Haben die Brics-Länder ein höheres BIP als die westlichen G7-Staaten?

Dollar-Bündel und Einkaufstüten mit Aufdruck "PPP"

Anmerkungen zum Artikel "Gefahren und Hoffnungen einer multipolaren Welt" von Jeffrey D. Sachs.

Vor einigen Tagen erschien in Telepolis ein Artikel des US-Wissenschaftlers und Ökonomen Jeffrey D. Sachs mit dem oben angegebenen Titel.

Dort wird anhand der aktuellen GDB (Gross Domestic Product)-Daten der Länder unter Zugrundelegung der PPP (Purchasing Power Parity, der englische Begriff für Kaufkraftparität) festgestellt, dass sich die Weltwirtschaft in einem tiefgreifenden Wandel befinde. Die jüngsten Schätzungen der Weltbank zur Entwicklung der nationalen Produktionskapazitäten auf dieser Basis würden zeigen, dass die Zeit der wirtschaftlichen Dominanz des Westens vorbei ist.

Ein Beispiel dafür aus dem Artikel von Sachs: Während 1994 der Anteil der westlichen G7-Länder am Welt-BIP noch 45,3 Prozent betrug,- verglichen mit 18,9 Prozent der Brics-Länder-, hat sich mittlerweile das Blatt gewendet. 2022 produzierten die Brics-Länder 35,2 Prozent des Welt-BIP, während auf die G7-Länder nur noch 29,3 Prozent entfiel.

Ein weiteres Beispiel: Seit 2022 sind die fünf größten Volkswirtschaften der Welt in absteigender Reihenfolge China, die USA, Indien, Russland und Japan. Chinas BIP ist heute schon deutlich größer als das der USA. Deutschland folgt erst auf Platz 6 in dieser Rangfolge.

Diese Tatsachen werden bisher in der politischen Diskussion im Westen nicht oder kaum zur Kenntnis genommen. Das führt zu eklatanten machtpolitischen Fehleinschätzungen, wie z. B. der, dass "Russland eine Tankstelle mit Atomwaffen ist, dessen BIP in der Größenordnung irgendwo zwischen Italien und Spanien liegend angesiedelt wird."

Die bei uns üblicherweise präsentierte Statistik mit der Rangfolge der 20 Länder mit dem größten BIP im Jahr 2023 auf der Basis des US-Dollars stützt diese Sichtweise.

In diesem Ranking der Wirtschaftsleistung liegen die USA mit weitem Abstand an der Spitze, gefolgt von China, Deutschland, Japan und Indien. Russland liegt abgeschlagen auf Platz 11 zwischen Kanada und Mexiko. Diese Darstellung ist jedoch einseitig und unvollständig und führt zu falschen Schlüssen. Warum ist das so?

GDB und BIP

Dabei meinen die beiden Begriffe BIP (Bruttoinlandprodukt) und GDB (siehe oben) das Gleiche. Es sind volkswirtschaftliche Kennzahlen, die den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen angeben, die während eines Wirtschaftsjahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte erwirtschaftet wurden, nachdem alle Vorleistungen abgezogen worden sind.

Wie lässt sich der Widerspruch zwischen den zuletzt genannten Daten und den oben zitierten der Weltbank erklären?

Wie die Wirtschaftsleistung international zu vergleichen ist

Dazu werde ich mich zunächst auf einen Artikel mit dem Titel "Wie vergleicht man Wohlstand international?" beziehen, den man in dem von Heiner Flassbeck, Friederike Spieker und Constantin Heidegger herausgegebenen empfehlenswerten Atlas der Weltwirtschaft 2022/23 finden kann.1

Dort wird ausgeführt, dass die Zahlen zur weltweiten Wirtschaftskraft sehr stark variieren, je nachdem, ob man sie in der tatsächlich existierenden Währung wie dem US-Dollar oder in einer einheitlichen fiktiven Währung, dem sogenannten PPP-Dollar, angibt.

Für das Jahr 2021 etwa weise das IWF (Internationaler Währungsfonds) den nominalen Wert der weltweiten Wirtschaftskraft mit 96,3 Billionen US-Dollar und mit 146,0 PPP-Dollar aus. Und die Weltbank hat 2022 diesen Wert sogar mit 171,53 Trillionen Dollar beziffert, wobei die amerikanische Trillion der deutschen Billion entspricht.

Weiter wird erklärt: Der in Kaufkraftparitäten (PPP) ausgedrückte Wert liegt systematisch über dem des US-Dollars, weil, "einfach gesprochen, ein Sack Reis in einem aufgrund seiner geringen Arbeitsproduktivität armen Land viel mehr wert ist als in einem hoch produktiven reichen Land."

Denn in Letzterem könne entweder die gleiche Menge Reis mit weniger menschlicher Arbeitskraft hergestellt werden oder es können andere Güter mit vergleichsweise geringerem Arbeitseinsatz produziert werden, die auf dem internationalen Markt gegen den Sack Reis getauscht werden können.

Deshalb sagen die Autoren des Atlas der Weltwirtschaft 2022/23 am Schluss ihres Artikels, dass es trotz aller methodischen Berechnungsunsicherheiten sinnvoll sei, für den internationalen Vergleich der Wirtschaftsleistung das in Kaufkrafteinheiten (PPP-Dollar) errechnete und gewichtete BIP bzw. GDP heranzuziehen.

Website für Nicht-Ökonominnen und -Ökonomen

Abschließend möchte ich noch auf eine Seite hinweisen, die für mich als Nicht-Ökonomen ebenfalls hilfreich war, um diese Thematik zu verstehen.

Hier wird gesagt, dass ein weiterer Grund für die Unterschiede bei der Beurteilung der Wirtschaftsleistung zwischen der Messung in PPP-Dollar und in laufenden US-Dollar in der Schwankung des Wechselkurses des US-Dollar zu den anderen Währungen liege.

Und genau diese sind bei einer Messung in PPP-Dollar durch die Vergleichbarkeit über die Kaufkraftparität nicht berücksichtigt. Sie zeigen daher ein deutlich weniger verzerrtes Bild.

So heißt es dort am Schluss:

Folglich ist es auch nicht verwunderlich, dass Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds das BIP verschiedener Länder immer auch in der Währung des so genannten PPP-Dollar messen, um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Dieser PPP-Dollar (auch internationaler Dollar genannt) basiert darauf, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt die zu diesem Zeitpunkt gültige Kaufkraft des Dollars als Basiswert gesetzt hat, um dann auf dessen Grundlage die reale Entwicklung der Wirtschaftskraft verschiedener Länder zum Ausdruck zu bringen.

Lateinamerika-Institut der FU Berlin

Schlussbemerkung

Aus den angeführten Gründen lässt sich die im Titel dieses Textes aufgeworfene Frage aus meiner Sicht eindeutig bejahen, sodass mir die von Jeffrey Sachs in seinem Artikel ausgeführten Implikationen sehr plausibel erscheinen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de