Hacken zwischen Kriminalisierung und Mainstream

Der Chaos Computer Club ist endgültig salonfähig geworden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hacker - das waren einst die von Sicherheit kleinschreibenden Unternehmern und die Netzkultur missverstehenden Politiker gefürchteten Gesellen aus dem digitalen Untergrund. Doch die "bösen Buben" von einst sind zahm geworden (Brave Bürger mit recht teuren Laptops) und arbeiten heute auch schon mal in Startups. Dass die den schöpferisch-kreativen Umgang mit der Technik pflegenden Datenreisenden trotzdem mit einem Bein im Gefängnis stehen, muss auf politischen Missverständnissen vor und nach dem 11. September beruhen.

"Die Zeiten sind verrückt", brachte Emmanuel Goldstein, Hacker-Koryphäe aus New York und einer der wenigen internationalen Gäste auf dem 18. Chaos Communication Congress, die schleichende Angst der Szene vor einer pauschalen Kriminalisierung beim "Hackerfrühschoppen" zu Beginn der noch bis zum Samstag dauernden Veranstaltung auf den Punkt. Nach dem 11. September würden weltweit ohne öffentliche Debatte alle erdenklichen neuen Gesetze verabschiedet, die tief in die Grundrechte der (Netz-)Bürger einschneiden.

"Die Hacker werden dabei zur Zielscheibe wie nie zuvor", warnte der Mitgründer des Szene-Magazins 2600 in Berlin. "Als ob wir die Flugzeuge in die Gebäude gesteuert hätten." Dabei sei die Situation schon vor den Anschlägen in den USA "schlimm genug" gewesen. Ein Dorn im Auge ist Goldstein seit langem beispielsweise der Digital Millenium Copyright Act (DMCA) in den USA, der Hollywood und der Musikindustrie eine starke Handhabe gegen Forscher und experimentierfreudige Technikliebhaber gibt. Mit Hilfe der 1998 in Kraft getretenen Gesetzgebung werden technische Systeme zum "Kopierschutz" auf rechtlicher Ebene sanktioniert (Hyperlink-Prozeß: Freispruch für Angela Marquardt).

Goldstein berichtet aus eigener Erfahrung. 2600 hat gerade einen Berufungsprozess verloren und darf nun nicht mehr über seine Website auf das DeCSS-Programm verweisen, mit dem sich DVDs auch unter dem freien und in Hackerkreisen besonders beliebten Betriebssystem Linux abspielen lassen. "Wir werden den Fall zwar zum Obersten Gericht bringen", erklärte Goldstein. Gleichzeitig fürchtet er aber, dass Programmierer in den USA in Zukunft ähnlich wie der russische Verschlüsselungsexperte Dmitry Sklyarov aufgrund ihrer Arbeit "reihenweise ins Gefängnis wandern." (Russischer Programmierer frei)

Dass die Zustimmung weiter Teile der amerikanischen Bevölkerung zu neuen Sicherheitsgesetzen wie dem neue Überwachungsbefugnisse für die Ermittler mit sich bringenden PATRIOT-Act groß ist (Anti-Terror-Paket in den USA auch vom Senat verabschiedet), erklärt sich Goldstein mit dem Vertrauen auf Vaterfiguren und den starken Staat in der Krisenstimmung. "Keiner weiß, was da wirklich drin steht und wie sie das gesellschaftliche Leben beeinflussen", sagt Goldstein, der die Katastrophe in New York aus unmittelbarer Nähe im 2600-Büro im Financial District Manhattans miterlebt hat. Den Politikern sei es gut gelungen den Eindruck zu erwecken, dass staatliche Stellen mithilfe der verstärkten Kontrolle der Bürger nun alles unter Kontrolle hätten. Doch eine hundertprozentige Sicherheit könnten sie nie erreichen.

Die USA aufgrund der verschärften Situation zu verlassen, plant Goldstein allerdings nicht: "Es ist wie in einem schlechten Film. Da will man auch sehen, wie schlecht er noch werden kann", scherzt der Hacker. Ernster fügt er hinzu, dass es am besten sei zu bleiben und die in die falsche Richtung zeigende Gesetzgebung von innen heraus zu bekämpfen.

Spirit lost

Doch die deutsche Hackerszene blickt nicht nur aus Furcht vor Kriminalisierung leicht betrübt in die Zukunft. Überall greifbar ist in dem den Freaks wieder als Congresszentrum dienenden Haus am Köllnischen Park auch die Angst, zum Mainstream zu werden und den Führungsanspruch in der Netzkultur zu verspielen.

"Wir sehen mit Sorge, dass wir salonfähig geworden sind", erklärt einer der Datenreisenden, der sich mit dem Spitznamen "Gott" schmückt. Das zeige schon die Tatsache, dass die Frauenquote bei den Besuchern wieder enorm gestiegen sei. Echte Häcksen findet man darunter zwar nur wenige, da die meisten als Begleitung ihrer Freunde kommen und die eigentlichen Cyberfeministinnen sich noch von ihrem eigenen Symposium Mitte Dezember in Hamburg erholen. Aber irgendwie fürchten die männlichen Platzhirschen wohl trotzdem, dass "das Hacken" von den weiblichen Interessierten entzaubert wird.

Wie bei jeder anderen Untergrund-Bewegung, ergänzt der selbst keine Erklärung für sein Kürzel parat habende "ISCS" die Befürchtungen "Gottes", läuft sich mit den Jahren auch der ursprüngliche Spirit tot. Anzeichen dafür fanden sich auf dem ersten Congresstag so manche. Nicht, dass die Schlangen vor der Kasse weniger geworden wären. Aber so mancher Vortrag wirkte unvorbereiteter und lustloser als in den vergangenen Jahren. Präsentiert wurden abgesehen von kleinen Schmankerln wie dem Kölner Projekt zum verteilten, Hackerfallen austricksenden Port-Scanning keine auf- oder anregenden Forschungsergebnisse.

Gehackt wird im "Hackcenter", der Spiel- und Bastelarena des Congresses, zudem höchstens der Rechner des Nachbarn. Web-Administratoren außerhalb des Congressnetzes haben wenig zu befürchten, da die Freaks mit dem Saugen von Software unbekannten Ursprungs von den internen FTP-Servern und dem Brennen von CDs vollauf beschäftigt sind. Bunte Projekte wie das Testen neuer Linux- und alter Unix-Versionen oder das Streamen von Polizeifunk ins interne Hackernetzwerk haben Seltenheitswert.

Auch das Logo des Treffens ­ ein roter, nur entfernt an die RAF erinnernder, in seinen Proportionen den Goldenen Schnitt repräsentierender Druidenfuß mit einem die "Windows-Taste" aussparenden Computer-Keyboard ­ entfaltete bislang keine die bunte Hackerschar thematisch einende Symbolik.

Mahnende Stimme fehlt

Die aufscheinende Einfallslosigkeit der Szene mag viele Gründe haben. Neben der allgemeinen Mainstreamisierung haben die Organisationstalente noch ihre 20-jährige Geburtstagsfeier im September in den Knochen und ruhen sich sanft auf dem Erfolg der noch bis Februar weiter den nächtlichen Alex erhellenden Blinkenlights (Pong am Alex) aus. Mehrere Köpfe des CCCs waren zudem in den vergangenen Jahren ins Startup-Lager gewechselt, während sich junge Nachwuchstalente nur langsam herauskristallisieren. Dazu kommt eine gewisse Lähmung angesichts der Fülle der erlassenen Anti-Terror-Gesetze und anderer Überwachungsverordnungen.

Verstärkt zeigt sich aber auch, wie sehr dem deutschen Hackertum sein im Sommer an den Folgen eines Schlaganfalls verstorbener Alterpräsident Wau Holland fehlt (Hacken als Form der Gesellschaftskritik). Der brummbärige Mitbegründer des Chaos Computer Clubs, der kurz vor Weihnachten seinen 50. Geburtstag hätte feiern können, hatte in den vergangenen Jahren immer als Kristallisationspunkt gedient. Auch wenn sich die Geister an ihm schieden, verpasste er doch dem CCC seine über das Technische in die Gesellschaftspolitik hinausweisende Mission und war es nicht müde geworden, für die Rechte der Nutzer und der Datenreisenden einzutreten.

Um sein gedankliches Erbe zu konservieren und seine Stimme zumindest mittelbar zu erhalten, wollen Freunde des Graubarts zusammen mit seinem Vater nun die Wau-Holland-Stiftung ins Leben rufen. Unter der noch von dem Althacker persönlich reservierten Domain www.wauland.de soll dazu sein Nachlass archiviert werden. "Wir sichten dazu gerade die 30 Umzugskisten voller gesammelter Zeitungsartikel und anderer Werke", sagt die Vorstandsvorsitzende Ursel Reichhardt. Auch zahlreiche Festplatten gelte es noch zu analysieren.

Der Bitfeger und die maschinenlesbare Regierung

In Planung sind außerdem eine Reihe weiterer über die Website zu koordinierender Projekte. Dazu gehört eine Art Berufsberatung für Hacker oder ein Lexikon der elektronischen Schimpfwörter und "Holland-Blüten". Erinnert werden könnte dort etwa an Waus Neologismen wie den "Bitfeger", hinter dem sich nichts weiter als ein Web-Administrator verbirgt, oder an seine nur halbernst gemeinte Forderung nach einer "maschinenlesbaren Regierung", erläutert Stiftungsvorstand Gerriet Hellwig. "Wir bringen alles, über was Wau gut gelacht hätte."

Ausgeschrieben werden könnten aber auch Forschungsprojekte wie Studien über die "Sollbruchstellen" beim E-Government. Ganz im Interesse Waus sei etwa in diesem Bereich zu klären, inwieweit der Datenschutz in den kommerzialisierten virtuellen Rathäusern noch gewährleistet sei.

Mit einigen ungelösten Kapiteln kämpfen die Stiftungsgründer allerdings noch. "Was machen wir mit Waus Liebesbriefen?", fragt die Vorstandsvorsitzende Ursel Reichhardt, die mit dem Hacker in Marburg zu studieren begonnen hat. Nur zu gerne würde die langjährige Freundin Waus auch wissen, was in den Kisten verborgen war, die der begeisterte Latzhosenträger "in den Siebzigern vor jeder Polizei-Razzia im Bauamt seines Vaters versteckt hatte."

Noch fehlt der Truppe zudem die Hälfte des Stiftungskapitals in Höhe von 100.000 Mark. Hellwig hofft auf "Zustifter" wie den Elektronikriesen Siemens, der mit Wau einen Honorarvertrag für Vorträge und Beratungsdienste abgeschlossen hatte. Auch kleinere Spenden sind willkommen auf dem Konto 6483410 unter der Bankleitzahl 520 622 00.