Haftstrafen für schlechte Eltern?

Ein britischer Gesetzesentwurf will den Straftatbestand der emotionalen Vernachlässigung einführen

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"Aschenputtels Stiefmutter darf nicht straffrei davonkommen", mit dem Verweis auf das Märchen will der konservative Parlamentsabgeordnete Robert Buckland begreiflich machen, worum es ihm bei seinem Gesetzesentwurf geht: Zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens soll auch emotionale Grausamkeit gegen Kinder strafbar werden. Mit der Kampagne für das "Cinderella Law" wird ein neuer gesetzgeberischer Versuchsballon über dem Feld des korrekten Sozialverhaltens losgeschickt.

Die Regierung sei am Überlegen, ob sie den Straftatbestand der "emotionalen Grausamkeit" gegenüber Kindern einführen will, berichtet die BBC.

Das gegenwärtig grundlegende Gesetz, das Misshandlungen von Kindern als Straftatbestand regelt, stammt von 1933. So dürfte ein Konsens darüber zu erzielen sein, dass neue Anpassungen nötig sind. Inwieweit die Gesetzgeber aber den Vorstellungen der Kinderschutzorganisation Action for Children folgt, die als treibende Kraft der Gesetzesverschärfung fungiert, ist ungewiss. Denn der Gesetzesentwurf dazu sieht sich zwei heiklen Fragen gegenüber. Wie soll die emotionale oder seelische Grausamkeit definiert werden? Und: Wie soll das Gesetz polizeilich oder behördlich durchgesetzt werden?

Aus Regierungssicht ist der Entwurf, der mit "neglect" argumentiert - einer Verletzung der emotionalen Fürsorgepflicht und einer daraus folgenden Schädigung der Entwicklung des Kindes - möglicherweise nur ein Versuchsballon, der den Kinderschutzorganisationen (Action for Children und NSPCC) eine prinzipielle Bereitschaft signalisiert und den Eltern, dass sie auf der Hut sein sollen.

Nach den ersten Reaktionen der Medien, sehr kritisch etwa im Independent und im Telegraph, darf sich die Regierung auf einen heftigen Gegenwind gefasst machen. Ob sie den riskiert, ist zweifelhaft.

Für den Parlamentarier Buckland, den empört, dass England zu den wenigen Ländern in der Welt gehört, wo psychische Misshandlungen von Kindern nicht gesetzlich geahndet werden, ist die Grundlage, dass endlich nicht nur körperliche Züchtigung unter einen Straftatbestand fällt, dagegen glasklar: Auch nicht-körperlicher Missbrauch führt zu "deutlichen Schäden" und kann ein Kind auf die kriminelle Laufbahn bringen, weswegen diejenigen, die das zu verantworten haben, sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben.

Was Buckland als elterliche Tätlichkeiten aufzählt, die das Kind verderben und in Richtung "kriminelle oder antisoziale Verhaltensweisen" bringen, nämlich "Kinder isolieren, sie kleinmachen und sie zurückstoßen", gehört nach Ansicht von Erziehungsexperten, wie dem Soziologen Frank Furedi, in gemäßigten Formen zur Alltagsdynamik der Erziehung.

Es komme schon mal vor in hitzigen Auseinandersetzungen wie auch beim scherzhaft gemeinten gegenseitigen Aufziehen, dass Kinder kleingemacht würden oder sich abgewiesen fühlen, was aber doch nicht zwangsläufig und in jedem Fall zu Verletzungen über den Moment hinaus führe, wo sei da die Grenze zum strafgesetzrelevanten Verhalten zu ziehen, das mit Haftstrafen geahndet wird?

Auch ehrgeizige "Tiger-Mums" müssen sich fürchten

Schaue man sich die Kriterien an, welche die Kinderschutz-Organisation NSPCC als "emotionalen Missbrauch" bezeichnet, dann zähle nicht nur Abkanzeln oder Vernachlässigung dazu, sondern auch Überforderung, "unangemessene Erwartungen, die Kinder auferlegt werden".

Also müssten Tiger-Mums reihenweise sanktioniert werden und ebenso die überbeschützenden Eltern, da diese die "Entdeckungsfreude und das Lernen der Kinder beschränken bzw. das Kind davon abhalten, an normalen sozialen Interaktionen teilzunehmen", was laut Furedi von der NSPCC ebenfalls als emotionaler Missbrauch bezeichnet wird.

Mit seiner Folgerung, dass sich der Staat bei der Erziehung raushalten sollte und es nicht Aufgabe von Gerichten sein könne, zu klären, wo ein gut gemeinter Scherz endet und ins destruktive Beleidigen umschlägt, steht er nicht alleine. Das finden auch andere beängstigend.