Herr Höfer, wann haben Sie gemerkt, dass der Kapitalismus keinen Spaß mehr macht?

Seite 2: "Ökomoralisten wollen uns mit einem Dauerschuldgefühl zermürben"

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Welche Rolle spielt der Protestantismus dabei?

Max Höfer: Arbeit musste von einer Last, der jeder normal denkende Mensch auswich, zu einem Bedürfnis und einer Pflicht werden, welcher die Menschen klaglos und von sich aus nachgehen. Max Weber war aufgefallen, dass zu seiner Zeit protestantische Länder wohlhabender und geschäftstüchtiger waren als katholische. Die Ursache erkannte er in der "protestantischen Arbeitsmoral". Vor allem für die Calvinisten ist der Beruf eine "konsequente asketische Tugendübung" in Fleiß und Gewissenhaftigkeit. In jedem harten Arbeitstag, in jedem Profit zeigt sich Gottes Wohlwollen. Als gottgefällig galt rastloses Arbeiten und das Reinvestieren der Gewinne, um den Ertrag zu steigern.

Diese Zusammenhänge haben sich nicht abgeschwächt, sondern sind, wie moderne Studien zeigen, sogar noch stärker geworden. Weltweit etwa durch das Vordringen evangelikaler Sekten, die predigen: Gott will, dass du reich wirst. Dafür musst du aber hart arbeiten, auch an dir selbst.

"Entspannung ist Sünde"

Heutzutage muss ja mehr und mehr die Freizeit, das Vergnügen, die Erholung wie Schwerstarbeit abgeleistet werden. Warum?

Max Höfer: Keynes hatte noch geglaubt, dass seine Enkel, also wir, nur noch wenig arbeiten und die freigesetzte Produktivität in Muße verwandeln. Er hat unterschätzt, wie radikal das puritanische Selbstoptimierungsgebot unsere Kultur beherrscht. Was muss heute nicht noch alles optimiert werden: der Körper (mit Schönheitsoperationen), das Hirn (mit Gehirndoping), das Essen (mit Functional Food), das Trinken (mit Energydrinks), der Sex (mit Viagra), das Lernen (mit Schnelllesetechnik), die Moral (mit 360-Grad-Total-Feedbacks), das Soziale (mit Facebook).

Jede einzelne dieser Optimierungen erhöht den Druck, macht die Zeit schneller und lässt uns nicht zur Ruhe kommen – und genau darin liegt auch ihr tieferer Sinn: Entspannung ist Sünde, die Optimierung der Zeit ist die puritanische Urtugend. Der Calvinist war davon überzeugt, dass nur der etwas wert ist, der etwas leistet, also muss er durch Perfektion und Leistungssteigerung glänzen. Dieser psychologische Aspekt spielt auch heute eine große Rolle.

Daran hat auch die Spaßgesellschaft nichts geändert: Wir dürfen Spaß haben, solange uns das produktiver macht. Glück ist zur Pflicht geworden, denn jeder kann glücklich werden, und wer es nicht ist, der macht eben etwas falsch, der ist religiös ausgedrückt: nicht erwählt.

Spiegelt sich in diesem Widersinn, die Irrationalität eines Wirtschaftssystems wieder, welches die Befriedigung des Bedürfnisse zu einer Nebenfolge der Profitakkumulation degradiert?

Max Höfer: Schon Weber sah in der Lebensauffassung des Puritaners etwas "schlechthin Irrationales". Alles sinnliche Genießen der Nutzenmaximierung unterzuordnen – das widerspricht allen Weisheitslehren der Welt. Der Buddhist geht einen Pfad der Reifung und auf diesem Weg muss er nicht schneller sein als andere, er muss auch nicht dauernd außergewöhnliche Zeichen seines Erfolges vorweisen.

Der moderne Kapitalismus hat das Prinzip des Bedarfs längst hinter sich gelassen und damit die Frage, was eigentlich einem guten Leben zuträglich ist. Es gibt nur noch Bedürfnisse, die alle gleich viel wiegen, egal ob es die Gucci-Tasche der Millionärsgattin oder eine Flasche Wasser im Sudan ist.

Wer sich anheischig macht, diese Bedürfnisse zu bewerten, verletzt das Neutralitätsgebot. Nur der Markt darf entscheiden – und dort regieren Präferenzen, die in Geld ausgedrückt werden. Wer mehr zahlt, hat auch das größere Bedürfnis, sonst würde der andere mehr bieten.

Diese Denkweise ist in diesem Beispiel zynisch. Aber sie ist auch fragwürdig in unserer Überflussgesellschaft, weil alles gerechtfertigt wird, was Profit bringt. Ich halte das für irrational. Müssen wir nicht zuerst fragen, was gut für uns ist und dann die Märkte so regulieren, dass sie jene Produkte produzieren, die unser Leben wirklich bereichern? Wir tun das ja auch verschiedentlich, aber das Wachstumsgebot lässt eine Qualitätsdiskussion kaum zu.

Könnten Sie sich vorstellen, dass neue Phänomene wie die "Politische Korrektheit", und die neue Bio-Religion Ideologeme sind, die zu dieser Entwicklung gehören?

Max Höfer: Moralistische Konsumkritiker sind den Turbokapitalisten oftmals sehr ähnlich: beide fordern eine Steigerung, hier mehr Wachstum, dort mehr Moral. Gerade die Anhänger einer politischen Korrektheit sind vom selben Gedanken an eine perfekte Gesellschaft ergriffen, die ständig optimiert werden muss. Was muss der ökologisch korrekte Konsument nicht alles überprüft haben, bevor er auch nur eine Hose guten Gewissens kaufen darf: Stammt die Wolle aus biologischer Schafzucht, welche Chemikalien wurden eingesetzt, wurden dabei Mindestlöhne bezahlt, wie steht es um die Beachtung von Compliance- und Gender-Richtlinien?

Ökomoralisten wollen uns mit einem Dauerschuldgefühl zermürben. Dabei sind sie sehr puritanisch: Das Unkontrollierte, das Nutzlose, die Zeitverschwendung, die reine Begierde – das ist ihnen alles sehr verdächtig.

"Erschöpftes Selbst"

Wie wichtig ist Selbstbestimmung, also die freie Entfaltung von im Menschen angelegten Bedürfnissen und Fähigkeiten, also ein Leben befreit von der kapitalistischen Renditelogik für das Glück des Menschen?

Max Höfer: Freiheit ist eine zentrale Voraussetzung für Glück. Der Vorwurf, den ich dem Steigerungskapitalismus mache ist ja nicht nur, dass er das Glück verhindert, sondern dass er auch die Freiheit zerstört durch die Dauerüberforderung bei der ständigen ökonomischen und moralischen Optimierung.

Viele sind mit dem ständigen Zwang zur Selbstinszenierung einfach überfordert: Sie müssen ihren Körper tunen, Amphetamine einwerfen, ihren Lebenslauf schönen. Mit dem Druck, sich ständig neu erfinden und positionieren zu müssen, werden die Menschen immer weniger fertig.

Das Individuum ist unglücklich, weil es unter seinem "erschöpften Selbst" leidet, wie das der Soziologe Alain Ehrenberg nennt. Inmitten eines unvergleichlichen Wohlstands haben wir ein ganzes System von Tretmühlen errichtet, die uns unzufrieden machen und vom guten Leben in einer Balance fernhalten. Der erste Schritt, das zu ändern, ist die Einsicht, dass die puritanischen Wurzeln dieser Überbietungsgesellschaft lebendiger sind denn je, und dass wir sie abschneiden müssen, wenn wir ein zufriedenes Leben finden wollen.

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