Herrliche Aussichten?

Das Nachrichtengeschäft ist tot - Es lebe das Nachrichtengeschäft

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"Gedrucktes ist nicht tot, aber der Ort, wo die Wörter hingehen, um zu sterben." Man müsste in Deutschland lange suchen, um einen ebenso bissigen und angriffslustigen Kontrahenten der Zeitungsverleger und Journalisten mit altväterlichem und elitärem Medienverständnis zu finden wie den amerikanischen Bloggerkapitän Jeff Jarvis, die BuzzMachine. Keiner vertritt die Hoffnungen auf die großartigen Möglichkeiten, die das Internet für neue Wege im Nachrichtengeschäft bereit hält, so vehement optimistisch, unbeirrbar und ekstatisch wie Jarvis: Es gehe darum, "in neue Sphären zu wachsen". Herrliche Aussichten?

Der Inhalt sei nicht der König, ebenso wenig wie der Vertrieb. Das neue Königreich heiße Gespräch, Austausch, "conversation". Im Mittelpunkt, so Jarvis, stünden Beziehungen: "relationships". Gemeint ist damit ein neues Verhältnis zwischen Journalisten und Leser, nicht mehr die von oben nach unten führende einseitige Kommunikation, sondern gegenseitiger Austausch auf Augenhöhe. In der neuen Wirklichkeit würden aus Nachrichtenkonsumenten schnell Nachrichtenproduzenten. Und das Internet zum Großnetz unzähliger interaktiver Netzwerke, "communities", die mit "Social Software" versorgt werden wollen.

Die News-Branche also inmitten eines gewaltigen Umbruchs und den Blogs soll dabei eine entscheidende Rolle zufallen. Für unbeirrbare Skeptiker ein alter Wein, der in einem neuen Schlauchsystem herumsaust und nur deswegen anders besoffen macht. Grundlegendes werde sich dadurch nicht ändern, die Medien-Macht bleibe bei denen, die sie ohnehin schon haben und unter tausend Bloggern fände sich eben manchmal auch ein Stern - nicht anders als bei den Journalisten. Für den Amerikaner Michael Messing markiert die geschickte Verwendung von Blogs durch konservative Netzwerke den bislang letzten Akt in einem Drama namens "The End of News". Massing folgt in seinem Essay einem Trend in den USA, demzufolge die unabhängige, freie Presse allmählich den Platz räumt für parteiische, Interessen geleitete und oftmals religiös inspirierte Medien-Netzwerke.

Nachrichten - und Meinungskampagne

Massing beschreibt die jüngeren Entwicklungen in der amerikanischen "News-Industrie" anhand des Kampfes konservativer Kräfte gegen den "liberal bias" - Veröffentlichungen mit geargwöhntem Linksdreh, welche die (schöne) Wirklichkeit verzerren. Die Kampfansage der Konservativen gegen das linke Medien-Establishment erhob sich in den späten sechziger Jahren und seitdem haben konservative Kreise erhebliche Anstrengungen unternommen, diesem von ihnen statuierten Trend entgegenzuwirken. Mit immer größerem Erfolg seit der Regierung Reagan, so Massing, und einem wahren Höhepunkt während der jetzigen.

Nicht nur, dass die Bush-Regierung wie keine andere Regierung zuvor, den Zugang zu öffentlichen Dokumenten erschwere, "versteckte Propaganda" betreibe, wie es eine Kongress-Behörde (Government Accountability Office) im September festgestellt hat, das offensive Vorgehen der Regierung gegen eine kritische Presse würden von "einer disziplinierten und gut organisierten Nachrichten- und Meinungskampagne von Konservativen und der christlichen Rechten" so effektvoll verstärkt wie nie zuvor:

Dieses mit reichlich finanziellen Mitteln ausgestattete Netzwerk schließt Newsletters, Think Tanks und Talk Radio genau so mit ein wie Kabel-TV-News und das Internet. Häufig auch in Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus haben diese Publikationen eine systematische Kampagne lanciert, um das zu diskreditieren, was sie etwas geringschätzig als "MSM", Mainstream Medien, bezeichnen. Via Internet können die Kommentatoren ihre Kritik an der Presse einem größeren Publikum sehr viel schneller und wirkungsvoller als zuvor zuführen.

Gunatanamo als plüschiger Club

"Wenn man heute durch das Land fährt", schreibt der Autor des Buches "South Park Conservatives: The Revolt Against Liberal Media Bias", Brian C. Anderson, "dann gelangen Sie niemals außer Reichweite konservativer Stimmen." Die Top Twenty der populärsten Talk-Radio-Shows in den USA werde angeführt von Konservativen, die klare Worte nicht scheuten, so Massing. Auf den ersten Plätzen die Radio-Show von Rush Limbaugh, der Guantanamo als plüschigen "Club Gitmo" bezeichnet, Feministinnen als "Feminazis". Dann die Radio-Show von Sean Hannity , der unermüdlich die Presse wegen ihrer Non-Stop-Attacken auf Präsident Bush aufs Korn nimmt. Und schließlich die Show von "Dr.Laura" Schlesinger, die Feministinnen und Homosexuelle im Visier hat etc.etc.

Ähnlich im amerikanischen Kabelfernsehen, für Anderson ein "wahrer Segen" für die amerikanische Rechte. Seit 2002 hat Fox-News höhere Zuschauer-Quoten als CNN. Seitdem gebe es kaum einen Sender, dem der "Fox-Effect" nicht als Anreiz zur Nachahmnung diene. Doch nach Massings Erkenntnissen hat erst eine dritte Innovation, neben Talk Radio und Cable-News, den konservativen Attacken auf die Presse eine besonders schädliche Waffe beschert: Blogs.

In Gottes Namen Blogs!

Acht von den Top Ten der politischen Blogs, wie sie die Web-Seite Truth Laid Bear auflistet, sind konservativ: InstaPundit, Power Line, Free Republic, Captain's Quarters, Volokh Conspiracy, Little Green Footballs. Nicht nur dass diese Blogs untereinander gut verlinkt sind, für größere Popularität würden zugkräftige, bekannte Webseiten mit deutlicher Rechtsdrift wie Drudge Report, WorldNetDaily und das Opinion Journal sorgen.

Im Gegenzug tauchen auf diesen Seiten regelmäßig Kommentatoren wie Sean Hannity und Rush Limbaugh auf, die viele ihrer Botschaften dann in TV, Radio und ihren eigenen Webseiten verbreiten. Das Magazin NationalReviewOnline spürt neue konservative Blogs auf und stellt sie "mit großer Fanfare" vor.

.. And the Bush administration actively supports these efforts. Last December, for instance, Lynne Cheney observed on the MSNBC program Hardball that she regularly reads Instapundit and Power Line-a powerful recruiting tool for those sites.

Massing

Als Musterbeispiel für konservative Medien-MCs, die von einem großen Medienmix, den sich verstärkenden Effekten und den unterschiedlichsten Verbindungen profitieren, gilt Hugh Hewitt. Der Jura-Professor hat eine Radio Talk Show, einen Blog, der täglich einen neuen Sieg über die falschen Propheten der Mainstream-Medien meldet. Gestern traf es die LA-Times:

…I guess that means the Lost Angeles Times is doomed

Mit etwa 40.000 täglichen Visits und eine wöchentliche Kolumne im Daily Standard, der Online-Ausgabe des Weekly Standard, kann Hewitt auf eine ansehnliche Leserschaft bauen. Doch sein Wirkungsraum ist sogar noch größer.

Für Hewitt, einen bekennenden Christen (Evangelikal), sind Blogs eine sehr effektive Möglichkeit, das Wort Gottes zu verbreiten. Etwas von dem Glorienschein des Allmächtigen fällt auch auf dessen Lobpreiser Hewitt zurück: Das Monatsmagazin der evangelikalen Christen, "World", rühmt Hewitt als den "weltführenden Blog-Evangelisten". Die Gründung von mehr als 250 neuer Blogs soll auf die Inspiration Hewitts zurückgehen. Und er kann sich auf eine große Basis verlassen.

Wie viele Divisionen der Papst hat, ist noch ungeklärt, aber die evangelikalische Rechte in Amerika verfügt über unzählige Bloggerkohorten, sechs landesweite TV-Sender und zweitausend Radiostationen: "eine mächtige, aber größtenteils unbemerkte Kraft, welche die amerikanische Politik und Kultur maßgeblich formt", so Mariah Blake im Mai dieses Jahres.