Gysi zur Krise der Linken: "Abgeordnete werden ohne Sahra keine Konsequenzen ziehen"
Seite 2: "... dann ist das unmoralischer Mandatsdiebstahl"
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Um noch mal auf Frau Wagenknecht zurückzukommen …
Gregor Gysi: Ein Buch zu veröffentlichen, in dem sie über ihre Partei herzieht ("Die Selbstgerechten", Anm. d. Red.), war ihr gutes Recht. Vieles darin stimmt ja auch. Aber das muss man nicht wenige Monate vor einer Bundestagswahl machen, wie damals im April 2021. Vor allem, wenn es nur um Kommerz geht, weil es sich zu diesem Zeitpunkt halt besonders gut verkauft. Sie war damals selbst Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen. Und dann erklärt sie in ihrem Buch, dass ihre eigene Partei nichts taugt.
Deshalb wird sie nun vielleicht eine neue gründen.
Gregor Gysi: Dieses ständige Gerede davon schadet uns natürlich auch. Ich werde es ihr nicht austreiben können, aber ich will nochmal eindringlich mit ihr darüber reden.
Sie haben noch nicht aufgegeben?
Gregor Gysi: Nein. Im Übrigen wäre es auch keine Spaltung der Partei in zwei gleich große Teile, sondern nur eine Abspaltung von der Linken. Klar würden dann bestimmte Leute mitgehen, aber so viele auch wieder nicht. Abspaltungen, das sieht man in Italien, führen zu nichts. Ich verstehe es auch nicht. Ja, sie hat auf dem letzten Parteitag keine Mehrheiten gefunden, aber mein Gott, wie oft ist es mir so ergangen?
Da muss die Schlussfolgerung doch sein, dass man versucht zu überzeugen. Oder man zieht sich eben zurück. Dass ist etwas anders als zu sagen, ich nehme Mitglieder und Mandate mit und gründe eine neue Partei – mit dem Ziel, die andere zu verdrängen. Wenn sie und ihr Umfeld das tun, ist das unmoralischer Mandatsdiebstahl.
Beobachten Sie, dass das Umfeld von Wagenknecht versucht, aktiv Mitglieder und Funktionäre auf seine Seite zu ziehen?
Gregor Gysi: Das ist so. Wahrscheinlich auch mit einem begrenzten Erfolg. Nur werden die Alten nicht gehen, bis auf einige wenige vielleicht. Gerade diese Mitglieder sind wichtig, sie sind der Kern der Linken. Einige Funktionäre wiederum drängen darauf, dass Sahra möglichst bald austritt. Dahinter steckt allerdings der naive Gedanke, dass es uns besser erginge, sobald Ruhe herrschte. Ein Irrglaube.
Da Sie vom Parteitag 2022 in Erfurt sprachen: Damals sagten Sie, dass Friedenspolitik, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen, Arbeitnehmerinteressen, Klimaschutz sowie die Gleichstellung von Frauen und Männern wichtiger seien als Anträge zu Gendersternen oder die Schreibweise von Anreden mit dem Großbuchstaben "I". Dafür gab es damals Buh-Rufe. Haben Sie da gemerkt, dass Ihre Partei sich verändert hat?
Gregor Gysi: Ja. Das waren vor allem junge Mitglieder, die sich darüber aufgeregt haben. Die sogenannte Bewegungslinke. Diese Menschen verwechseln jedoch etwas. Die Linke ist aus der sozialen Frage heraus entstanden. Nicht aus der Frage großes "I", Doppelpunkt und Sternchen. Natürlich kann man sich auch damit beschäftigen. Aber doch nicht inmitten einer Existenzkrise.
In dieser Hinsicht sind Sie sich also mit Frau Wagenknecht einig?
Gregor Gysi: Wie gesagt, ich hätte dieses Buch nicht so kurz vor einer Bundestagswahl veröffentlicht. Aber ich kann Ihnen sagen, woran ihre Partei, sollte es sie eines Tages geben, scheitern wird.
Sie sind sich sicher, dass die Partei keinen Erfolg haben würde?
Gregor Gysi: Diejenigen, die zu dieser Gruppe gezählt werden, wollen alles zugleich: Flüchtlingspolitik in der Nähe der AfD, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik wie die Linke. Sie wollen die einen Wähler, aber auch die anderen und außerdem noch ein paar mehr. Das kann einmal funktionieren, bei der Europawahl vielleicht. Doch später würden sie scheitern. Man kriegt die einen Wähler wegen der anderen nicht, da gibt es zu viele Widersprüche.
Sie misstrauen den Umfragen, die für die kommenden Wahlen in Ostdeutschland ein großes Potenzial einer Wagenknecht-Partei vermuten lassen?
Gregor Gysi: Das kann natürlich sein, wenn sie die Partei auch so nennt. Und sollte sie dann doch die Lust verlieren und ausscheiden, ist diese Partei tot. Spätestens bei der Bundestagswahl 2025 wäre aber Schluss. Dafür bräuchte sie 16 Landesverbände, zahlreiche Büros und Ausstattung. Das muss man erst einmal stemmen.
Außerdem dürfen Sie eines nicht vergessen: Wer als Ausgegrenzte eine Partei gründet, für die es keine gesellschaftliche Stimmung gibt wie einst für die AfD, sammelt viele andere Ausgegrenzte ein. Herzlichen Glückwunsch, die kenne ich noch aus der Zeit, als wir die PDS in den Westen erweitern wollten. Es gab gute vernünftige neue Mitglieder, aber nicht wenige waren das Gegenteil.
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