Gute Kriege, schlechte Kriege?
Seite 2: Das Recht auf Selbstverteidigung
- Gute Kriege, schlechte Kriege?
- Das Recht auf Selbstverteidigung
- Vermittlungsinstitutionen systematisch geschwächt
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Diese Einseitigkeit zu kritisieren, darf jedoch nicht zur Idealisierung der anderen Seite führen. Gerade eine sachliche Kritik sollte bei der Verurteilung aller Kriege bleiben, auch wenn von anderer Seite ein Schema unterschiedlicher Bewertung und Relativierung etabliert wird.
Auch wenn es einen wichtigen Unterschied zwischen den Kriegslügen von George Bush und Tony Blair gibt, die eine "Koalition der Willigen" 2003 in den völkerrechtswidrigen Irakkrieg führten, im Vergleich zur Situation an der russischen Grenze heute. Hier gibt es ein Fünkchen Wahrheit in Bezug auf eine Bedrängnis Russlands, mag es auch noch so vehement jeder Nato-Sprecher leugnen. Nato-Stationierungen und Trainings bis an die litauisch-russische Grenze oder in der Ostsee reichen schon nah an die wichtigsten Städte der Russischen Föderation heran.
Und auch der Einbezug der Ukraine in diverse Trainingsprogramme mag die russische Führung nicht beruhigt haben. Aber rechtfertigt das einen Angriff auf das Nachbarland? Zumal man sich fragen muss, ob der russische Präsident wirklich alle anderen Handlungsoptionen ausgeschöpft hat – UNO-Sicherheitsrat anrufen etc.
Klar, die USA haben gezeigt, dass man dabei auch ritualisierten Missbrauch treiben kann. Aber rechtfertigt das, diese formalen Schritte auszulassen? Klug ist es jedenfalls nicht.
Nun wird in manchen Kreisen diskutiert, ob die Ukraine oder Russland nach Paragraf 51 der UN-Charta das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen kann.
Aus ukrainischer Sicht ist der Rechtsanspruch ganz klar, während ein "vorsorglicher Angriff" immer ein Legitimationsproblem behält. Putin hat sich militärisch wie auch mit dem Trick, die Oblaste Donezk und Luhansk ins eigene Staatsgebiet einzuverleiben, verschätzt.
Dies macht auch die langjährige Bekämpfung der russischen Minderheiten an der südöstlichen Grenze der Ukraine zu Russland nicht wett.
Einen UNO-Schutzstatus für diese gab es nicht. Dies war anders in Südossetien, wo Russland das UNO-Mandat als Schutzmacht hatte, weshalb es nach dem Angriff Georgiens im Spätsommer 2008 dort eingreifen musste.
Dies bestätigt eine EU-Factfinding-Commission ein Jahr später, worüber u.a. im Spiegel mehrmals berichtet wurde.
Dennoch scheint das Fakt heute vergessen oder Politiker und Medien verbreiten dazu vehement die Unwahrheit. Vielleicht, weil ein russischer Angriff besser ins Feind-Framing passt und man meint, es gäbe gute Fake News im Sinne eines angegriffenen Opfers?
Diese Einschätzung tut der Feststellung des aktuellen Rechtsbruchs durch Russland keinen Abbruch. Selbst wenn man den offiziell erklärten Angriff Putins auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nicht als Anfangspunkt einer militärischen Konfliktaustragung begreift, weil man um die Entwicklung in Russland, der Ukraine, EU und der USA weiß – vor allem mit Blick auf die Ukraine-Krise 2013/2014, aber auch bereits zuvor – so kann dieses Wissen diesen Angriff nicht rechtfertigen.
Betont man das nicht, treiben am Ende diejenigen den Abbau von Völkerrechtsstandards voran, die das Ignorieren vonseiten der USA stets kritisierten.
Wie aber in Zukunft protestieren bzw. wofür, wenn man jetzt die Maßstäbe dafür über Bord wirft? Wen will man hinter nicht mehr vorhandenen Rechtsgrundlagen versammeln? Mit der Aufgabe würde man den Falschen zuarbeiten, denen nämlich, die schon lange an der Demontage des Völkerrechts wie auch den es vertretenden Institutionen arbeiten. Das wäre also nicht nur Unterwerfung, sondern würde auch das eigene Anliegen schwächen – nämlich die klare Verurteilung von Kriegen als Mittel von Geopolitik.
Menschen- und Völkerrecht als unabdingbare Verständigungsbasis
Den Streit um Entstehungsgeschichte und Eurozentrismus in Sachen Menschen- und Völkerrecht außen vor lassend, möchte ich diese Rechtsgrundlagen unumwunden verteidigen. Denn was regen wir uns sonst auf? Wenn alle das Völkerrecht brechen dürfen, warum Russland dann nicht?
Nur umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer den Völkerrechtsbruch und die Kriegsverbrechen Russlands kritisiert, muss dafür sorgen, dass Recht und die Verfolgung von Verbrechen konsequent für alle umgesetzt werden – also natürlich auch für von der Ukraine begangene Verbrechen, wie allen anderen Akteuren auch.
Welche Bewertung und Bestrafung je nach Schweregrad und Kontext vornimmt, ist die Sache von Gerichten, deren Unabhängigkeit und Reichweite zu stärken und nicht zu schwächen ist. Genau hierin liegt das Ziel für die Zukunft, die nur mit Gerechtigkeit gestaltet werden kann – um glaubwürdig und anschlussfähig für wirklich alle zu sein.
Und für Rechtsprechung und Gerechtigkeit braucht es allgemeingültige Standards. Auch hier lässt sich der Sog des schlechten Beispiels erkennen: Nach dem Aufkündigen von Rüstungskontrollverträgen vonseiten der USA zieht nun Russland mit dem Aussetzen an New Start nach.
Insofern sind die Vorschläge von Innenminister Marco Buschmann (FDP) kritisch zu prüfen, der von einer "Fortentwicklung des Völkerstrafrechts" spricht. Minister Buschmann geht es in seinem Eckpunktepapier vor allem um eine Stärkung der Verfolgungsmöglichkeiten von Kriegsverbrechern, wobei er nicht alle im Blick zu haben scheint.
Eine mögliche Lex Putin darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass neben Russland auch die USA und andere Akteure, die das Völkerrecht bereits mehrfach gebrochen haben, den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen. Die Verfolgungsmöglichkeiten jenseits dieser expliziten Anerkennung wären durchaus diskussionswürdig – aber natürlich nur, wenn auch hier gleiches Recht für alle gilt.
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