Handyverbot im Umkleideraum

Mobile Telefone mit integrierter Kamera eröffnen neue Möglichkeiten der Überwachung

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Seit Jahren schon suchen Mobilfunkbetreiber händeringend nach dem ultimativen Verkaufsargument für G3-Systeme, nach der Killer-Applikation. Fast stillschweigend hat sich ein in Asien schon längst bekanntes Feature dazu gemausert: Die Kamera im oder am Handy. Über Verletzungen der Privatsphäre denkt dabei noch kaum jemand nach, obwohl der absoluten Überwachung theoretisch nichts mehr im Wege steht.

Während nämlich die Technik und ihre Markteroberung hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt, macht man sich anderenorts bereits ernsthafte Gedanken über die Nebenwirkungen. Rechtliche Regeln zum Schutz vor ungewollten Fotografien existieren, nur ist fraglich, ob sie in der Praxis durchgesetzt werden können. Deshalb hat die Firma "Physical", die in Hongkong eine Kette von Fitness-Studios betreibt, nun ein Handy-Verbot für ihre Umkleideräume erlassen - aus Angst, Kunden zu verlieren.

"Wenn jemand [...] ein Foto macht und es ins Internet stellt, ist das nicht besonders gut für unsere Mitglieder und ihre Privatsphäre", kommentierte die Firmensprecherin Mira Chan gegenüber Reuters.

Vielleicht ist dies der erste Fall einer gänzlich neuen Problematik - denn Szenarien, die die Privatsphäre verletzen, lassen sich zuhauf erfinden. So könnten Mobiltelefone mit integrierter Kamera natürlich zur privaten Spionage im kleinen Rahmen genutzt werden. Genauso plausibel erscheinen aber professionelle Einsätze, z.B. die Überwachung von Angestellten, denen großzügig ein Firmentelefon zur Verfügung gestellt wird, oder auch staatliche Kontrolle - die "hohe abstrakte Gefährdung" (Otto Schily) durch Terroristen macht's möglich.

Möglicherweise existiert aber auch eine subtile, nicht sofort ersichtliche Bedrohung. Zwar gab es bisher noch keine Viren für Handys, doch wer schützt arglose Handy-Besitzer im Java-Zeitalter vor gezielten Hacker-Angriffen die, wie sogar schon im Bundestag mit einem Laptop geschehen, das Gerät in eine Wanze verwandeln? Wenn sich die Technik im aktuellen Tempo weiterentwickelt und Flatrates für Mobiles Internet verfügbar sind, wird es ein leichtes sein, sich in den Bilderstrom eines Handys einzuklinken?

Selbst wenn nicht - der durchschnittliche User hat sich bisher immer dazu bereitgefunden, jedem noch so kläglichen Virus, Wurm oder Dialer Asyl zu gewähren. Ein, zwei bequeme Klicks, und schon ist die heimatliche Festplatte per Peer-to-Peer-Tauschbörse der ganzen Welt offeriert. Wir teilen Plattenplatz, Musik und Filme auf diese Weise, in Projekten wie SETi@home auch Rechenzeit. Wie lange wird es dauern, bis wir auch Interfaces in Peer-to-Peer-Netzen teilen?

Das Szenario ist schnell umrissen: Genau wie bei den schon bestehenden Tauschbörsen könnten User Ressourcen für die Allgemeinheit freigeben - in diesem Fall also jeweils aktuelle Bilder der Kamera. Im Gegenzug dürften sie ebenso auf die Ressourcen anderer zugreifen. Sobald jemand mit seinem freigegebenen Mobiltelefon auftaucht, sieht die gesamte Welt zu. Brennende Fragen könnten sofort durch die Augen anderer beantwortet werden: "Wie ist das Wetter in Stockholm? Wartet der Bekannte schon am Treffpunkt? Geht die Freundin fremd?" Ein einfaches Prinzip, dem bisher nur die Kosten im Weg stehen. Immerhin existieren schon Vorformen davon, z.B. in den Weblogs Hiptop Nation und Hiplog.

Sollten die Kosten sinken, dann könnten Überwachungsnetzwerke entstehen, die alle bisherigen Möglichkeiten in den Schatten stellen. Jeder Mensch jederzeit im Bild sichtbar. Jede Situation, jeder Ort gleichzeitig von Dutzenden Menschen überwacht. Und selbst wenn solche Netze mit demokratischem Charakter und Zugriffssicherungssystemen aufgebaut wären - würde das nicht wieder einmal die Rolle von Vermittlern, Filtern, von Medien stärken, die sich die passenden Bilder suchen? Selbst wenn Überwachungsnetze wie in einer Vision von E-Sheep.com dazu genutzt würden, Verbrecher und Terroristen zu jagen - Feindbilder, also auch Terroristenbilder, werden immer noch durch Medien und Regierungen geprägt.