Hochwasser löst neuen Streit über Aussetzung der Schuldenbremse aus

Hochwasser in Hannover. Foto: Axel Hindemith / BY-SA-3.0 DE

Experten nennen Extremwetter "neues Normal". Das war im Haushaltsplan aber nicht vorgesehen. Warum die Ausnahme rechtlich zulässig sein dürfte.

Erst vor wenigen Wochen hat die Ampel-Bundesregierung ein Sparpaket präsentiert, um genau diesen Schritt zu vermeiden – aber angesichts der Hochwasserlage in mehreren Bundesländern plädieren nun SPD-Haushaltspolitiker dafür, in diesem Jahr doch die Schuldenbremse auszusetzen.

"Das Hochwasser richtet gerade in Niedersachsen immense Schäden an", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz dem Spiegel. "Für diese Kosten könnten wir die Schuldenbremse aussetzen." Dies sei auch nach dem jüngsten Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts möglich.

"Schließlich handelt es sich um eine unvorhersehbare Naturkatastrophe. Dafür lässt das Urteil Spielräume", so Schwarz.

Ausmaß der Flutschäden noch nicht absehbar

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dennis Rohde, äußerte sich ähnlich gegenüber dem stern: "Noch ist das gesamte Ausmaß der Flutschäden nicht absehbar, aber für genau solche Fälle haben wir die Möglichkeit, die Schuldenbremse auszusetzen, im Grundgesetz stehen."

Daran habe auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst nichts geändert. "Ob wir diese finanzielle Dimension erreichen, werden wir jetzt genau prüfen."

Neben Niedersachsen haben aktuell die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Hochwasserlagen zu kämpfen.

Am Sonntag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Hochwassergebiet im Norden Niedersachsens besucht und versichert, der Bund stehe den betroffenen Ländern und Kommunen bei der Bewältigung "mit seinen Möglichkeiten" zur Seite. Allerdings hatte Scholz keine konkreten Zusagen für Finanzhilfen gemacht.

"Die Schuldenbremse baut weder Deiche noch Dämme"

Aus den Reihen der Unionsparteien kam zum Vorstoß der SPD-Haushaltspolitiker sofort Gegenwind: "Außer immer neuen Schulden fällt der Koalition nix ein. Auch für Unglücke muss man im Rahmen des Haushalts vorsorgen", befand der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Thorsten Frei.

Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Michael Lühmann (Grüne) schrieb auf der Plattform X, die Schuldenbremse baue weder Dämme noch Deiche, "noch beschafft sie Material und Ausrüstung oder schafft stellen im Katastrophenschutz". Seine Parteifreundin Irene Mihalic, im Bundestag Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, verlangte "endlich eine sehr ernste Debatte für verbesserte Strukturen beim Bevölkerungsschutz".

Innerhalb der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat bisher vor allem letztere auf die Einhaltung der 2009 eingeführten Schuldenbremse gepocht. Innerhalb der SPD und der Grünen gibt es dagegen Stimmen für eine Reformierung, um wichtige Zukunftsinvestitionen von dem engen finanzpolitischen Korsett auszunehmen.

"Neues Normal" bisher nicht eingeplant

Ob das aktuelle Hochwasser wirklich "unvorhersehbar" war, ist eine andere Frage: Extremwetterlagen werden nach Einschätzung der Weltwetterorganisation (WMO) im Zuge des Klimawandels zum "neuen Normal".

Die aktuelle Fassung der Schuldenbremse in Artikel 109 Absatz 3 des Grundgesetzes sieht Ausnahmen "für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen", vor – und bislang kommt es zumindest nicht jedes Jahr zu derartigen oder vergleichbaren Hochwasserlagen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Haushaltsurteil im November allerdings untersagt, mittel- und langfristige Klimaschutzmaßnahmen mit nicht verwendeten Geldern aus dem Corona-Sonderfonds zu finanzieren: Dies wurde als unerlaubte Umgehung der Schuldenbremse gewertet; der Nachtragshaushalt 2021 wurde damit für nichtig erklärt.