"Grundvertrauen à la Hayek und Grundskepsis à la Popper"

Rainer Hank plädiert in seinem neuen Buch für eine Renaissance der Ideologie

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2009 erregte der FAS-Wirtschaftsressortleiter Rainer Hank viel Aufmerksamkeit mit einem Buch, in dem er darlegte, wie US-Regierungen mit Eingriffen in die Wirtschaft dazu beitrugen, dass es 2008 zu einer Finanzkrise kam. Jetzt hat er unter dem Titel Links, wo das Herz schlägt die "Inventur einer politischen Idee" veröffentlicht.

Herr Hank, Sie fordern in Ihrem neuen Buch eine Renaissance der Ideologie - und Sie trennen sie dazu vom Dogma. Wo liegt für Sie der Unterschied?1

Rainer Hank: Ideologie lässt sich von Ideen treiben und unternimmt den Versuch, Anschauung und Begriff zusammen zu bringen. Das Dogma hingegen ist starr, lässt sich von neuen Erfahrungen nicht aus der Ruhe bringen.

Ideologie ist für Sie nach Romano Guardini Welt-Anschauung im wörtlichen Sinne - der Standpunkt, von dem aus man die Welt betrachtet. Sollte man nicht versuchen, einen Standpunkt mit möglichst viel Abstand zum Geschehen einzunehmen, von dem aus sich gut abstrahieren lässt? Zum Beispiel den des Historikers, der verschiedene Epochen vergleichen kann? Oder den des Ethnologen, dem das mit Kulturen und Glaubensvorstellungen möglich ist?

Rainer Hank: Das unterstellt, es gäbe interesselose Standpunkte: eine Illusion. Ich will Aufklärung über den Standpunkt, deshalb will ich das Wort Weltanschauung rehabilitieren. Den neutral-objektiven Beobachter gibt es nicht. Wir sind alle Akteure, auch wenn wir Journalisten, Historiker, Philosophen sind. Das ist kein Nachteil, sondern eine Chance.

In einem großen Teil des Buches versuchen Sie, Ihren eigenen Standpunkt klar zu machen. Ganz klar wird er aber doch nicht: Einerseits berufen Sie sich auf Libertäre wie Robert Nozick und kritisieren die deutschen Ordoliberalen2, andererseits sehen Sie einen starken Staat als Garant für Märkte.3

Rainer Hank: Na ja, dass der Liberalismus kein monolithisches Gedankengebäude ist, spricht aus meiner Sicht eher für als gegen die Freisinnigen. Da erlaube auch ich mir, ein wenig hin und her zu changieren. Das ist so lange erlaubt, so lange es keine Widersprüche gibt. Ich will einen Staat, der Garant der Freiheit ist. Insofern bin ich kein Radikalanarcho. Von "starkem" Staat spreche ich nicht. Das haben Sie gesagt.

Sie schreiben, dass eine Gesellschaft mit gleichen Stundenlöhnen für alle Bürger spätestens dann passé wäre, wenn ein Steve Jobs einen iPod erfindet, eine J.K. Rawling einen Harry-Potter-Roman schreibt oder ein Stephen Spielberg einen Film dreht, weil die Menschen bereit seien, dafür sehr viel Geld zu zahlen.4 Was aber wäre, wenn der Staat keinen Monopolschutz auf solche Werke gewährt?

Rainer Hank: Das ist ein Missverständnis: Mit ging es in diesem Beispiel lediglich um die zentrale Frage der Entstehung von Ungleichheit auf legitime Weise. Auf englische Bücher gibt es keinen Monopolschutz. Und das iPhone wird ein paar Patente angemeldet haben. Das ist aber in Ordnung, denn auch geistiges Eigentum ist Eigentum, das geschützt werden muss. Sie haben recht: Wenn man den Schutz geistigen Eigentums übertreibt, verhindert man wirtschaftliche Dynamik.

Ein interessanter Punkt in Ihrem Buch ist die Diagnose, dass sich der linke Mainstream in den letzten 40 Jahren vom früher dort sehr wichtigen Begriff des Fortschritts praktisch komplett verabschiedet hat. Nach Slavoj Zizek ist mittlerweile das Tabu das zentrale Element dieses linken Mainstream - und daraus entsteht dann Kitsch. Wäre es da nicht sinnvoll, auch nicht mehr den Begriff "links" zu verwenden?

Rainer Hank: Doch. So lange Linke sich selbst links nennen, sollten andere sich daran halten und ihnen das nicht absprechen. Zugleich kann man ja diagnostizieren (und kritisieren), dass die Linke sich gewandelt hat - mit dem genialen Spruch von Franz Müntefering sind aus Fortschrittsfreunden der Technik Angsthasen der Technikfolgenabschätzung geworden.

Mit welcher Ideologie erreicht man Ihrer Ansicht nach am schnellsten und am meisten technischen Fortschritt?

Rainer Hank: Das zu begründen ist ja gerade das Ziel meiner Apologie des Liberalismus: Ein Grundvertrauen in den Prozess gesellschaftlicher Evolution à la Hayek, verbunden mit einer Grundskepsis à la Popper.

Wo würden Sie den Akzellerationismus einordnen, der auf eine liberale Entfesselung der Produktivkräfte hinarbeitet, bis diese so weit entwickelt sind, dass ein Systemwechsel geschieht?

Rainer Hank: Ich kenne das zu wenig, sorry. Es klingt mir sehr deterministisch.

In Ihrem Buch schildern Sie Ihren Neffen als eine Art Funktionalisten, der Sachen jenseits ideologischer Vorbehalte ausprobiert und sie verwirft, wenn sie nicht funktionieren. Was spricht da Ihrer Ansicht nach dagegen?

Rainer Hank: Der zentrale Einwand lautet: Probleme haben nicht nur eine funktionale, sondern auch eine normative Komponente. Mein Neffe, der sich als Pragmatiker ausgibt, übersieht das normative Problem, das eine Wertentscheidung fordert. Hier bin ich ganz nah bei der Kritik der Frankfurter Schule am sogenannten technokratischen Positivismus.

Widerspricht ein ewiges Festschreiben einmal durchgeführter Privatisierungen in Verträgen wie TTIP und TISA nicht dem Geist des Liberalismus?

Rainer Hank: Ja klar, Verträge müssen revisionsoffen sein. Zwar gilt im Prinzip, dass Private als Unternehmer besser geeignet sind als der Staat. Aber das heißt nicht, dass man blind immer für Privatisierung sein muss. Man muss aber (auch nicht blind) stets für Wettbewerb sein. Manchmal ist auch der Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Akteuren hilfreich.

Mit dem Ergebnis der Privatisierung der Wasserversorgung waren viele Bürger sehr unzufrieden. Ähnliches gilt für die anderer natürlicher Monopole. Aber warum nicht das Fernsehen oder Opern privatisieren? Ein Vergleich HBO / Degeto deutet darauf hin, dass das durchaus zu einer Verbesserung des Angebots führen könnte. Was meinen Sie: Warum probiert die europäische Politik nur das eine, aber nicht das andere aus?

Rainer Hank: Natürlich bin ich für eine Privatisierung von staatlichem Fernsehen und staatlichen Opern. Im Gegenzug kann man Armen Geld geben, wenn sie in die Oper wollen und Reiche mit degressiven Steuersätzen beglücken. Ein solches Programm würde man aber keiner Partei anraten, sie müsste baden gehen. Warum: Das ist unser deutscher (und kontinentaleuropäischer) Pfad der Daseinsvorsorge. Wir pflegen die Illusion, Opern und Hochschulen seien umsonst - und eine steuerähnliche Gebühr für den Rundfunkt verbessere die Qualität des Angebots.

Glauben Sie, dass es Katalysatorenbereiche wie die Bildung gibt, die man öffentlich bereitstellen sollte, damit Märkte überhaupt funktionieren?

Rainer Hank: So generell glaube ich das nicht. Die Bürger sind auch von sich aus an Kultur interessiert. Aber ein paar Bereiche bleiben vielleicht doch staatliche Aufgabe: das Archivwesen zum Beispiel. Eine geschichtsvergessene Gesellschaft würde sich freiwillig zu wenig um die kollektive Erinnerung kümmern, fürchte ich.

Die kontroverseste Forderung in Ihrem Buch dürfte sein, dass Sie für Kinderarbeit plädieren, ohne die sich Länder wie Bangladesch Ihrer Meinung nach nicht entwickeln können und ohne die sich die deutsche Unterschicht keine billige Kleidung kaufen könnte. Könnte man diese Probleme nicht mit Geburtenkontrolle und Robotern lösen?

Rainer Hank: Ich rechtfertige Kinderarbeit nicht. Ich stelle nur fest, dass das der Gang der Wirtschaftsgeschichte war, in Europa und Amerika zum Beispiel. Erst kommt die Kinderarbeit, dann das Verbot der Kinderarbeit. Wer es umgekehrt versucht, verhindert Wohlstand. Geburtenkontrolle klingt rabiat. Roboter sind zu teuer.

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