuverlässige Grundlage für die Diskussion unserer städtischen Zukunft abgeben. Der vor drei Jahren erschienene Bericht The Challenge of Slums ist so bahnbrechend wie die großen Forschungen, die Engels6, Mayhew7, Charles Booth8 oder – in den USA – Jacob Riis9 im 19. Jahrhundert zu städtischer Armut gemacht haben.
Nach der konservativen Rechnung des Berichtes leben gegenwärtig eine Milliarde Menschen in Slums und mehr als eine Milliarde kämpfen als informelle Arbeiter um ihr Überleben. Diese mögen Straßenhändler, Tagelöhner, Kindermädchen, Prostituierte oder gar Menschen sein, die ihre Organe für Transplantationen verkaufen. Die Zahlen sind erschreckend, zumal erst unsere Kinder und Enkel die größte Bevölkerungszahl der Menschheit erleben werden. (...) 95 Prozent dieses Wachstums wird in den Städten des Südens stattfinden.
Im Wesentlichen in den Slums …
Mike Davis: Das gesamte zukünftige Wachstum der Menschheit wird in Städten stattfinden, zum allergrößten Teil in armen Städten und dort hauptsächlich in Slums.
Die klassische Urbanisierung nach dem Muster von Manchester, Chicago, Berlin oder Petersburg findet man heute noch in China und an einigen wenigen anderen Orten. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die städtische industrielle Revolution in China ähnliche Entwicklungen andernorts ausschließt, denn sie saugt alle Produktionskapazitäten für Konsumgüter – und zunehmend alles andere – auf. Aber in China und ein paar angrenzenden Ökonomien ist noch städtisches Wachstum zu beobachten, das von einem Prozess der Industrialisierung angetrieben wird. Überall sonst wachsen Städte weitgehend ohne Industrialisierung, oftmals sogar, was noch erschreckender ist, ohne jegliche Entwicklung. Überdies haben Städte wie Johannesburg, Sao Paulo, Mumbai, Belo Horizonte oder Buenos Aires, vormals die großen Industriestädte des Südens, in den letzten 20 Jahren eine massive Deindustrialisierung erlitten. (...)
Die heutigen Mega-Slums entstanden meist in den 1970er und 1980er Jahren. Vor 1960 lautete die Frage: Warum wachsen Dritte-Welt-Städte so langsam? Es gab tatsächlich große institutionelle Hindernisse für eine schnelle Urbanisierung: Kolonialmächte beschränkten noch den Zuzug in die Stadt, in China und anderen stalinistischen Ländern wurden soziale Rechte – und damit innerstaatliche Migration – durch ein inländisches Passreglement kontrolliert. Der große städtische Boom kommt mit der Dekolonisierung in den 1960ern. Damals beanspruchten revolutionäre nationalistische Staaten aber immerhin noch, eine wesentliche Rolle bei der Bereitstellung von Wohnraum und Infrastruktur. In den 70ern beginnt der Staat sich zurückzuziehen und in den 80ern, der Phase der Strukturanpassung, erleben wir in Lateinamerika und besonders in Afrika das Jahrzehnt des Rückschritts. (...)
Wie können Städte, die sich wirtschaftlich nicht so wie im Lehrbuch entwickeln, dieses Bevölkerungswachstum verkraften? Anders gesagt, warum sind Dritte-Welt-Städte angesichts solcher Widersprüche nicht explodiert? Nun, in einem gewissen Ausmaß taten sie es. Ende der 80er und Anfang der 90er gab es auf der ganzen Welt Aufstände gegen die Verschuldung, IWF-Riots.
(...)
Wie haben Regierungsberater und führende Politiker weltweit das, was in den Städten geschah, gedeutet?
Mike Davis: Die Entdeckung von Weltbank, Entwicklungsökonomen und großen NGOs in den 1980er Jahren, dass die Leute – trotz der beinahe völligen Abdankung des Staates bei der Planung und Beschaffung von Wohnraum für arme Stadtbewohner – es immer noch irgendwie schafften, einen Flecken Land und ein Dach über dem Kopf aufzutun und zu überleben, führte zur Entstehung einer Bootstrap-Schule der Urbanisierung. Gib armen Leuten die Mittel und sie werden ihre eigenen Häuser bauen und ihre eigenen Viertel organisieren. In gewisser Hinsicht war dies eine durchaus gerechtfertigte Huldigung der Urbanisierung von unten. Aber die Weltbank machte daraus gleich einen neuen Leitsatz: Der Staat ist erledigt, kümmere dich nicht um den Staat; arme Leute improvisieren einfach die Stadt. Sie brauchen nur ein paar Mikro-Kredite ...
… zu hohen Zinsen.
Mike Davis: Ja genau, und dann würden die armen Leute auf wunderbare Weise ihre eigenen urbanen Welten samt eigener Jobs schaffen. Planet der Slums folgt dem UN-Challenge-Report, der uns warnt, dass die globale städtische Krise der Arbeitslosigkeit eine genauso große Bedrohung unserer gemeinsamen Zukunft darstellt wie der Klimawandel. Auch wenn das Buch zugegebenermaßen eine Reise im Lehnstuhl zu den Städten der Armen ist, es ist ein Versuch, die breite Literatur von Spezialisten über städtische Armut und informelle Siedlungen auszuwerten. Daraus ergeben sich zwei grundlegende Schlussfolgerungen.
Zunächst einmal gibt es für Besetzungen kein frei zugängliches Land mehr – zum Teil schon seit langem nicht mehr. Die einzige Möglichkeit, heute noch eine Hütte auf einem kostenlosen Stück Land zu bauen, bedeutet, das an einem Platz zu tun, der so gefährlich ist, dass er keinerlei Marktwert besitzt. Landbesetzung wird zunehmend zum Spiel mit der Katastrophe. Wenn ich dich zum Beispiel ein paar Meilen runter in den Süden und über die Grenze nach Tijuana bringen würde, würdest du sofort sehen, dass Land, auf dem vormals Squatter lebten, nun verkauft wird – gelegentlich wird es sogar parzelliert und die Infrastruktur ausgebaut. Sehr arme Menschen squatten in Tijuana noch auf die althergebrachte Weise am Rand von Schluchten in Flussbetten, wo ihre Häuser in einigen Jahren einstürzen werden. Und das gilt für die ganze Dritte Welt.
Das Besetzen wurde privatisiert. In Lateinamerika nennt man das „piratische Urbanisierung“. Wo Menschen, die vor 20 Jahren ungenutztes Land besetzten, der Vertreibung widerstanden hätten und schließlich vom Staat anerkannt worden wären, zahlen sie heute viel Geld für winzige Grundstücke oder wohnen, wenn sie sich den Kauf nicht leisten können, bei anderen Armen zur Miete. In manchen Slums besteht die Mehrheit der Bewohner nicht aus Besetzern, sondern aus Mietern. (...)
Die andere wichtige Schlussfolgerung betrifft die informelle Ökonomie – die Fähigkeit armer Leute, ihren Lebensunterhalt durch informelle Tätigkeiten wie Straßenverkauf, Tagelöhnerei, Dienstbotenjobs oder gar Subsistenzkriminalität zu sichern. Die informelle Ökonomie wurde vielleicht noch stärker romantisiert als Landbesetzungen, u.a. durch alle möglichen Behauptungen darüber, wie gut das Kleinstunternehmertum in der Lage sei, Leute aus der Armut zu holen. Jedoch zeigen zahlreiche Fallstudien aus der ganzen Welt, dass immer mehr Menschen in eine endliche Zahl von Überlebensnischen gedrängt werden: zu viele Rikschafahrer, zu viele Straßenhändler, zu viele afrikanische Frauen, die ihre Hütten in Kantinen mit Schnapsverkauf umwandeln, zu viele, die Wäsche waschen, zu viele, die vor Arbeitsstätten Schlange stehen.
Sagst Du damit nicht, dass die frühere Dritte Welt in so etwas wie die „Dreihundertste Welt“ verwandelt wird?
Mike Davis: Ich sage, dass die beiden grundsätzlichen Mechanismen, durch die Arme in Städte, in die der Staat schon lange nichts mehr investiert, aufgenommen werden, in nur zwei Generationen weiteren Hochgeschwindigkeitswachstums ihre Grenzen erreicht haben werden. Die drohende, aber offensichtliche Frage lautet: Was kommt jenseits dieser Grenze?
Ein Zitat aus Planet der Slums: „Angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes 'Großen Mauer' aus High-Tech-Grenzsicherungsanlagen, die eine Massenmigration in die reichen Länder blockieren soll, verbleiben nur die Slums als Unterbringungsmöglichkeit für die überschüssige Menschheit dieses Jahrhunderts.“
Mike Davis: Die beiden großen armen europäischen Städte des 19. Jahrhunderts, die zu unserem heutigen Modell passen, waren Dublin und Neapel, aber niemand sah sie als Zukunftsmodelle. Mehr Dublins und Neapels gab es vor allem deshalb nicht, weil das Ventil der Emigration über den Atlantik offen war. Heute ist dem größten Teil des Südens die Migration faktisch versperrt. (...)
Unerbittliche Kräfte vertreiben die Menschen vom Land und diese durch die globalisierte Ökonomie überflüssig gemachte Bevölkerung staut sich in den Slums oder städtischen Peripherien, die weder Land noch wirklich Stadt sind und die den Stadtforschern Kopfzerbrechen bereiten.
In den Vereinigten Staaten würden wir sie als außerstädtische Wohngebiete bezeichnen, aber hiesige außerstädtische Wohngebiete sind ein ganz anderes Phänomen. Wenn du dir amerikanische Städte ansiehst, dann sind außerstädtische Wohngebiete das hervorstechendste Merkmal – Leute, die aus dem ehemals ländlichen Raum in Edge Citys pendeln, leben heute in McMansions10 auf immer größeren Grundstücken, vor denen immer mehr Geländewagen parken. (...) Mit anderen Worten, wenn die Mittelklasse weiter rauszieht, vergrößert sich ihr Fußabdruck, den sie in der Umwelt hinterlässt, um zwei oder drei Schuhnummern.
Die Kehrseite davon ist, dass die ärmsten Leute in die gefährlichsten Ecken hineingedrängt werden, auf abrutschende Hänge, in die unmittelbare Nachbarschaft von Giftmülldeponien oder in Überflutungsgebiete, was zu einer jährlich steigenden Opferzahl bei Naturkatastrophen führt – die weniger ein Indikator für eine sich verändernde Umwelt ist als eher der Risiken, die verzweifelte Arme eingehen müssen. In den großen Städten der Dritten Welt gibt es Reiche, die sich in Gated Communities weit draußen in den Vorstädten zurückziehen, aber in der Hauptsache sind es zwei Drittel der weltweiten Slumbewohner, die sich in einer Art städtischem Niemandsland ansammeln.
Du hast das „existenziellen Ground Zero“ genannt.
Mike Davis: Weil das Urbanisierung ohne Urbanität ist. Beispielhaft dafür ist eine radikal-islamistische Gruppe, die vor ein paar Jahren in Casablanca angriff – 15 oder 20 arme Jungs, die in der Stadt aufwuchsen, aber in keiner Hinsicht ein Teil von ihr waren. Sie kamen am Stadtrand zur Welt, nicht in traditionellen Arbeiterklasse- oder Armenvierteln, die einen fundamentalistischen, aber keinen nihilistischen Islam unterstützen, oder sie waren vom Land vertrieben und nie in die Stadt integriert worden. In ihrer Slum-Welt haben nur Moscheen oder islamistische Organisationen eine Form von Gesellschaftlichkeit oder Ordnung hergestellt. Laut einer Quelle waren einige dieser Jungs vor ihrem Angriff auf die Stadt noch nie in der Innenstadt gewesen. Für mich ist das eine Metapher für das, was weltweit passiert: Eine Generation wird auf die urbanen Müllabladeplätze geschickt – nicht nur in den ärmsten und härtesten Städten. (...)

Die Stadt des Imperiums und die Stadt der Slums – Teil 2

Mir scheint, die Bush-Administration hat es in Bagdad fertiggebracht, eine unheimliche Version der urbanen Welt zu schaffen, die Du in Planet der Slums beschreibst. Im Zentrum der Stadt gibt es die ummauerte imperiale Grüne Zone mit ihren Starbucksfilialen und jenseits davon die zerfallende Hauptstadt und der riesige Slum Sadr City – und der einzige Austausch, den es zwischen den beiden Städten gibt, sind die Kampfhubschrauber, die in die eine Richtung fliegen, und die in die andere Richtung fahrenden Autobomben.
Mike Davis: Genau. Bagdad wird zum Paradigma: Der öffentliche Raum bricht zusammen, und das Mittelfeld zwischen den Extremen schwindet dahin. Die sunnitisch-schiitisch gemischten Viertel werden nicht mehr nur durch amerikanische Aktionen, sondern durch konfessionellen sektiererischen Terror rapide ausgelöscht. Sadr City, es hieß mal Saddam City, der östliche Quadrant von Bagdad, hat groteske Ausmaße erreicht – zwei Millionen Arme, meist Schiiten. Und es wächst immer noch weiter, wie übrigens auch die sunnitischen Slums. Nun mehr nicht wegen Saddam, sondern aufgrund der verheerenden amerikanischen Politik, die so gut wie kein Geld in den Wiederaufbau der Landwirtschaft gesteckt hat. Viele Felder sind wieder zu Wüste geworden, während alle Mittel – wenn auch erfolglos – auf die Wiederherstellung der Ölindustrie konzentriert wurden. (...)
Natürlich sind Green Zones so was wie Gated Communities, die Zitadelle innerhalb der Festung. Auch sie entstehen überall in der Welt. In meinem Buch konterkariere ich diese Tendenz mit dem Wachstum der Slums an der Peripherie – die Mittelklasse lässt ihre traditionelle Kultur und zugleich die Innenstadt im Stich, um sich in Gegenwelten zurückzuziehen, die kalifornische Lifestyles nachahmen. Manche sind auf äußerste Sicherheit ausgelegt, wirkliche Festungen. Andere sind eher typisch amerikanische Vororte, aber allesamt drehen sie sich um die fixe Idee eines Phantasie-Amerika, und speziell Phantasie-Kalifornien, wie es allseits durchs Fernsehen verbreitet wird.
Entsprechend kann der Neureiche in Peking auf dem Highway zu umzäunten Gebieten, die Orange County oder Beverly Hills heißen, pendeln. In Kairo gibt es auch ein Beverly Hills und ein ganzes, von Walt-Disney inspiriertes Viertel. In Jakarta finden sich ebenso Gebiete, wo Menschen in einem imaginären Amerika leben. Ihre Ausbreitung unterstreicht, wie bindungslos die neue städtische Mittelklasse auf der ganzen Welt ist. Damit einher geht die Besessenheit, alles so zu bekommen, wie es im Fernsehen gezeigt wird. Es sind echte Orange County-Architekten, die das „Orange County“ bei Peking entwerfen. Alles ist unglaublich wiedergabegetreu gegenüber dem, was die globale Mittelklasse im TV oder Filmen sieht.
Um auf das andere urbane Projekt von Bush zu kommen – etwas ähnliches scheint in New Orleans zu passieren, oder?
Mike Davis: Absolut. Leider will die Mehrheit der weißen Upperclass in New Orleans lieber in einer völlig unechten Themenpark-Version des historischen New Orleans leben als sich der wirklichen Aufgabe zu stellen, die Stadt wieder aufzubauen bzw. mit einer afroamerikanischen Mehrheit zu leben. Was sich die Leute unter Authentizität vorstellen, hat längst jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren. In Ökologie der Angst habe ich gezeigt, wie die Universal Studios Ikonen von Los Angeles extrahiert, miniaturisiert und in einen eingefriedeten, sicheren Ort, der sich City Walk nennt, gepackt haben. Und dahin zu gehen, ersetzt – wie in Las Vegas – einen wirklichen Besuch der Stadt. Man besucht den Freizeitpark der Stadt, der eigentlich ein Einkaufszentrum ist. Mit einem Casino hätte man das komplette Erlebnis. Durch diese Entwicklung werden die Armen zunehmend vom Zugang zu Kultur und dem öffentlichen Raum abgeschnitten, während die Wohlhabenden freiwillig darauf verzichten und sich in einen künstlichen allgemeinen Raum zurückziehen, der sich von Land zu Land wenig unterscheidet. Das Dazwischen zerfällt.
Aber es gibt große Unterschiede zwischen den Kulturzonen und Kontinenten. Was in Lateinamerika am erschreckendsten ist, ist das Ausmaß der laufenden politischen Polarisierung, die Vehemenz des Widerstands der Mittelklasse gegen die Forderungen der Armen. Chávez braucht Ärzte aus Kuba, weil nur eine Handvoll venezolanischer Ärzte in den Slums arbeitet. Im Nahen Osten ist es ganz anders. In Kairo zum Beispiel, wo der Staat sich zurückgezogen hat oder zu korrupt ist, um grundlegende Dienstleistungen zu erbringen, wird der Bedarf durch islamische Fachkräfte gedeckt. Die Muslimbrüderschaft hat den Ärzteverband übernommen und den der Ingenieure. Im Gegensatz zur lateinamerikanischen Mittelklasse, die sich nur rührt, um ihre Privilegien zu erhalten, organisiert sie Dienstleistungen und eine zivile Parallelgesellschaft für die Armen. Sicher auch, weil der Koran Wohltätigkeit verlangt, aber das macht einen erheblichen Unterschied aus und hat wichtige Auswirkungen auf das Leben der Stadt.
Ich möchte einen kleinen Abstecher machen. Vor Planet der Slums hast du Vogelgrippe geschrieben und während unseres Gesprächs ist mir klar geworden, dass es thematisch mit Planet der Slums verbunden ist, weil es auch von einer Art globalen Verslumung handelt – der der Landwirtschaft.
Mike Davis: Eine Dickenssche Welt viktorianischer Armut wird neu erschaffen, aber in einem Ausmaß, das die Zeitgenossen von Königin Viktoria entsetzt hätte. Daher fragt man sich natürlich, ob auch die Angst der viktorianischen Mittelklassen vor den Krankheiten der Armen zurückkehrt. Ihre erste Reaktion auf Seuchen war es, nach Hampstead zu ziehen, aus der Stadt zu flüchten, um die Armen loszuwerden. Erst als es offensichtlich war, dass die Cholera trotzdem von den Slums auf die Mittelklasse-Wohngebiete übergriff, wurde in die nötigsten sanitären Einrichtungen und die öffentliche Gesundheitsfürsorge investiert.
Wie im 19. Jahrhundert gibt es heute die Illusion, wir könnten irgendwie auf Distanz gehen oder uns einmauern oder die Flucht ergreifen vor den Krankheiten der Armen. Ich glaube nicht, dass die meisten von uns sich der riesigen, buchstäblich explosiven Konzentrationen möglicher Krankheiten bewusst sind. Vor mehr als 20 Jahren warnten die führenden Experten für Infektionskrankheiten in einer Reihe von Büchern vor neuen und neu aufflammenden Krankheiten. Sie sahen, dass Globalisierung weltweite ökologische Instabilität verursacht und diese Veränderung vermutlich die Balance zwischen Menschen und ihren Mikroben so verändert, dass neue Seuchen auftauchen können. Sie warnten zudem, dass Krankheiten nicht so beobachtet würden und die öffentliche Gesundheitsversorgung nicht so aufgebaut würde, wie es angesichts der Globalisierung nötig wäre.
In meinem Buch untersuche ich einerseits das Verhältnis zwischen dem wachsenden globalen Slum, der überall sanitäre Katastrophen bedingt und alle klassischen Voraussetzungen für eine rasante Ausbreitung von Krankheiten schaffte, und zum anderen arbeite ich heraus, wie die veränderte Viehwirtschaft völlig neue Rahmenbedingungen für das Auftreten von Tierkrankheiten und ihre Übertragung auf Menschen schafft. Grippe ist ein wichtiger Indikator für Infektionskrankheiten. (...) Das ist eine extreme ökologische Schieflage, sie hat die Ökologie der Grippe und die Umstände verändert, unter denen Krankheiten vom Tier auf den Menschen überspringen können. Im selben Zeitraum hat sich auch die Gesundheitsfürsorge in der städtischen Dritten Welt verschlechtert. Aufgrund der Strukturanpassungsmaßnahmen der 1980er Jahre waren Hunderttausende Ärzte, Krankenschwestern und Gesundheitsarbeiter gezwungen auszuwandern, sie verließen Kenia oder die Philippinen, um in England oder Italien zu arbeiten. Das ist die Rezeptur für ein biologisches Desaster, und die Vogelgrippe ist bereits die zweite Pandemie der Globalisierung. (...)
… und der Verslumung.
Mike Davis: Ja, Krankheit in einer Welt der Slums. So etwas wie das Überspringen der Vogelgrippe auf Menschen ist beinahe unvermeidlich angesichts der Kombination des globalen Slums und weit reichender Verschiebungen in der Ökologie von Mensch und Tier. Noch beunruhigender als die reine Bedrohung durch Krankheiten wie die Vogelgrippe ist jedoch die Reaktion darauf – eine umgehende Hortung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten in einer Handvoll reicher Länder, die zudem ein Monopol auf die Herstellung dieser lebenswichtigen Medikamente haben. Mit anderen Worten, das ist die fast reflexartige gedankenlose Preisgabe der Armen. Wenn die Vogelgrippe nicht in diesem, sondern in fünf Jahren ausbrechen sollte, wird der Unterschied der sein, dass der Schutz in den USA, Deutschland oder England verbessert wurde. Die Armen werden auf dem selben Stand wie heute sein, gerade Afrikaner, für die am meisten auf dem Spiel steht, da HIV eine Bevölkerung so zurichtet, dass sie besonders anfällig für andere Infektionen wird.
Das ist ein mögliches Austauschverhältnis zwischen der Stadt des Imperiums und der Slum-Stadt. Das andere, tödliche Verhältnis ist ein gewalttätiges, unser Krieg gegen Terror, Drogen und sonst was. Wenn man an Vietnam und dann den Irak denkt, entspricht die Slum-Stadt in den Annalen des modernen Kriegs ziemlich genau dem Dschungel.
Mike Davis: Ohne die explosiven sozialen Widersprüche, die sich immer noch auf dem Land häufen, klein reden zu wollen – es ist klar, dass sich die Zukunft der Guerillakriegsführung und des Aufstands gegen das Weltsystem in Richtung Stadt bewegt. Niemand hat das so gut wie das Pentagon kapiert, bzw. energischer versucht, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu Rande zu kommen. Seine Strategen verstehen viel besser als die Geopolitik und die traditionelle Außenpolitik die Bedeutung einer Welt der Slums ...
… und der globalen Erwärmung.
Mike Davis: Ja, weil sie die potenzielle Instabilität verstehen, die sie erzeugt, und sich vielleicht auch vorstellen, dass sie auf lange Sicht vorteilhaft auf das Gleichgewicht der Kräfte einwirkt. Die USA haben uns in den letzten Jahren ihre außergewöhnliche Fähigkeit demonstriert, die hierarchische Organisation einer modernen Stadt auszuschalten, lebenswichtige Infrastruktur und Knotenpunkte anzugreifen, Fernsehsender in die Luft zu jagen, Pipelines und Brücken zu zerstören; Smart Bombs können so etwas. Aber zugleich stellte das Pentagon fest, dass diese Technologie nicht gegen die Slum-Peripherie anwendbar ist, gegen die labyrinthischen, fast unbekannten und nicht kartografierten Teile einer Stadt, die keine Hierarchien hat, keine zentralisierte Infrastruktur, keine großen Gebäude.
Es gibt wirklich einiges an bemerkenswerter militärischer Literatur, die sich mit dem auseinandersetzt, was in den Augen des Pentagons das neuartigste Terrain dieses Jahrhunderts ist, und dessen Modelle sie nun in den Slums von Karachi, Port au Prince und Bagdad finden. Hauptsächlich ist das auf die Ereignisse 1983 in Mogadischu zurückzuführen, die die USA schockierten und zeigten, dass die herkömmlichen militärischen Straßenkampftaktiken in einer Slum-Stadt nicht funktionieren. (...) Wenn man Studien des Army War College liest, entdeckt man eine andere Geopolitik als die, der sich die Bush-Administration verschrieben hat. Die Kriegsplaner betonen keine Achsen des Bösen oder überbordende Verschwörungen, sie unterstreichen die Bedeutung des Terrains – die wuchernden Slums der Peripherie und die Chancen, die sie einem ganzen Konglomerat von Oppositionellen bieten – Drogenbaronen, al-Qaida, revolutionären Organisationen, religiösen Sekten –, dort Operationsbasen zu schaffen. Deshalb studieren Pentagontheoretiker Architektur und Stadtplanungstheorie. Sie nutzen geografische Informationssysteme und Satelliten, um Wissenslücken zu füllen, denn der Staat weiß in der Regel wenig über seine eigenen Slums an der Peripherie.
Die Frage nach dem Austausch von Gewalt zwischen der Stadt der Slums und der Stadt des Imperiums ist mit einer grundlegenderen Frage verbunden – der Frage nach den wirksamen Kräften. Wie wird diese sehr große Minderheit der Menschheit, die heute zwar in Städten lebt, aber von der formellen Weltwirtschaft ausgeschlossen ist, ihre Zukunft finden? Welche Möglichkeiten hat sie als historische Kraft? Die alte Arbeiterklasse – wie Marx im Kommunistischen Manifest schrieb – war aus zwei Gründen eine revolutionäre Klasse: Weil sie unter den gegebenen Umständen nichts zu verlieren hatte, aber auch weil sie durch den modernen industriellen Produktionsprozess zentralisiert wurde. Sie verfügte über das enorme Machtpotential des Streiks, einfach die Produktion lahm zu legen und die Fabriken zu übernehmen.
Heutzutage haben wir eine informelle Arbeiterklasse ohne strategische Position im Produktionsprozess und der Wirtschaft, die aber dennoch eine neue soziale Macht entdeckt hat – die Macht, die Stadt zu stören, in der Stadt zuzuschlagen – von der gewaltfreien Kreativität der Leute von El Alto, dem riesigen Slum von La Paz, wo die Einwohner regelmäßig die Straße zum Flughafen verbarrikadieren oder Transportwege abschneiden, um ihre Forderungen zu stellen, bis zum heute verbreiteten Einsatz von Autobomben durch nationalistische und konfessionelle Gruppen, die Mittelklasse-Wohngebiete, Bankenviertel und sogar Green Zones treffen.
Ich sage mal, was ich für die womöglich größte zerstörerische Macht halte – die Macht, globale Energieflüsse zu stören. Arme können das mit geringster Technologie entlang der vielen Tausend Kilometer ungesicherter Pipelines auf diesem Planeten bewerkstelligen.
Mike Davis: In der Hinsicht sind bereits Anhaltspunkte für eine beginnende Entwicklung zu erkennen. Allein im letzten Monat gab es einen versuchten Autobombenanschlag auf die größte Erdölverarbeitungsanlage Saudi-Arabiens und die erste Autobombe im Nigerdelta. Sie verletzte niemanden, aber der Einsatz wird höher.
Planet der Slums endet mit dieser Bemerkung: „Während das Imperium Orwellsche Repressionstechniken einsetzen kann, haben die von ihm Geächteten die Götter des Chaos auf ihrer Seite.“
Mike Davis: Und Chaos ist nicht immer eine Kraft zum Schlechten. Das schlimmste Szenario ist einfach eines, in dem die Menschen zum Schweigen gebracht werden. Ihr Exil wird ein permanentes. Die Triage der Menschheit findet unausgesprochen statt. Menschen werden genau so dem Sterben und Vergessen anheim gegeben, wie wir das AIDS-Massensterben vergessen und gegen Spendenaufrufe bei Hungernöten abstumpfen. Der Rest der Welt muss aufgeweckt werden. Die Armen der Slums experimentieren mit vielen ideologischen Varianten, in öffentlichen Foren, mit Unruhe stiftenden Maßnahmen – von nahezu apokalyptischen Angriffen auf die Moderne selbst bis zu avantgardistischen Versuchen neue Modernen zu erfinden, neue Arten sozialer Bewegungen. Aber es ist ein grundsätzliches Problem, wenn so viele Menschen um Jobs und Raum kämpfen. Der naheliegendste Weg, das zu regulieren, ist der Aufstieg von Paten, Stammeschefs und ethnischen Führern, die mit ethnischen oder religiösen Prinzipien oder rassistischer Ausgrenzung arbeiten. Darin steckt eine Tendenz zu sich selbst aufrechterhaltenden, beinahe endlosen Kriegszuständen zwischen den Armen selbst. Man findet also in ein und derselben armen Stadt eine Vielfalt widersprüchlicher Tendenzen – Leute, die den Heiligen Geist umarmen, die sich Straßengangs anschließen, die radikalen sozialistischen Organisationen beitreten, die zur Klientel konfessioneller oder populistischer Politiker werden. (...)

Das Interview mit Mike Davis erschien im Mai 2006 in Tom Dispatch. Übersetzung: Klaus Viehmann.

Das Buch Planet der Slums (248 Seiten, 20.00 €) ist eben auf Deutsch im Verlag Assoziation A erschienen. Dort wird auch demnächst die "Geschichte der Autobombe" von Mike Davies erscheinen.