Höchste Eisenbahn?

Seite 2: Eine andere, funktionierende Bahn ist möglich!

Vier-Wagen-Züge seien die Ausnahme gewesen, Überfüllungen habe es "nur bei Störungen im Betriebsablauf" gegeben. Einzige Ausnahme seien "einige Züge zwischen Berlin und Potsdam". Nun, gerade das freilich ist auf der gesamten Strecke des RE 1 der mit Abstand meistgenutzte Bereich, und genau auf jenen Streckenabschnitt bezieht sich dieser Beitrag.

Insgesamt sieht der IGEB-Vertreter sogar eher eine "entspannte Lage". Allerdings weiß auch er, dass mit der kompletten Unterbrechung zwischen Erkner und Fürstenwalde der RE1 "vorübergehend etliche Fahrgäste an das Auto und Homeoffice verloren" habe.

Quo vadis, Bahn in Deutschland? In Sonntagsreden heißt es gerne und immer wieder, den Menschen hierzulande das Umsteigen in die Züge erleichtern zu wollen, sowohl von Regierenden als auch aus Chefetagen von Verkehrsverbünden und Bahnkonzernen. Aber wer bitte will schon das Leben "in vollen Zügen genießen" wie derzeit im Hier und Jetzt gerade drastisch kürzeren RE1?

Die Plattform "Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Bahn" hat dieser Tage ihren Jahresbericht vorgestellt. Dort heißt es:

Inzwischen ist das Ansehen der Bahn auf einem Tiefpunkt angelangt. Verantwortlich dafür sind natürlich die Bundesregierungen (seit 1994, d.A.), aber auch vor allem die führenden Köpfe im Bahnvorstand, die spätestens ab dem Antritt von Hartmut Mehdorn als Bahnchef Ende 1999 von Jahr zu Jahr zu diesem Erosionsprozess beitrugen.

Sämtliche Versprechen, die mit der Bahnreform 1994 verbunden waren, wurden gebrochen: Statt Ausbau Abbau von Netz und Kapazitäten, statt Verbesserung Verschlechterung des Services, anstelle einer Konzentration auf die Schiene in Deutschland der Umbau der DB AG zu einem Global Player.

Laut Bürgerbahn-Report steht im Zentrum wiederholter Kritik auch des Bundesrechnungshofes die Aussage, dass der Bahnkonzern im Bereich Infrastruktur seit mehr als 15 Jahren auf Verschleiß fahre. Dies treffe auch für das Jahr 2022 zu. Und dieses Fahren auf Verschleiß sei der entscheidende Grund dafür, dass die Pünktlichkeitsquote so niedrig sei wie noch nie zuvor in den letzten 33 Jahren.

Als Allheilmittel bezüglich Infrastruktur preisen – dem Bürgerbahn-Bericht zufolge – das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium und der Bahnvorstand eine "Generalsanierung" an. Dabei sollen im Zeitraum 2024 bis 2030 in jedem Jahr sowohl ein "Korridor" im Schienennetz für fünf bis sechs Monate komplett gesperrt und zudem alle Bestandteile der Infrastruktur erneuert werden.

Die Plattform "Bürgerbahn" kritisiert daran: "Das traditionelle Sanieren und Instandhalten 'unterm rollenden Rad' wird aufgegeben. Dieses behauptete neue Allheilmittel ist Gift für den Schienenverkehr." Denn wer ein halbes Jahr vollständig auf die Bahn verzichten muss, steigt wahrscheinlich (wieder) um ins Auto.

Klimaschutz ginge anders: Die Plattform "Bürgerbahn" weist dazu auf Folgendes hin:

Mitte März erklärte der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer, der "Deutschlandtakt" könne nicht, wie bislang seit mehr als einem Jahrzehnt behauptet, bis 2030 weitgehend umgesetzt werden. Dies sei erst etwa im Jahr 2070 der Fall. Niemand in der Bundesregierung hat dieser – offensichtlich gezielt gestreuten – Aussage widersprochen. Faktisch werden damit die Klimaziele der Bundesregierung im Bereich Schiene bis 2030 aufgegeben.

Diese Aussage des Bahnbeauftragten sei wiederum eine logische Folge aus dem beschriebenen Projekt Generalsanierung. Mit dieser werde der Schienenverkehr sechs Jahre lang extrem negativ belastet; "ein größeres Wachstum ist damit bis 2030 ausgeschlossen."

Interessante Fußnote bei all der Kritik: Der aktuelle Bahnchef Richard Lutz hat laut offiziellem Bericht des Bahnvorstandes im Jahr 2022 sein Gehalt gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Viele Medien schreiben dazu: "trotz roter Zahlen". Man könnte eher sagen: Die roten Zahlen mögen auch daher stammen. Oder wie das Sprichwort sagt: "Der Fisch stinkt vom Kopfe":

Das Manager-Magazin schreibt:

Laut Geschäftsbericht lag die Vergütung des Vorstandsvorsitzenden bei 2,24 Millionen Euro. Sein Grundgehalt lag bei fast 970.000 Euro. Hinzukam ein Bonus von mehr als 1,26 Millionen Euro.

Zur Lage des Konzerns heißt es im Manager-Magazin auch:

Die Deutsche Bahn ist trotz wieder rasant gestiegener Passagierzahlen und eines Rekordergebnisses der Logistik-Tochter Schenker 2022 nicht aus den roten Zahlen gekommen. Bei einem Umsatz von 56,3 Milliarden Euro stand unter dem Strich ein Minus von 230 Millionen Euro (…). Dieses Minus wird sich 2023 weiter ausweiten, wie die Bahn einräumte. Konzernunterlagen zufolge wird ein Verlust von um die zwei Milliarden Euro erwartet.

Auf dem Papier zumindest könnte man mit Blick auf die jetzige Bundesregierung manche Weichen für korrekt gestellt halten. Die Ampel-Regierung hat als ein Ergebnis ihres jüngsten, langen Koalitionsausschusses gerade verkündet, man wolle bis 2027 zusätzlich 45 Milliarden Euro für den Ausbau des Schienennetzes bereitstellen.

Der bereits zitierte Bahn-Fachmann Winfried Wolf kritisiert den Bundestrend bei der Bahn: Die Ergebnisse des jüngsten Koalitionsausschusses im Bereich "Verkehr" sind ihm zufolge "ein Sieg der FDP auf ganzer Linie". Tatsächlich komme es nur zum Straßen- und Autobahnausbau.

Dass die Schiene wirklich ausgebaut werde, stehe im Ampelpapier ja nirgendwo. Das Plus an Geld, das der Schiene zufließen soll, werde in "zerstörerische Großprojekte" fließen – wie neue Hochgeschwindigkeitsstrecken (Hamburg-Hannover und Hannover-Bielefeld) oder in die "absurde Verlegung" des Altonaer Bahnhofs nach Diebsteich, oder weiterhin in das hochumstrittene Projekt "Stuttgart 21". Laut Wolf schadet dieses Geld dort insgesamt der Schiene mehr, als es nutze.

Vier wichtige Forderungen auch im Sinne der Plattform "Bürgerbahn", bei der Winfried Wolf verantwortlich mitwirkt, seien (siehe ebenfalls hier)

  1. Alle Beton-Großprojekte stoppen.
  2. Das Projekt "Generalsanierung" (s.o.) stoppen. Stattdessen also eine Grundsanierung unter rollendem Rad (bei weitgehend laufendem Betrieb), und dies für das gesamte Netz.
  3. Sofortige Beseitigung der "Flaschenhälse", der Engstellen im Netz. "Bürgerbahn" habe von diesen Engstellen 13 vordringlichste und weitere drei Dutzend ebenfalls dringliche ausgemacht. Die gesamten Kosten für diese Beseitigung der Engpässe liegen Wolf zufolge nur bei circa 15 Prozent dessen, was die genannten zerstörerischen Großprojekte schluckten.
  4. Systematische Reaktivierung von stillgelegten Bahn-Strecken.

Wie es selbst innerhalb kapitalistischer Verhältnisse besser laufen, pardon: rollen könnte, zeigt Wolf und anderen zufolge die Schweiz: Deren Bahnbetrieb sei "der einzige echte Lichtblick; insgesamt weitgehend vorbildlich." Wie der Ex-Chef der Schweizer Bahnen (SBB), Benedikt Weibel, sagte: "Wir sind ein Bahnland – bei uns gibt es keine Autoindustrie". Winfried Wolf ergänzt, dass in Deutschland die Auto- und Ölindustrie eine vergleichsweise wichtige Rolle spiele.

Der aufgeschlossene Zugbegleiter im hoffnungslos überfüllten RE1 macht deutlich, dass der jetzige Zustand mit all seinen Verschlimmbesserungen auch ihm wenig sinnvoll und planvoll erscheine.

Wer also hat in Deutschland einen (Fahr-)Plan, damit die Bahn tatsächlich und nachhaltig (ins Rollen) kommt? Menschliche Praxis als Kriterium von Wahrheit: Entscheidend ist eben auf dem Platz, auch hier. Und wenn es der beengte Stehplatz im nun, nach dem Bahnhof Zoo, noch überfüllteren RE1 ist.