Herr Doktor, das ist schön von euch

Der Titelschwindel als ewiger Schatten der Expertenkultur

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In Zeiten, in der schon plagiierte Hausarbeiten durch Kontrollmechanismen erkannt werden sollen, müssten erfundene oder gekaufte Doktortitel an Attraktivität verlieren. Das Gegenteil ist der Fall.

Ende Dezember kam heraus, dass Markus Dewender, Vorsitzender der Hilfsorganisation "Kinder brauchen uns", die sich durch spektakuläre Evakuationen von kranken Kindern aus Afghanistan einen Namen gemacht hat, seine beiden Doktortitel zu Unrecht führte.

Einer war gekauft, der andere war gefälscht.

Auf die Frage, warum er sich auf so etwas eingelassen habe, antwortete er, er sei "zu unkritisch" und "zu gutgläubig" gewesen. Das naheliegende Geständnis, dass er sein eigenes Renommee und das seiner Hilfsorganisation aufpolieren wollte, kam ihm nicht über die Lippen. Der Skandal um die falschen Titel und Dewenders Rücktritt als Chef von "Kinder brauchen uns" hat auch Fragen aufgeworfen über verschiedene Adoptionen, die er selbst und andere Mitglieder in die Wege geleitet haben.

In verschiedenen Berichten ist zudem davon die Rede, dass die nach Deutschland ausgeflogenen Kinder nach ihrer körperlichen Genesung auffallend oft in christlichen Bekenntnisschulen untergebracht worden seien.

Kurz vorher war der Fall Reuven Moskovitz bekannt geworden. Aber nicht sehr, denn er ist so peinlich, dass eine ganze Menge Leute lieber wegschauen. Moskovitz, der sich bis vor kurzem "Dr. Reuven Moskovitz" nennen ließ, war ein besonders in Deutschland gern gesehenes Aushängeschild der israelischen Friedensbewegung. Er behauptete, einer der letzten Schüler von Martin Buber gewesen zu sein und tingelte mit sinnbefreitem Gerede zum Nahost-Konflikt durch allerlei Vortragssäle, Radiosendungen und Diskussionsrunden.

Erlaberte Lorbeeren

Ausgerechnet Europa solle Israel in "die Schranken weisen", die Entwicklung Israels nehme eine faschistische Richtung, die Palästinenser erlitten heute, was die Juden in den Händen der Nazis erdulden mussten usw. - all das Zeug, mit dem man bei Leuten punkten kann, die sich fragen, "warum die da unten" keinen Frieden halten können, und die als Antwort nur hören wollen, dass die Juden auch manchmal ganz schön böse sind. Auf diese Weise hat sich Moskovitz einige Lorbeeren erlabert, unter anderem, damals noch als Doktor, den Aachener Friedenspreis im Jahr 2003. Der Titel ist ihm auf der Website des Aachener Friedenspreises inzwischen abhanden gekommen.

Dass er ihn nicht verdient hat, genauso wenig wie die Bezeichnung "Historiker", hätte man angesichts seines verwunschenen Geschwafels vielleicht schon merken können, aufgeflogen ist es aber jetzt erst.

Auszeichnung für überdurchschnittliche Arbeit

Bereits im August letzten Jahres hatte der Fall einer falschen Ärztin an einem Klinikum in Hamburg für Aufsehen gesorgt. Über vier Jahre hatte sie dort gearbeitet, hatte dabei als besonders kenntnisreich und engagiert gegolten, und für ihre überdurchschnittliche Arbeit im Jahr 2006 den Paul-Caspar-Tyrell-Preis erhalten.

Nur leider war sie rechtlich gesehen keine Ärztin. Sie hatte nach dem Scheitern beim Physikum einfach weiterstudiert, sich am Ende des Studiums entscheidende Dokumente zusammenkopiert, und war damit fraglos als Klinikärztin akzeptiert worden - mit den denkbar günstigsten Ergebnissen für ihre Patienten und dem denkbar bittersten Ende für sie selbst: Da rechtlich gesehen jede ihrer Blutabnahmen als Körperverletzung gilt, könnte sie demnächst auch zu einer Haftstrafe verurteilt werden.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen diesem Fall und den ersten beiden. Bei Dewender und Moskovitz geht es darum, dass sich Hochstapler unabhängig von ihren fachlichen Fähigkeiten durch einen Doktortitel mehr Vertrauen und Ansehen in der Öffentlickeit erschwindelten. Cornelia E. wurde eher aus der Not heraus zur "Doktorin", dass sie ohne formale Anerkennung als Ärztin keine Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer Fähigkeiten sah.

Doktortitel als soziales Machtinstrument

Aber es gibt doch auch grundlegende Gemeinsamkeiten. Sie liegen in der Funktion des Doktortitels als soziales Machtinstrument, als Währung in der Aufmerksamkeitsökonomie und als Türöffner für gesellschaftlichen Aufstieg. Auch Cornelia E. bemühte sich darum, wenigstens noch eine halbechte Doktorin der Medizin zu werden - sie schrieb bis kurz vor ihrer Enttarnung an einer Doktorarbeit. Es ist klar, dass eine zunehmende Betonung der Wichtigkeit gesellschaftlicher Eliten den erschummelten Zugang zu diesen Eliten immer attraktiver macht für die, die nicht hoffen können, regulär zugelassen zu werden.

Den institutionell verbürgten Doktoren folgen die scheinbar echten auf dem Fuß, und wenn man bevorzugt mit Doktortitel in die Bütt kommt, werden Büttenredner schnell zu Doktoren, egal wie. In einer rational verfassten Gesellschaft wäre ein kritisches Publikum in der Lage, den Wahrheitsgehalt von Aussagen unabhängig vom Titel ihres Autors zu wägen. Menschen wie Cornelia E. aber würde aufgrund ihrer demonstrierbaren Fähigkeiten gestattet zu tun, was sie am besten können. Darauf wird man lange warten dürfen.

Und so lauscht das unkritische Publikum weiterhin andächtig den Doktoren, den falschen, wie den echten, und dreht sich, wenn überhaupt, bei turnusmäßiger Entdeckung der Hochstapeleien (siehe dazu auch: Das sind begnadete Verkäufer) ein bisschen schamhaft zur Seite - genau wie beim Doping im Sport und bei den Löffelbieger-Faxen im Fernsehen. Und Cornelia E. steht nicht in einem Stationszimmer ihrer alten Klinik, sondern vor Gericht.

Hinweis: Der Titel dieses Artikels ist ein Zitat aus Theodor W. Adornos "Minima Moralia", der dies wiederum aus Goethes „Faust“ zitiert.