Gute Kriege, schlechte Kriege?

Seite 3: Vermittlungsinstitutionen systematisch geschwächt

Die Demontage der UNO vonseiten der USA und Großbritanniens sowie die Vereinnahmungsversuche der OSZE durch die Nato (Doktrin 1999) und viele Thinktank-Gründungen dürfen nicht dazu führen, dass man die Verhandlungs- und Vermittlungsinstitutionen verwirft, die lange vor dem Einsatz von Militär zu Interessenausgleich und Konfliktlösungen auffordern und beitragen können.

Bei aller Ineffizienz, die heute in diesen Institutionen feststellbar ist, muss man diesen Zustand als gewollt und gemacht begreifen von genau denjenigen, die sich in der Übermacht fühlen. Der Widerspruch zum Grundgedanken einer Völkergemeinschaft – im besten, und nicht völkischen Wortsinne – wird hier bereits deutlich.

Wenn es aber ums Überleben der Menschheit auf diesem Planeten gehen soll, dann werden wir schlicht nicht auf ehrliche Vermittlungsinstitutionen verzichten können. Es waren politische Entscheidungen, die in die aktuelle Misere führten, also können auch wieder andere politische Entscheidungen getroffen werden – mit dem Ziel, Erfahrungsaustausch und Interessenausgleich zu stärken und die Vermittlung zukunftsfit zu machen. Dazu gehört vermutlich die Einführung eines gleichwertigen Stimmrechts in der UNO und die Beiordnung des sogenannten Sicherheitsrats als allenfalls beratendes Gremium.

Dass die Aufwertung des Stimmgewichts der Länder des Globalen Südens bis heute noch nicht stattgefunden hat, ist ein Skandal, der Züge von Neokolonialismus trägt, aber noch nicht seinen Weg in die Medien gefunden hat. Insofern wäre eine "Fortentwicklung" der Exekutivinstitutionen zur Durchsetzung des Völkerrechts sicher überlegenswert, aber nicht die Änderung der Rechtsgrundlagen.

Kommt der Fortschritt aus dem Globalen Süden?

Koloniale Erfahrung, Einmischung in innere Angelegenheiten und aktuelle ökonomische Ausbeutungsstrukturen haben zu einer Glaubwürdigkeitskrise des Wertewestens geführt.

Das hier auch medial dominante Framing von den von Russland und China in Abhängigkeit gebrachten südlichen Ländern verfängt in Globalen Süden weit weniger. Wahrgenommen wird dort hingegen auch der Neokolonialismus in Form von IWF-Krediten und Import-Export-Kontrolle sowie der Interventionismus als Teil einer "regelbasierten Ordnung". In dieses Schema wird offenbar auch die Aufforderung eingeordnet, nur Russlands Angriff auf ein anderes Land zu verurteilen.

Dort fragen sich viele: Warum nur Russland? Was ist hier anders als bei den anderen Überfällen? Warum gilt nicht gleiches Recht für alle? Die Morde an Lumumba im Kongo, Allende in Chile und weitere Interventionen sind im Bewusstsein der betroffenen Länder präsenter als im hiesigen Diskurs.

Warum sollte man sich also jenseits von erpresserischen "Investitionen" und "Entwicklungshilfen" auf die Seite derer stellen, die bisher vor allem durch Machtausübung und Ausbeutestrukturen aufgefallen sind und deren Ansehen im Lichte der globalen Ressourcen- und Umweltkrise sinkt. Aber auch in Afrika gibt es Stimmen, die die gleiche Verurteilung aller Völkerrechtsbrüche forder.

Zur globaleren Sicht gehört aber auch, dass der erkennbar gen Indopazifik schweifende Blick von USA und Nato erahnen lässt, wie der "Wertewesten" bald seine Aufmerksamkeit von der Ukraine ebenso abziehen wird wie kürzlich erst von Afghanistan – in dem man 20 Jahre lang vermeintlich unsere Sicherheit verteidigte und die nun plötzlich nicht mehr bedroht sein soll.

Die Gefahr völkerrechtswidriger Drohnentötungen auf Verdacht war zudem nicht auf Afghanistan beschränkt. Und nun will man den Menschen im insgesamt stärker bedrohten Globalen Süden erzählen, dass die sogenannten Kamikazedrohnen iranischer Bauart, die Russland in der Ukraine einsetzt, schlimmer sein sollen, als die über Ramstein gesteuerten tödlichen US-Drohnen?

Natürlich darf mit der Kritik am Doppelmaß nicht die Ächtung dieser Waffen über Bord geworfen werden. Auch hier wird umgekehrt ein Schuh draus. Woran nämlich sollen wir uns sonst in Zukunft gemeinsam orientieren, wenn das Aushöhlen die Standards weiter zugelassen oder gar mitbetrieben wird?

Die Dysfunktionalität der internationalen Ordnung mit ihren angegriffenen Institutionen kann also weder zur Rechtfertigung eines Machtvorsprungs noch einer Kriegslogik dienen oder gar die immer offener zu Tage tretende Ermächtigung der Nato als eigener politischer Akteur schönfärben.

Im Gegenteil, darauf gibt es nur eine Antwort: Ohne Wenn und Aber – also ohne Doppelmaß – müssen die geltenden Standards endlich zu ihrem Recht kommen, für alle gleichsam. Nur das kann deren Beschädigung zuwiderlaufen und den Kriegstreibern hüben wie drüben einen Strich durch die Rechnung machen.

Denn, wie ich kürzlich auf einem Demonstrationsschild las, stimmt sicher folgende Feststellung: "Die Waffen liefern die Reichen, die Armen die Leichen." Und im Süden weiß man das anscheinend besser als in großen Teilen der Nordhalbkugel.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.