Hat die EU dem "Transit" von Gefangenen zugestimmt?

Anfang 2003 hat der Europäische Rat der US-Regierung angeblich die "Benutzung von Transiteinrichtungen" gestattet, weswegen womöglich die EU-Regierungen von den CIA-Flügen lieber nicht wissen (wollen)

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Wenn es zutrifft, was der britische Telegraph berichtet, haben die EU-Regierungen Anfang 2003 der US-Regierung die Genehmigung erteilt, Gefangene aus und im Drittländer über ihr Territorium und mit Benutzung der nationaler Einrichtungen zu transportieren. Daraus würde sich auch erklären, warum die EU von den CIA-Flügen, auch wenn sie in Verletzung von fundamentalen Menschenrechten verschleppte Personen transportierten, lieber gar nicht groß sprechen will.

Obgleich das Entführen von Menschen und deren Inhaftierung auch ohne Folter gegen die Menschenrechtskonvention und die einzelnen Verfassungen verstößt, wenn Verdächtige nicht angeklagt und ordentlich vor Gericht gestellt werden, waren die EU-Minister hoch zufrieden, als US-Außenministerin ihnen versicherte, dass die USA ein Rechtsstaat seien und danach handelten. Nachgefragt hat man lieber nicht, warum dann außerhalb der US-Rechtssprechung Lager für Outlaws im rechtlichen Niemandsland, wie es nur eine Supermacht für sich reklamieren kann, einrichtet. Oder warum europäische Bürger wie Masri, dem offenbar keine Straftat vorgeworfen werden kann, nicht nur verschleppt und Monate lang in einem afghanischen Gefängnis verhört wurde, ihm aber bei – immerhin glücklicher – Freilassung weder eine Entschuldigung noch eine Entschädigung zusteht. Was eigentlich unterscheiden solche Verschleppungen von den Geiselnahmen der Terroristen? Gerade im Fall el-Masri gab es keinerlei Notstand oder eine unmittelbare Gefahr.

Vertuschung ist transatlantisch angesagt. Was man auf Seiten der US-Regierung noch verstehen kann, ist etwa auf deutscher Seite nicht nachvollziehbar, wenn nicht doch die Regierung oder der deutsche Geheimdienst verwickelt waren. Geradezu peinlich ist, wenn man etwa dem neuen deutschen Innenminister Schäuble bei Christiansen gestern Abend zuschauen musste, wie er sich wand, um kaum ein klares Wort herauszubringen, aber auch jede wirkliche Stellungnahme zum praktizierten Unrecht zu vermeiden – und dazu noch die alte Regierung in allen Entscheidungen und aller Geheimnistuerei zu decken. Er wollte es allen recht machen, sprach wirr und verstrickte sich immer mehr in Ausflüchten. Gysi konnte beim Publikum hingegen punkten, weil er die wunden Stellen ohne diplomatische Rücksichtnahme ansprechen konnte. Sollten Schäuble und Bundesregierung mit ihrer unzweideutigen Zweideutigkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen so weiter machen, dürften sich alle Oppositionsparteien freuen.

Sollte es zutreffen, dass die EU-Minister im Januar 2003 auf einem Gipfel in Athen heimlich den Beschluss gefasst haben, dass die USA Flughäfen in Europa nutzen kann, um "Kriminelle" zu transportieren, dann wäre die Komplizenschaft der EU deutlich. Gleich aus welchem Grund dies geschehen ist, ob auf Druck vom großen Bruder und seinen Verbündeten in der EU oder um das Verhältnis nicht noch weiter zu verschlechtern, so hätten sich die verantwortlichen Minister persönlich und die Regierungen insgesamt der Beihilfe zur Verschleppung, Inhaftierung und auch Folterung schuldig gemacht. Folterverbot, Menschenrechte, EU- und nationales Recht, alles egal im vermeintlichen Ausnahmezustand gegenüber einem Feind, dem man nur mit denselben Mitteln gleichkommen kann, dabei aber just das über Bord wirft, für das man kämpft. Der Glaubwürdigkeit des Westens dient diese Doppelzüngigkeit nicht, dem Kampf oder Krieg gegen den Terrorismus auch nicht. Und wenn es sich herausstellen sollte, dass tatsächlich in einem EU-Land wie Polen auch nicht nur in einem eklatanten Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention Verschleppte in einem geheimen CIA-Gefängnis gefangen gehalten, sondern auch noch gefoltert wurden, dann würde dies allem die Krone aufsetzen.

In Athen soll am 22. Januar 2003 in vertraulichen Verhandlungen der anwesenden Minister beschlossen worden sein, den USA "Zugang zu Transiteinrichtungen" für Gefangenentransporte zu geben. Gemeint waren wohl Flughäfen für eben die Flüge, über die sich jetzt die europäischen Regierenden so überrascht zeigen, als ob Hunderte von CIA-Zwischenlandungen auf europäischen Flughäfen nicht bemerkt worden wären. Und selbst wenn europäische Staatsanwälte wie die aus Mailand nachweisen konnten, dass CIA-Mitarbeiter und US-Botschaftsangehörige einen Menschen von der Straße weg verschleppt und zuerst nach Ramstein gebrachten haben, wo er in ein Flugzeug nach Ägypten, eines der Paradiese für Menschenrechte, gesetzt wurde, reagiert man in Deutschland nicht. Mit Ramstein hat man nichts zu tun. Oder man kann nicht wirklich etwas sagen, weil es ja eine Vereinbarung gibt, eben dies zu dulden.

Nach dem Telegraph, nicht unbedingt gerade als eine antiamerikanische Zeitung zu bezeichnen, lag der Sitzung auch ein Dokument der damaligen griechischen Präsidentschaft mit dem Titel: "New Transatlantic Agenda, EU-US meeting on Justice and Home Affairs" vor, bei der es um den Kampf gegen den Terrorismus, Drogenschmuggel und Ausliferungen ging. Dort soll gestanden haben:

Both sides agreed on areas where co-operation could be improved [inter alia] the exchange of data between border management services, increased use of Eurpean transit facilities to support the return of criminal/ inadmissible aliens, co-ordination with regard to false documents training and improving the co-operation in removals.

Angeblich habe man diesen Abschnitt sowie andere Passagen aufgrund von Bitten der USA gelöscht, soll ein Sprecher des EU-Rats gesagt haben. Tony Bunyan von der Bürgerrechtsorganisation Statewatch legt die Formulierung so aus, dass die USA europäische Flughäfen benutzen darf, um Kriminelle aus Drittstaaten zu transportieren.

Im Juni wurde ein Übereinkommen zwischen der EU und den USA über eine schnellere und leichtere Auslieferung von Personen geschlossen, die einer Tat beschuldigt werden, welche in einem der Staaten mit einer Strafe von über einem Jahr geahndet würde (EU-US agreement on extradition). Das Übereinkommen enthält auch einen Passus in Art. 12 über den Transit. Seltsamerweise wurde auch dieses Übereinkommen zunächst geheim gehalten und erst kurz vor der Abstimmung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Allerdings wurde hier verlangt, dass der Transit von Personen, die einem Mitgliedsstaat des Abkommens von einem Drittstaat übergeben und in einen Mitgliedsstaat oder einen Drittstaat überführt werden, den Behörden des Transitstaates gemeldet werden muss. Als Einschränkung wurde jedoch nur explizit erwähnt, dass ein Mitgliedsstaat die Genehmigung verweigern kann – aber nicht muss -, wenn der Person die Todesstrafe droht. Von Folter war nicht die Rede. Darauf hatte damals nicht nur schon amnesty hingewiesen, auch das Europäische Parlament kritisierte die Vereinbarung. Allerdings wurde die >vereinbarung über den Transit kaum zur Kenntnis genommen. Man hatte zwar schon Guantanamo vor Augen, aber richtete den Blick vor allem auf EU-Bürger.