Gute Zeiten für Wehrwillige

Seite 3: Dienstpflicht statt Wehrpflicht: Deutschland braucht nicht nur mehr Soldaten

Den Spannungsfall gibt es in Deutschland zwar nicht, noch nicht. Dennoch denken der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und die Wehrbeauftragte Eva Högl (beide SPD) laut darüber nach, eine Art Dienstpflicht einzuführen. Diese soll zwar auch Arbeiten im Zivilschutz oder in Rettungsdiensten umfassen. Es darf aber gleichfalls gern ein Dienst in der Bundeswehr sein. Pistorius möchte allerdings keine Rückkehr zur alten Wehrpflicht. Denn er beklagt allgemein eine "Distanz vieler Menschen zu gesamtstaatlichen Aufgaben":

In den vergangenen Monaten ist der Eindruck entstanden, dass manche nicht die nötige Wertschätzung für Feuerwehr und Rotes Kreuz, Polizei und Bundeswehr aufbringen. Die allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die Menschen und die staatlichen Organisationen wieder ein Stück näher zusammenzubringen. Sie könnte vor Augen führen, wie wichtig diese Einrichtungen für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind.

Sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Militär aufstocken und gleichzeitig die nötige zivile Reserve für alle Katastrophen, ob im Alltag oder im Krieg. Und damit dem jungen Volk beibiegen, dass es sich nicht ausschließlich nur um die private Karriere im Kapitalismus kümmern soll, sondern auch an das große Ganze zu denken hat.

Andererseits wird das doch von der Jugend ständig gefordert: Sich so schnell wie möglich und so passend wie nötig für den Bedarf der Wirtschaft herzurichten. Dem kommt dabei aber ein staatlicher Zwangsdient gehörig in die Quere.

Das weiß selbstverständlich auch der verantwortungsvolle Politiker. Beispielsweise Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der CDU. Die Frage sei, welches Wehrdienstmodell der aktuellen Situation am besten Rechnung trage, "und zwar im Spannungsfeld der Wirtschaft mit eklatantem Fachkräftemangel, den Kosten für den Wiederaufbau von Strukturen und Investitionen in Kasernen, Ausbilder und Material sowie dem gesetzlichen Änderungsbedarf, der Mehrheiten in Parlament und Gesellschaft erfordert".1

Kiesewetter hält daher viel vom norwegischen Modell. Dort gibt es seit 2015 eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen und Männer ab 17 Jahren. Tatsächlich Dienst leistet aber nur ein Bruchteil der insgesamt 60.000 Jugendlichen. Denn nach einem einjährigen Musterungs- und Auswahlprozess bleiben nur die am besten geeigneten und motivierten übrig, rund 13.500. Die erhalten sieben Wochen Grundausbildung, dann neun bis zehn Monate Ausbildung in der Heimateinheit plus einige Spezialtrainings. Danach stehen sie bis zum Alter von 44 Jahren auf Abruf für "Krisenlagen" bereit.2

Eine solche größere Personalreserve könnte die Bundeswehr gut gebrauchren, denn: "20 Prozent der Dienstposten sind nicht besetzt und dazu noch in vielen Bereichen auch wenig personelle Reserve. Wenn etwa durch Krankheit jemand ausfällt oder Erziehungszeit, dann müssen immer dieselben ran, und das belastet unsere Soldatinnen und Soldaten ganz enorm", sagt die Wehrbeauftragte Eva Högl.

Auf einen weiteren Grund für den Wehrdienst weist Marineinspekteur Christian Kaack hin3:

Es ist nun mal Fakt, dass wir früher 70 Prozent unserer Längerdiener aus der Wehrpflicht gezogen haben.

Neue "Bedrohungslage": Woher sollen 20.000 zusätzliche Soldaten kommen?

Es steht also nicht gut um die deutsche Streitmacht. Schon länger zwar, indes nun, "angesichts der Bedrohungslage" (Kiesewetter), fällt das Problem umso mehr ins Gewicht. Denn wer soll die vielen neuen Waffen beherrschen und wenn nötig effektiv anwenden, sprich den erklärten Feind töten? Bis 2027 soll die Bundeswehr um circa 20.000 Soldaten anwachsen, auf dann 203.000.

Auf freiwilliger Basis funktioniert das wohl nicht allein. Dafür sei die Bundeswehr derzeit nicht attraktiv genug, sagt Högl. Ausrüstung schlecht, Kasernen in miesem Zustand, und auch der gesellschaftliche Leumund falle für den Soldaten mäßig aus. Da müsse vieles verbessert werden. Und auch die Werbung, siehe "Mach, was wirklich zählt": Es würde suggeriert, "dass es Spaß macht, dass man dort Ausbildungen machen kann". Dabei könne es nun wirklich ernst werden, was manchen Soldaten erst am 24. Februar deutlich geworden sei.

Die Zahl der Kriegsdienstverweiger bei der Bundeswehr ist daher deutlich angestiegen – von 176 im Jahr 2021 auf 235 vergangenes Jahr, eine Steigerung um rund 30 Prozent. Bei den Reservisten fällt der Anstieg noch größer aus: von nur 10 in 2021 auf 271 in 2022.

Högl sagt, sie erwarte nun von der Personalberatung und den Karrierecentern, dass sie den Fokus stärker auf dieses Thema legen und die jungen Leute gut beraten.