Gute Zeiten für Wehrwillige
Seite 4: Klarstellung der Wehrbeauftragten: Wehrdienst ist Kriegsdienst
- Gute Zeiten für Wehrwillige
- Aussetzung der Wehrpflicht: Keine Amateure für Auslandseinsätze
- Dienstpflicht statt Wehrpflicht: Deutschland braucht nicht nur mehr Soldaten
- Klarstellung der Wehrbeauftragten: Wehrdienst ist Kriegsdienst
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Wie wohl eine solche an die aktuelle Lage angepasste Beratung aussieht? Klar muss sein: "Wehrdienst zu verweigern und in der Bundeswehr zu bleiben, sei (...) nicht möglich", erklärt die Wehrbeauftragte.
Eine wichtige Information: Als Angestellter der Bundeswehr, an welcher Stelle auch immer, leistet man Kriegsdienst. Wer meint, die Streitmacht sei nur ein verschworener Haufen mit spannender Technik, viel frischer Luft und guten Karrierechancen, hat das Wesentliche verpasst. Eine Spaßbremse waren zwar schon die Ereignisse beim Afghanistan-Einsatz gewesen.
Aber spätestens mit der 1.000 Mann starken Battle Group in Litauen, den 15.000 Soldaten für die aufgestockte Nato-Eingreiftruppe im Osten Europas und dem Vorhaben, mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen und noch mehr Geld Deutschland zur wehrhaftesten Nation auf dem Kontinent zu machen, dürfte bekannt sein: Deutsche Soldaten werden in Zukunft nicht nur bei fernen Auslandseinsätzen deutsche Interessen verteidigen, sondern auch in Europa, gegen den neuen alten Feind im Osten. Es wird ernst, und das bedeutet Elend und Tod. Nicht gerade die beste Berufsperspektive.
An diesem Imageproblem wird auch die beste Beratung nichts ändern. Wenigstens kann dann niemand sagen, er hätte nichts gewusst. Sondern all die, die sich für den Wehrdienst entscheiden, gehen so sehenden Auges in die Kasernen und lassen sich für den Krieg ausbilden.
Wenn es darauf ankommt, werden sie auf wildfremde Menschen ihre Waffen richten. Beim ersten Mal werden sich die meisten damit schwer tun. Das Töten gehört nun einmal nicht zum Alltag. Aber es muss sein, und nach einigen Schusswechseln sinken die Hemmungen. Denn die Politik hat einen Feind ausgemacht, der unbedingt bis aufs Messer bekämpft gehört.
Der Bösewicht vereint alle schlechten Charaktereigenschaften auf sich und will Hof, Haus, Mietwohnung, Fernseher und Sofa zerstören, alle Angehörigen und Freunde massakrieren. Das eigene Volk wird angegriffen, da muss man sich verteidigen!
Diese Sorte Propaganda, um die Bürger für die Durchsetzung von politischen Zielen aufzuhetzen, betreiben alle Seiten. Und so schießen Soldaten hüben wir drüben mit bestem Gewissen aufeinander, weil für eine gute Sache.
Ukrainische Soldaten, russische Soldaten: Beide töten für eine "gute Sache"
Aktuell die Russen, weil ihr Staat vom Westen eingekreist wird und er sich dagegen doch wehren muss. Sie empören sich darüber, dass die USA und Europa mit Hilfe eines Landes vorgehen, das irgendwie mal zu uns gehört hat, und nun Neonazis in wichtigen Positionen und in der Armee hat! Die Geschichte, hier der Zweite Weltkrieg und speziell Stalingrad, gibt dann einen weiteren guten Grund dafür ab, mit Gewalt gegen diese Ukraine vorzugehen.
Die Wahrheit ist schlichter: Der Staat Russland will nicht länger hinnehmen, dass der Westen weitere Raketen in seiner unmittelbaren Nähe gegen ihn aufstellt. Das macht ihn angreifbarer. Sein Status als Weltmacht auf gleicher Stufe wie die USA wird damit in Frage gestellt.
Der russische Soldat muss das nicht wissen. Für ihn reicht es, dass er sein Leben mit der Existenz seiner Herrschaft, sprich Nation, gleichsetzt. Und es für sie dann auch lässt.
Und die Ukrainer? Die im westlichen Teil des Landes greifen zu den Waffen, weil sie seit einem Jahr angegriffen werden. Die im östlichen Abschnitt machen das schon seit 2014, verteidigen sich aber gegen ihre Landsleute im Westen.
Entsprechend gespalten ist die Nation. Die gute Sache im Kiewer Herrschaftsbereich heißt "David gegen Goliath", der russische Riese überfällt die kleine Ukraine. So hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz Ukraines Präsident Selenskyj das Kräfteverhältnis zwischen den Kriegsparteien beschrieben und unwiderlegbar klargestellt, dass "klein'" gleich "gut" ist. Steht ja so in der Bibel. Das alles natürlich, um für noch mehr Rüstungshilfe zu werben – die Steinschleuder von David reicht dann doch nicht…
Wie das so ein russischer Riese macht, will er jedem aufrechten Ukrainer seine Existenz zerstören, also Hof, Haus, Mietwohnung, Fernseher, Sofa, und vor allem ihn umbringen. Tatsächlich passiert das – wie in jedem Krieg: Die kriegführenden Staaten zielen darauf, dem jeweiligen Gegner alle Mittel aus der Hand zu schlagen.
Dazu gehören nun einmal die willfährigen Untertanen, nicht nur die Soldaten, sondern auch die unterstützende Zivilgesellschaft samt Infrastruktur. Die Abwürfe von US-amerikanischen Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im Zweiten Weltkrieg dienten zum Beispiel dazu. Wie auch der jahrelange Beschuss der abtrünnigen östlichen Regionen durch die ukrainische Armee, mit tausenden Toten und zerstörten Orten.
Das politische Ziel ist aber mit der brutalen militärischen Strategie nicht benannt: Russland geht es darum, die Ukraine dazu zu zwingen, von der Nato-Mitgliedschaft inklusive der damit verbundenen Aufrüstung gegen Russland zu lassen. Kiew will aber partout genau diese Mitgliedschaft, und lässt dafür sein Volk bluten.
Der ukrainische Soldat muss diese Zusammenhänge nicht kennen. Auch ihm genügt es wie seinem russischen Kontrahenten, sein Wohl mit dem seiner Herrschaft in eins zu setzen. Eine sehr einseitige Angelegenheit: Vom Wohl des Soldaten machen sich Selenskyj und Co. nicht abhängig. Dann müssten sie sofort einen Waffenstillstand ausrufen und mit Russland verhandeln. Das kommt aber augenscheinlich nicht in Frage.
Das deutsche Volk: noch zu "weich" für den Krieg?
Derzeit stehen Waffenstillstand und Verhandlungen auch hierzulande nicht zur Diskussion, jedenfalls nicht für die politische und geistige Elite. Vielmehr arbeitet sie am nötigen Mentalitätswandel. Also wie es zu einer breiten Bereitschaft kommt, im Spannungsfall in den Krieg zu ziehen. Nur geht das nicht so schnell, gibt die Wissenschaft zu bedenken.
Der Historiker Frank Biess glaubt nicht an eine "mentale Zeitwende auf Knopfdruck". Nötig sei sie, indes4:
Die älteren Jahrgänge in Deutschland haben immer noch die Erinnerung an die Wehrpflicht und den Zivildienst, die Atomangst, die in Bücher und Filmen immer wieder beschworen wurde. Die Jüngeren, die seit den Neunzigerjahren aufgewachsen sind, haben sogenannte humanitäre Interventionen erlebt, aber nicht mehr die drohende Konfrontation der Großmächte.
Vereinfacht gesagt: Das deutsche Volk war einfach zu lange nicht direkt in einen Krieg verwickelt, jedenfalls nicht mental. Jugoslawien in den 1990er-Jahren, Afghanistan und diverse weitere Aufenthalte der Bundeswehr fanden halt fern der Heimat statt. Deutschland reihte sich zwar ein in die US-amerikanische regelbasierte Weltordnung mit den entsprechenden militärischen Ordnungsaufgaben; hielt sich aber vornehm zurück, wenn die Unterordnung allzu wenig politischen Vorteil versprach, zum Beispiel im dritten Golfkrieg 2003.
Wenn dann doch mal geschossen werden musste, weil Einheimische die Einmischung in innere Angelegenheiten nicht hinnahmen, war das natürlich nur zur Selbstverteidigung. Auch die Zahl der getöteten Soldaten hielt sich in beruhigenden Grenzen.
Und die USA mitsamt der Nato standen zwar weiterhin mit ihren Atomwaffen den Atomwaffen Russlands gegenüber. Aber für die hiesige öffentliche Diskussion war diese weiter bestehende, weltbedrohende Feindschaft kein großes Thema. Man fühlte sich im Westen "sicher", konnte sich eine ernsthafte Gegenwehr Moskaus nicht vorstellen. Das hat sich nun massiv verändert.
Aktuell steht für die maßgebliche deutsche Politik die weitere Bewaffnung und Finanzierung der Ukraine außer Frage. Die Stimmen von Friedensbewegten und Pazifisten werden von Politik und Medien diskreditiert.
Einen Bewerbungsschub für die Bundeswehr löst dies jedoch nicht aus. Die Mentalität der Deutschen ist noch nicht so weit. Einstweilen sorgt man sich sogar, in den Krieg zu sehr hineingezogen zu werden.
Doch das will ja Bundeskanzler Olaf Scholz unbedingt verhindern: Man werde nicht zur Kriegspartei, auch nicht durch die Lieferung der Leopard-Panzer. Gewiss, wenn man jemand die Waffe in die Hand drückt, damit er schießt, ist man an der Tat in keiner Weise beteiligt…
Es könnte also vielleicht noch eine Weile dauern, bis sich genügend Freiwillige melden und die Wehr- oder Dienstpflicht auf große Zustimmung stößt. Es könnte aber auch ganz schnell gehen: Wenn Deutschland ernst macht und selbst zu den Waffen greift, um Russland ein für allemal zu ruinieren.