Gut fürs schwarze Herz

Und die Diskriminierung

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Genetiker und Biologen benützen den Begriff "Rasse" inzwischen nicht mehr, wenn es um Menschen geht. Alle heute lebenden Menschen stammen höchstwahrscheinlich aus Afrika und es ist noch gar nicht so lange her, dass unsere Vorfahren ihre Wanderung in alle Welt begannen. Wir sind alle sehr eng verwandet und es verbindet uns mehr, als uns trennt. Trotzdem gibt es bestimmte Krankheiten, die sich in einzelnen Ethnien häufen – und entsprechende spezifische Behandlungsansätze. Konkret entzündet sich die Diskussion an einem Herzmedikament, das bei Afro-Amerikanern besonders wirksam sein soll.

Das Herz-Medikament Bidil der amerikanischen Firma Nitromed führt schon seit längerem zu heftigen Kontroversen über ethnisch spezifische Medizin (vgl. "Ethnische Medikamente?). Jetzt liegt eine Studie vor, deren Resultate beim Treffen der American Heart Association vorgestellt und im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden.

5 Millionen Amerikaner leiden an Herzerkrankungen, die bislang nicht behandelbar sind. Unter ihnen sind 750.000 Afro-Amerikaner, die doppelt so oft von diesem Krankheitsbild betroffen sind wie Weiße in den USA. Mehr als 50 Prozent der Erkrankten sterben innerhalb von 5 Jahren nach der ersten Diagnose. Bidil ist eine Kombination von zwei älteren Wirkstoffen, Isosorbiddinitrat und Hydralazin. Das Präparat erwies sich vor Jahren in einer breit angelegten klinischen Studie als nicht besonders effektiv. Aber dann nahm sich Jay N. Cohn von der University of Minnesota, der Entwickler des Medikaments, die alten Daten noch mal vor und stellte fest, dass die Wirksamkeit unter den afroamerikanischen Probanden erstaunlich hoch gewesen war.

Die Wirkung wurde dann in einer breit angelegten Studie erneut in der spezifischen Zielgruppe überprüft. 1.050 an Herzinsuffizienz Leidende, die nach eigenen Angaben afroamerikanischer Herkunft waren, bekamen im Rahmen der A-HeFT-Studie (African-American Heart Failure Trail) Bidil. Der Erfolg wurde mit einer Kontrollgruppe verglichen, die Placebos erhielt. Der Versuch wurde nach 18 Monaten im Juli abgebrochen, weil sich das neue Präparat schon als wirksam erwiesen hatte, und ethische Bedenken aufkamen, es der Kontrollgruppe vorzuenthalten, wie Nitromed verkündete. Es mehrten sich allerdings auch die Proteste, die im Ansatz von A-HeFT eine Festschreibung biologischer Rassestereotypen sehen.

Die Auswertung der Daten zeigt, dass Bidil sich deutlich bewährte: Für 43 Prozent der Probanden verlängerte die Einnahme ihre Leben, in der Placebos schluckenden Kontrollgruppe betrug die Todesrate 10.2 Prozent, unter Bidil-Patienten nur 6.2 Prozent. Deutlich gesenkt werden konnte auch die Anzahl der Herzkranken, die in ein Krankenhaus eingewiesen werden mussten; erhöht werden konnte die durchschnittliche Lebensqualität. Die einzigen Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen und Schwindelanfälle.

An der Studie beteiligte sich auch die Association of Black Cardiologists (ABC), die den Kritikern entgegen hält, bisher seien schwarze Amerikaner zwar die Hauptbetroffenen bei Herzinsuffizienz gewesen, in den breit angelegten Untersuchungen aber eher vernachlässigt worden. Malcolm Taylor, Vorsitzender der Association of Black Cardiologists Committee on Heart Failure kommentierte:

Afroamerikaner leiden überproportional an Herzversagen und bis zu A-HeFT waren sie in Studien zu Herzversagen unterrepräsentiert. A-HeFT bedeutet einen signifikanten Schritt vorwärts, um künftig dieses Missverhältnis auszugleichen.

Nitromed hat die Ergebnisse der amerikanischen Food & Drug Administration vorgelegt, um eine Zulassung des Medikaments zu erhalten. Die Firma hofft, es im kommenden Jahr auf den Markt bringen zu können.

Ethnien, Rassismus und Gene

Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff "Rasse" nach den Verbrechen des Nationalsozialismus nur noch sehr vorsichtig und üblicherweise nur für Tiere verwendet. Im Englischen ist "Race" dagegen ein gebräuchlicher Begriff, um über ethnische Unterschiede zu sprechen.

Dem Verhältnis von "Race" und menschlichem Genom widmet die Fachzeitschrift Nature Genetics in diesem Monat ein umfangreiches Special. Dort werden auch die Implikationen ethnischer Unterschiede für medizinische Ansätze diskutiert.

In diesem Zusammenhang wird natürlich auch die Zulassung von Bidil speziell für Schwarze in Frage gestellt. Getestet wird seine Wirksamkeit ausschließlich für diese Gruppe, aber es könnte ja auch sein, dass es bei Asiaten oder Südamerikanern ebenso wirksam ist. Es gibt nachweislich andere und stärkere Zusammenhänge zwischen bestimmten Gendispositionen und Krankheiten als die unterschiedlichen Hautfarben.

Der Genetiker Howard McLeod von der Washington University in St. Louis meldete schon im Juli gegenüber Nature starke Zweifel an dem ethnischen Ansatz an:

Ich glaube nach wie vor, dass die Pigmentierung der Haut ein ziemlich schlechtes Vorhersageinstrument der Herzfunktion ist.

Unter Genetikern gilt die klassische Rasseneinteilung der Menschen inzwischen als überwunden. Bei der genauen Betrachtung des menschlichen Erbguts erwies sich Hautfarbe oder Gesichtsform als ungeordnetes Kriterium, als biologisch weitgehend bedeutungslos. Es gibt zwar geografisch verteilte Unterschiede in der Menschheit, die in etwa den Kontinenten entsprechen, aber sie sind sehr gering. Der Evolutionsbiologe und Genetiker Richard Lewontin stellte bereits 1972 fest:

Eine Unterteilung der Menschen in 'Rassen' hat keinerlei sozialen Wert und wirkt sich auf die sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen entschieden destruktiv aus. Da man heute sieht, dass eine Unterteilung in Rassen praktisch weder genetisch noch taxonomisch von Bedeutung ist, kann es keine Rechtfertigung dafür geben, sie weiter zu verwenden.

Die Aufteilung der Menschen in verschiedene Ethnien hat politische Relevanz und enthält Hierarchien. "Rasse" ist vor allem eine soziale Konstruktion. Genetisch unterscheiden sich Individuen sowieso nur im Bereich von maximal 0,1 Prozent voneinander und neun von zehn unterschiedlichen Gen-Bausteinen haben überhaupt nichts mit ethnischer Herkunft zu tun, sondern treten innerhalb der Gruppen auf, die ethnisch voneinander abgegrenzt werden.

Wie willkürlich die Einteilung oft ist und dass sie Diskriminierungsschemata nicht zerstört, sondern im Zweifelsfall sogar zementiert, zeigt sich z.B. bei den Erhebungen in den USA, wo "Hispanic" als eine für Europäer immer wieder leicht verstörende Kategorie auftaucht. Von spanischen Einwanderern abstammende Südamerikaner sind für Europäer keine Angehörigen anderer, sondern der eigener "Rasse". Francis Collins, Leiter des National Institutes of Health in Bethseda bringt es in Nature Genetics auf den Punkt:

Wir sind genetisch weitaus nuancierter und differenzierter als es an unserer Hautfarbe abzulesen ist. (...) Die Forschung muss sich endlich über diese schwache und ungenaue Verknüpfung (von Rasse und Krankheit) hinwegsetzen. In vielen Fällen haben Unterschiede in der Gesundheit wenig mit der Genetik zu tun, sondern vielmehr mit der Kultur, Ernährung, den sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, Zugang zu ärztlicher Fürsorge, Bildung und Umwelt, dem gesellschaftlichen Stand und eventueller Diskriminierung sowie Stress und anderen Faktoren.