Guantanamo forever?

Die Veränderung, die US-Präsident Obama mit der geplanten Schließung des Lagers demonstrieren wollte, bleibt mehr und mehr in der Realpolitik hängen

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Eigentlich wollte US-Präsident Obama das Guantanamo-Lager schließen. Aber es gibt Probleme, was mit den verbliebenen Insassen geschehen soll. Während man einen kleineren Teil der Gefangenen im fortgesetzten Bush-Stil mit Militärtribunalen außerhalb der Standards eines Rechtsstaats aburteilen will, um so auch die durch Folter erpressten Geständnisse nicht zum Problem werden zu lassen, gibt es Schwierigkeiten, für die mutmaßlich ungefährlichen Gefangenen, die oft zufällig, beispielsweise durch Verkauf, in die Hände der US-Geheimdienste und des US-Militärs als "feindliche Kämpfer" und als die "Gefährlichsten der Gefährlichen" gerieten, aufnehmende Länder zu finden.

Nun also hat die amerikanische Gesellschaft das Problem erst einmal selbst zu lösen, das sie unter der Bush-Regierung selbst, selbstherrlich und in Missachtung des Rechts geschaffen hat. Warum sollten tatsächlich andere Staaten, die von der Bush-Regierung teils heftig unter Druck gesetzt wurden, um mitzuspielen, jetzt unter einem neuen Präsidenten als Lückenbüßer einspringen und die einst als gefährlich bezeichneten Gefangenen aufnehmen? Noch dazu unter Problemen, wie sie Deutschland zu gegenwärtigen hat, wenn hier die Uiguren aufgenommen werden sollten, die China als Terroristen bezeichnet und selbst überstellt bekommen will? Sollten die Deutschen ernsthafte Probleme mit China riskieren, um Obama aus der Patsche zu helfen?

In den USA wächst schließlich der Widerstand, Gefangene, die keine Gefahr mehr darstellen sollen, aufzunehmen, und es fehlt auch die Bereitschaft, sie in Gefängnisse auf US-Territorium zu übernehmen. Wenn Obama andere Staaten überreden will, Menschen aus Guantanamo aufzunehmen, dann müsste er durchsetzen, dass zunächst eine größere Gruppe in den USA aufgenommen wird – und das Land sich entsprechend entschuldigt. Das dürfte Obama auch deshalb schwer fallen, weil er Konflikten mit den Republikanern aus dem Weg gehen will, um die nationale Einheit zu beschwören, und weil er deswegen darauf verzichtet, die für die Folter in Guantanamo und anderswo Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Wie es derzeit aussieht, wird also Obama eine seiner ersten Entscheidungen, die den viel versprochenen "Change" und das "Yes we can" umzusetzen suchten, zu revidieren und Guantanamo erst einmal nicht zu schließen, was auch heißt, die unrechtmäßigen Bedingungen aufrecht zu erhalten. Der Senat hat schon einmal mit den Stimmen von Demokraten beschlossen, dass die von Obama beantragten 80 Millionen US-Dollar für die Schließung von Guantanamo bewilligt werden.

Man werde niemals zulassen, dass Terroristen in den USA frei gelassen werden, erklärte der demokratische Senator Harry Reid. Er sagte auch, dass man sie auch in US-Gefängnissen nicht haben will. Die Demokraten scheuen also vor dem Volk zurück, das noch an die von der Bush-Regierung unermüdlich verbreiteten Erzählungen glaubt. Während die Demokraten einen Plan verlangen, wie das Lager geschlossen werden kann, plädieren die Republiker wie der Senator Mitch McConnell für eine Weiterführung: "Nach meiner Überzeugung befinden sich diese Männer genau, wo sie sein sollten: eingesperrt in einem sicheren und geschützten Gefängnis und viele Meilen entfernt vom amerikanischen Volk." Auch FBI-Direktor schürt die Angst vor den Guantanamo-Gefangenen, die zumindest andere in den USA radikalisieren könnten.

Dahinter steckt womöglich auch die berechtigte Angst, dass manche der über Jahre unschuldig eingesperrten, gedemütigten und misshandelten Menschen den Amerikanern nicht wohlgesonnen sein könnten. Man weiß, dass Gefängnisse Brutstätten der Radikalisierung sind. Und warum sollten Menschen, die über Jahre nicht nur ihrer Freiheit beraubt, sondern auch gefoltert wurden, als USA-Freunde aus Guantanamo kommen, zumal ihnen auch das Recht verwehrt wird, vor amerikanischen Gerichten Wiedergutmachung einzuklagen oder die für Folter Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen?

Zur Rettung Obamas und der amerikanischen Politiker kommt nun wieder einmal ein Bericht aus dem Pentagon, nach dem die Guantanamo-Gefangenen eben doch gefährlich seien. Auch während der Bush-Regierung hatte man immer wieder argumentiert, dass Freigelassene sich den Aufständischen (wieder) anschließen und US-Soldaten bekämpfen würden. Damit sagte man zwar auch, dass die Freilassung entweder falsch oder Guantanamo Hass erzeugt, aber man wollte damit vor allem die Gefangennahme und Einsperrung der angeblich gefährlichen "feindlichen Kämpfer" rechtfertigen. Jetzt also spielte man wieder in einem doch sehr durchsichtigen Manöver der New York Times einen noch nicht veröffentlichten Bericht den Pentagon zu, nachdem einer von sieben der insgesamt 534 Freigelassenen wieder zum Terrorismus oder zur militanten Aktion zurück gekehrt sei. 74 der freigelassenen Gefangenen seien "wieder in den Kampf eingetreten", das würden fast 14 Prozent sein, wahrscheinlich sind es aber viel weniger. Allerdings gibt es vom Pentagon nur wenige konkrete Hinweise dafür. Kritiker sagen, dass eine Rückfallrate von 14 Prozent weit aus weniger sei als bei normalen Straftätern, die aus US-Gefängnissen entlassen werden.