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Die blutige Spaltung der Palästinensischen Gebiete hat dazu geführt, dass es den Menschen im Westjordanland bald besser gehen könnte

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Man könnte es zynisch nennen: Eineinhalb Jahre lang haben die Bemühungen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und des Regierungschef Ismail Hanijeh, nationale Einheit zwischen der radikalislamischen Hamas und seiner eigenen Fatah zu erreichen, dazu geführt, dass die internationale Gemeinschaft die Palästinensischen Autonomiegebiete boykottierte. Öffentliche Bedienstete wurden Monate lang nicht bezahlt, Armut und soziale Not nahmen zu, das israelischen Militär griff regelmäßig die Kampfgruppen der beiden Organisationen an, während im Hintergrund immer der vor allem ideologisch motivierte Machtkampf schwelte, der im Gazastreifen zunehmend blutiger wurde. Dann brachen die Kontroversen Ende Mai im Gazastreifen offen aus, es gab Feuergefechte, bei denen mehr als 160 Menschen starben, Hunderte verletzt wurden. Gaza fiel an die Hamas – und plötzlich war alles gar kein Problem mehr: In Windeseile fügten sich Fatah und internationale Gemeinschaft in die neue Realität ein, schrieben Gaza, das sowie so schon seit Langem anders als das Westjordanland gewesen war, ab und gingen zur Tagesordnung über: Der Boykott ist beendet, viele israelische Kontrollpunkte in der Westbank sollen abgebaut, Gipfel-Treffen abgehalten werden – schon in der kommenden Woche könnte das Leben der Menschen im Westjordanland damit beginnen, sich zu verbessern. Im Gazastreifen hingegen kann es kaum noch schlechter werden.

Die Zukunft endete morgens um kurz nach zehn. Ein paar letzte Schüsse fielen, von denen unklar war, ob da tatsächlich noch gekämpft wurde, oder ob sie schon zum Freuden-Rumgefeuer gehörten, das am Mittwoch vergangener Woche stundenlang durch Gaza-Stadt hallen würde: Gaza, meldeten die Nachrichtenagenturen, sei gefallen, und natürlich war es nicht die gesamte Stadt, sondern nur ein Gebäude eines der vielen Sicherheitsdienste der Palästinensischen Autonomiebehörde, das gefallen war, aber es war ein Symbol – für Korruption, für Unsicherheit, für alles Schlechte, das den Menschen im Gazastreifen im Laufe der vergangenen Jahre widerfahren war. Aber in den Augen der Hamas war dieses schmucklose Bauwerk vor allem ein Symbol für den Sieg über die Fatah, diese verhasste Fraktion von Präsident Mahmud Abbas, der sie vorwerfen, ihr den Lohn für den Sieg bei den Parlamentswahlen im Januar vergangenen Jahres zu versagen: die Macht. In jenen Stunden nahmen sie sie sich mit Gewalt. Und töteten damit jede Hoffnung, so sie denn noch vorhanden war, dass es den Menschen im Gazastreifen irgendwann wieder besser gehen würde.

Sicherer, aber nicht besser

Sie wollten Freiheit; Freiheit von Armut, Gewalt und Konflikten, die von ihren Teilnehmern, ganz gleich ob Israeli oder Palästinenser, mit der Waffe ausgetragen wurden. Jetzt ist eine Woche vergangen, die Straßen sind zum ersten Mal seit vielen Monaten sicher – aber besser geht es den Menschen nicht. Ganz im Gegenteil: Schnell sinkt zwischen Rafah und Erez die Erkenntnis ein, dass die Sicherheit für den Preis erkauft wurde, künftig von Männern beherrscht zu werden, die das Herrschen nicht gelernt, aber dafür sehr genaue Vorstellungen davon haben, wie ihre Herrschaft auszusehen hat. Denn ihre Verfassung ist der Koran, ihr politisches Programm die Plattform der Hamas. Und Beides zusammen genommen ergibt eine sehr explosive Mischung. Man werde die Angriffe gegen Israel fortsetzen, sagen Sprecher der Organisation immer wieder. Und vor allem werde man im Gazastreifen einen islamischen Staat aufbauen.

Und das macht selbst im erzkonservativen Gazastreifen vielen Menschen Angst: Religiös ist man, ja, aber in einem zweiten Iran leben – nein. „Wir möchten so leben, wie wir das für richtig halten – da darf uns niemand reinreden“, sagt ein Einwohner Gazas, der darum bittet, seinen Namen, nicht einmal das Stadtviertel, in dem er lebt, zu nennen – wie nahezu jeder: Niemand möchte mit der Presse sprechen, und wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand. Denn wenn ausländische Journalisten vor Ort sind, dann sind Hamas-Mitglieder nicht weit, die aufpassen, dass die Gäste nicht mit den Falschen sprechen, und die Richtigen höflich zurechtweisen, wenn sie etwas Falsches gesagt haben. Gaza war immer schon ein trostloser Ort, grau, arm, stickig, und in diesen Tagen ist der hoffnungslos übervölkerte Landstrich, in dem es eigentlich nur dort ein bisschen Platz gibt, wo früher die israelischen Siedlungen standen, noch sehr viel trostloser: Man hat Angst vor der Isolation, die nun einsetzen könnte, davor, dass Israel vielleicht Strom und Wasser abstellen sowie die Benzin- und Gaslieferungen einstellen könnte. Die Regierung in Jerusalem versucht indes, derlei Befürchtungen zu zerstreuen: Man werde nichts tun, was zu einer humanitären Katastrophe beitragen könnte, sagt ein Sprecher von Premierminister Ehud Olmert.

Isolieren, einmarschieren oder beobachten?

Aber bei einigen seiner Koalitionspartner gibt es Widerspruch: Israel müsse den Gazastreifen vollständig isolieren, fordert beispielsweise Avigdor Lieberman von der rechtspopulistischen Jisrael Beitenu-Partei. Und Verteidigungsminister Ehud Barak, der erst Anfang dieser Woche als Nachfolger des zurückgetrenen Amir Peretz vereidigt wurde, würde am Liebsten mit einer groß angelegten Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen vorgehen: Bis zu 20000 Soldaten könnten daran beteiligt sein. Doch Regierungschef Olmert will davon nichts wissen – im Moment werde man abwarten und beobachten, heißt es aus seinem Büro offiziell - und hinter vorgehaltener Hand wird hinzugefügt, dass es aus seiner Sicht auch gar nicht so schlecht sei, die ganze Sache dazu zu nutzen, sich mal einen positiveren Anstrich zu geben.

Und so läuft die PR-Maschine auf vollen Touren: Medienwirksam evakuierten Soldaten verletzte Palästinenser in israelische Krankenhäuser; noch medienwirksamer denken die Analysten der Regierung laut darüber nach, wie man den Menschen im Gazastreifen am Besten helfen könnte. „Wir werden nicht dabei stehen und zusehen, wie Unschuldige leiden, auch wenn es eigentlich nicht unser Problem ist“, heißt es aus dem Außenministerium

Doch Warenlieferungen, ja der gesamte Grenzverkehr, ist im Moment nicht so einfach, wie es klingt: Die Sorge um die Sicherheit des israelischen Personals an den Kontrollpunkten und die Doktrin, keinerlei Kontakte mit der Hamas zu pflegen, haben dazu geführt, dass die Checkpoints schon vor zwei Wochen geschlossen und seitdem nur in absoluten Ausnahmefällen wieder geöffnet wurden. Denn die palästinensischen Polizisten, die bisher auf der Gaza-Seite der Übergänge eine erste Kontrolle von Ausreisewilligen vor- und Lieferung entgegen nahmen, sind mittlerweile über Ägypten ins Westjordanland geflohen, und Israelis auf die andere Seite zu schicken – das ist der Regierung zu gefährlich: Man hat Angst, dass die Hamas oder andere Gruppen dies zu Anschlägen nutzen könnten.

Gefahr einer humanitären Katastrophe

Die Gefahr einer humanitären Katastrophe steigt also mit jedem Tag: Dem Gazastreifen drohen die Lebensmittel und medizinische Ausstattung auszugehen. Zwei, maximal drei Wochen blieben noch, um eine Lösung zu finden, warnen Experten einstimmig, wahrscheinlich sogar eher weniger: Denn obwohl der Sommer erst begonnen hat, ist es ungewöhnlich heiß, und der Geldmangel der Menschen hat dazu geführt, dass Fehlernährungen weit verbreitet sind. Die wiederum führen dazu, dass vor allem Kinder und ältere Menschen häufiger Schwächeanfälle erleiden und anfälliger für Krankheiten sind. Doch die Krankenhäuser sind darauf nicht mehr vorbereitet – nach der Behandlung von vielen Hundert, die während der Kämpfe der vergangenen Wochen verletzt worden waren, sind die Vorräte so gut wie aufgebraucht.

Und so wird auch in Israel unter Hochdruck nach einer Lösung gesucht: Schon tröpfelt ein kleiner Strom an Hilfslieferungen durch den Übergang Kerem Schalom, an dem Lieferungen zunächst auf ägyptisches Gebiet gebracht werden, wo sie dann von ägyptischen Grenzern an Palästinenser übergeben werden. Aber dieses Terminal ist zu klein für die Massen an Gütern, die für die Versorgung von mehr als 1,4 Millionen Menschen gebraucht werden. Dementsprechend ist im Moment eine Vielzahl von Ideen im Umlauf: Die Luftwaffe solle Güter aus der Luft abwerfen; die Marine Waren von der See aus an Land bringen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass einfach Mitarbeiter der UNRWA, einer Hilfsorganisation der Vereinten Nationen, die Lieferungen über die Grenze bringen werden. Aber: Eine Entscheidung gibt es noch nicht. Denn die Vereinten Nationen sind ein schwerfälliger Apparat, bei dem jede Abweichung von der Norm eine Vielzahl von Feinjustierungen erfordert.

Aber immerhin gibt es Hoffnung – mehr als für die Bewohner des Gazastreifen, die gerne ins Westjordanland ausreisen würden. Hunderte warteten auf der palästinensischen Seite des Erez-Kontrollpunktes an der Grenze zwischen Gazastreifen und Israel, bis vor ein paar Tagen die Erkenntnis einsickerte, dass Israel die Grenze nicht aufmachen würde, und dass man an dem Kontrollpunkt ein ungeschütztes Ziel für Kämpfer der Hamas abgab, die die Fluchtwilligen als Verräter betrachten – bei einem Angriff auf die Wartenden waren am Montag mehrere Menschen ums Leben gekommen. Und dennoch: Die ganz Verzweifelten, so an die 150, sind geblieben. Die meisten haben nicht mehr als einen Koffer und ein paar Schekel dabei; aber, sagt man hier, alles sei besser, als das was jetzt kommen könnte.

Dass die Hamas Jagd auf Mitglieder der Fatah macht, jeden festnimmt, der in den Verdacht gerät, mit ihr zu sympathisieren, spielt hier nur eine untergeordnete Rolle – die meisten Angehörigen von Sicherheitsdiensten und Fatah-nahen Milizen sind längst nach Ägypten ausgereist.

Angst vor der Islamisierung

Größer ist die Angst vor der Islamisierung: Direkt nach der Machtübernahme hat die Hamas Frauen das Tragen von Kopftüchern und Internetcafés die Schließung befohlen. In Gaza-Stadt wurden Flugblätter verteilt, in denen erklärt wird, dass sich die kleine christliche Gemeinschaft dem Islam unterzuordnen habe. Kritische Journalisten werden eingeschüchtert, weiblichen Journalisten die sofortige Aufgabe ihres Berufs nahe gelegt – und das recht rabiat, wie eine palästinensische Kollegin berichtet: „Gaza war kaum in die Hände der Hamas gefallen, als mitten in der Nacht drei vermummte Männer mit Waffen vor meiner Tür standen. ,Zieh' Dir ein Kopftuch über; das ist unanständig“, haben sie gesagt. Dann haben sie begonnen, unsere Wohnung zu durchsuchen, angeblich auf der Suche nach Beweisen dafür, dass ich der Fatah angehöre. Als mein Mann versuchte, sie hinaus zu werfen, haben sie ihn geschlagen, und mich auch. Bevor sie gegangen sind, haben sie mir gesagt, ich solle mich nie wieder in meinem Sender blicken lassen. Ich habe gefragt, was sonst passieren würde, und einer der Männer feuerte in unserem Wohnzimmer eine Gewehrsalve ab und sagt: ,Wir haben Dich gewarnt““.

Sie hat es geschafft – sie ist eine von jenen, denen Israel die Ausreise ins Westjordanland erlaubt hat. Die Glücklichen waren nahezu ausschließlich Fatah-Funktionäre und Journalisten, die allerdings nur nach einigem Druck durch die israelische Journalistengewerkschaft auf die Liste gesetzt wurden.

Im Westjordanland trafen die Flüchtlinge auf eine Welt, deren Bewohner sich nach dem anfänglichen Schock überraschend schnell mit der neuen Realität abgefunden und den Gazastreifen abgeschrieben haben: Hier herrscht eine eher gleichgültige Stimmung. „Das ist eben Gaza, da passieren solche Sachen“, sagte der 57jähriger Jerusalemer Naja Schweiki während eines Freitagsgebets auf dem Jerusalemer Tempelberg, von Muslimen Haram al Scharif genannt: „Hier bei uns könnte das nicht passieren; wir sind viel zivilisierter.“ Die Umstehenden nickten zustimmend.

Von „Bruderkrieg“ will man hier nichts hören - „wir sind keine Brüder“, sagt einer der Männer, der seinen Namen nicht nennen will, „ein Volk ja, aber Brüder sind wir nicht mehr – der Gazastreifen war so lange von uns getrennt, dass dort eine völlig andere Mentalität herrscht. Es ist besser, wenn die ihr Ding machen, und wir das Unsere.“

Und dennoch: Die Angst, dass die Konfrontation auch auf das Westjordanland übergreifen könnte, ist bei Israelis und Palästinensern groß. Die Freitagsgebete in Jerusalem finden seit Wochen schon unter massivem Polizeischutz statt; Zutritt haben nur Männer über 45 und Frauen über 35 die in Israel oder Ost-Jerusalem wohnen. „Wir haben konkrete Hinweise, dass etwas geschehen könnte“, sagt ein Polizeisprecher: „Die Stimmung ist sehr sehr aufgeheizt.“ Nicht nur, dass Fatah-nahe Sicherheitskräfte im Westjordanland damit begonnen haben, Mitglieder der Hamas zu verhaften und Präsident Abbas die erst vor einigen Monaten gebildete Einheitsregierung gegen eine Notstandsregierung ohne Beteiligung der Islamisten ausgetauscht hat – im Raum steht auch die implizite Drohung des Gaza-Regierungschefs Ismail Hanijeh, für ein Übergreifen des Konflikts auf das Westjordanland zu sorgen: Nachdem Präsident Mahmud Abbas die Regierung gefeuert hatte, erklärte Hanijeh in einer Ansprache den Schritt für Null und nichtig, nannte ihn „unüberlegt“ und warnte vor den Konsequenzen.

Besser bewaffnet und organisiert

Und die könnten durchaus folgenreich sein: Zwar hat die Hamas im Westjordanland nicht besonders viele Kämpfer, aber die sind dafür umso besser ausgerüstet, während die Sicherheitskräfte und die Anhänger der Fatah zwar zahlreich, aber schlecht bewaffnet und organisiert sind – eine Konstellation in der auch Mitarbeiter von Präsident Abbas das Potential für ein weiteres Debakel sehen: „Falls die Hamas auch Teile des Westjordanlands einnimmt und Israel einschreitet, ist das Ende der Autonomiebehörde gekommen“, heißt es in Abbas' Büro.

Um es nicht so weit kommen zu lassen, arbeitet man deshalb, im Hintergrund unterstützt durch amerikanische Sicherheitsexperten, auf Hochtouren daran, sich fit für die Konfrontation zu machen, die vielen Beobachtern zur Zeit unausweichlich scheint. „Ich glaube nicht, dass die Hamas sich allein mit Gaza zufrieden geben wird“, sagt der Journalist Hischam Zubaidi: „Nach ihrem militärischen Sieg haben die das Gefühl bekommen, dass sie mehr erreichen können – und sie sehen sich auch noch im Recht, denn immerhin haben sie ja die Wahl gewonnen und die Fatah verweigert ihnen die Macht.“

Allerdings steigt mit jedem Tag die Wahrscheinlichkeit, dass die Konfrontation ausbleiben wird. Die Festnahmen haben die Hamas geschwächt; zudem erkennen die immer mehr Menschen im Westjordanland, dass sie davon profitieren können, dass das Tischtuch zwischen Hamas und Fatah nun endgültig zerschnitten ist. Direkt nach dem Fall Gazas gab Israels Regierung bekannt, man werde Gaza und Westjordanland künftig als zwei getrennte Einheiten behandeln, nach der Bildung der Notstandsregierung unter der Führung des international ziemlich angesehenen Finanzexperten Salam Fajad erklärte Olmert die neue Regierung zum „Partner“ und den Boykott für beendet. „Positive Akzente“ setzen, lautet die neue Doktrin der israelischen Regierung; Präsident Abbas und seine Regierung sollen mit allen Mitteln gestützt werden.

Und das bedeutet, möglich zu machen, was noch vor einem Monat unmöglich schien: Am Sonntag soll das Kabinett die Freigabe der von Israel eingefrorenen Mehrwertsteuer- und Zolleinnahmen (Israel, die Palästinensische Autonomiebehörde und Jordanien bilden eine Zollunion) bewilligen; von an die 400 Millionen US-Dollar ist die Rede. Schon am Dienstag könnte dann das Geld auf den Konten der Autonomiebehörde eingehen – die dann umgehend dafür sorgen will, dass wenigstens ein Teil der seit Monaten unbezahlten Löhne ausgezahlt wird. Zudem wollen die Europäische Union und die Vereinigten Staaten ihre Finanzhilfen wieder aufnehmen. Und: Israels Regierung will in den kommenden Tagen darüber entscheiden, wie viele der vielen Militär-Kontrollpunkte zwischen palästinensischen Städten und Dörfern abgebaut werden.

"Bewegung zeigen"

Der Grund für Olmerts nachdrückliches Wirken ist dabei ein ganz Eigennütziger: Für ihn sind die Entwicklungen eine willkommene Gelegenheit, sich nach Monaten der Affären und Umfragetiefs zur Abwechslung mal als Staatsmann zu präsentieren und Pragmatismus zu zeigen. „Bewegung zeigen“, laute das neue Motto, heißt es. Und das scheint aufzugehen: Auch wenn die Umfragewerte immer noch jenseits der Nachweisbarkeitsgrenze liegen, sind sie wenigstens etwas nach oben gegangen. Von den Neuwahlen, die der neue Vorsitzende der Arbeiterpartei, Ehud Barak, eigentlich nach der Wahl Mitte Juni hatte aushandeln wollen, ist vorerst keine Rede mehr. Eine weitere Gelegenheit, Optimismus zu zeigen, werden Olmert und Abbas in der kommenden Woche bekommen: Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat die Beiden eingeladen, mit ihm und dem jordanischen König Abdullah II zu einem Gipfel in Scharm el Scheich zusammenzukommen.

Nur: Spätestens dort werden Olmert und Abbas zeigen müssen, wie groß ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit, also auch zu Verhandlungen über eine Fortsetzung des Friedensprozesses, ist. „Ich befürchte, dass nicht viel dabei herauskommen wird, und das wäre fatal“, sagt Ami Ajalon, Abgeordneter der Arbeiterpartei und ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth: „Wenn wir die palästinensische Regierung stützen wollen, dann müssen wir Zugeständnisse machen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie weit Olmert dabei zu gehen bereit ist.“

Wie weit Olmert gehen sollte, ist auch innerhalb der Koalition umstritten: Während Ajalon beispielsweise davon spricht, Israel solle den beliebten Fatah-Funktionär Marwan Barghouti freilassen, der wegen fünffachen Mordes einsitzt, um Abbas zusätzliche Rückendeckung zu geben, weist Avi Dichter, Minister für innere Sicherheit und ebenfalls ehemaliger Geheimdienstmann, einen solchen Schritt als „gefährlich“ zurück – eine Freilassung halte er zwar nicht für vollständig tabu, aber zuvor müsse man ganz genau wissen, worauf man sich dabei einlasse: „Im Moment ist das Ergebnis unkalkulierbar – Abbas könnte dadurch sogar unter Umständen geschwächt werden.“

Allerdings ist die Skepsis groß, dass Olmert überhaupt zu irgend etwas bereit ist: Denn er ist dafür bekannt, dass er mit seinen Reden ganze Säle um den Finger wickeln kann, nur um es sich dann beim Verlassen des Raumes wieder anders überlegt zu haben. Das letzte Mal, als er beispielsweise den Abbau von Kontrollpunkten versprach, wurde am Ende bekannt, dass einige davon ohnehin nicht mehr existierten oder nie existiert hatten; andere wiederum wurden abgebaut, nur um anderswo die Kontrollen zu verschärfen.

Geflohene Funktionäre in teuren Hotels

Diesmal allerdings könnte eine derartige Verfahrensweise fatale Folgen haben: Denn auch wenn die Menschen im Westjordanland die Aussicht auf eine Besserung ihres Lebens genießen, beobachten sie dennoch misstrauisch die Handlungen der Notstandsregierung. Schon jetzt gibt es Unmut, weil die aus Gaza geflohenen Fatah-Funktionäre in teuren Hotels untergebracht wurden; die Medien werfen den Sicherheitskräften vor, sie hätten nicht genug getan, um sich gegen die Hamas durchzusetzen. Abbas indes sieht sich der Kritik ausgesetzt, er habe den Beamten nicht den Rücken gedeckt und es nach dem Wahlsieg der Hamas im Januar vergangenen Jahres, der vor allem ein Protestvotum war, versäumt, die Fatah-Fraktion von Grund auf zu reformieren: „Wie kann ein hungriger Wächter das Haus eines Führers schützen, der seine Ferien in Frankreich und Italien verbringt“, schrieb der prominente Dichter Mahmud Darwisch in der Zeitung Al Ajam: „Wir haben niemanden gefunden, der uns besiegt, also haben wir uns selbst besiegt.“