Hollande, schachmatt

François Hollande, 2015. Foto: Pablo029/CC BY-SA 4.0

Der französische Präsident verzichtet auf seine Kandidatur. Mit Premier Valls macht sich ein autoritärer Vertreter des rechten Flügels der Sozialdemokraten als Nachfolger bereit. Er hat gute Chancen gegen Le Pen

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Ausgemacht ist nicht, was viele als nächste dräuende Gefahr für die liberale, offen gesinnte Demokratie im Westen heraufziehen sehen: der Wahlsieg von Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen Ende April, Anfang Mai 2017.

Der Amtsinhaber François Hollande erklärte gestern seinen Verzicht auf eine Kandidatur für eine weitere Amtszeit und gab damit den Weg frei für einen anderen, sehr viel aussichtsreicheren Kandidaten aus den Reihen der Sozialdemokraten. Zwar wird der Kandidat erst Anfang des kommenden Jahres in Vorwahlen bestimmt, aber - vorausgesetzt der PS will den nächsten Präsidenten stellen - so steht er schon fest. Es ist Ministerpräsident Manuel Valls.

Valls hat seinen Vorgesetzten Hollande ausgespielt, er hat ihn schachmatt gesetzt, und es ist ihm zuzutrauen, dass er auch den Front National ausspielt. Wahlen werden auch in Frankreich in der Mitte gewonnen.

Ein "Repräsentant der Feindbilder" tritt ab

Marine Le Pen hat dies längst in ihre Strategie einbezogen. Ihre Äußerungen wurden zuletzt sehr viel moderater. Der Name "Le Pen", der wegen ihres Vaters das Signal "rechtsextrem" assoziiert, wurde mit Bedacht von Parteiplakaten entfernt. Ihr fehlen, so rechnete jüngst ein Medienbericht vor, etwa 9 Millionen Stimmen, um tatsächlich Präsidentin zu werden - und nicht nur eine Anti-System Protestfigur.

Mit Hollande tritt der Geist der Erfolgslosigkeit der PS-Regierung ab. Daraus ergibt sich ein Momentum für die Sozialdemokraten. Der Präsident ist in Frankreich Staatsoberhaupt und eine Repräsentationsfigur erster Güte. Er verfügt über große Macht - gegen das Präsidialsystem gibt es immer wieder Einwände - und er wird mit der Regierungspolitik identifiziert.

Hollande ist, wie heute und gestern und in den Wochen zuvor, immerfort, selbst in den "3-Minuten- Kurznachrichten" aus aller Welt in Deutschland, herausgestellt wurde, der bei weitem unbeliebteste französische Präsident seit Jahrzehnten.

Er repräsentiert vieles, woraus vor allem der FN politisches Kapital schlagen konnte: Elitenherrschaft, Bürokratie, EU-Frömmigkeit, Schwäche gegenüber Deutschland, eine erfolglose, falsch orientierte Wirtschaftspolitik. Summa summarum: viel zu viel Abstand zum peuple.

Das Bild des arroganten Enarchen hinter der Fassade des Monsieur Normal verfestigte sich durch Anekdotisches, das im TV, im Netz, in den Zeitungen weidlich ausgekostet wurde, weil es großen Unterhaltungswert hatte. Aus dem Buch seiner von ihm verlassenen Lebensgefährtin Valérie Trierweiler wurde der Satz zitiert:

Er stellt sich als Mann dar, der die Reichen nicht mag. In Wirklichkeit mag der Präsident die Armen nicht. Er, der Mann der Linken, spricht im Privaten von den 'Zahnlosen' und ist stolz auf seinen Humor.

Valérie Trierweiler, Merci pour le Moment

Im Sommer dieses Jahres sorgte dann seine Frisur für Wirbel, genauer sein Friseur, für dessen Pflege des Staatsoberhaupts die Staatskasse monatlich 9.885 überwies. Auf Twitter wird das Thema seit gestern wieder neu aufgenommen.

Valls: Autoritär, vom rechten Flügel

Manuel Valls repräsentiert dagegen einen anderen Politikertypus. Er zahlt sicher weniger für den Friseur. Ihm wird auch kein Elitismus vorgehalten. Als sein Markenzeichen verkauft er "Dynamik" und Entschlossenheit. Diese kann bei Bedarf ins Autoritäre übergehen, wie er bei einer Diskussion über das Burkini-Verbot deutlich gemacht hat. Die Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem sprach sich dagegen aus, Valls fuhr ihr öffentlich mit dem Ton eines Vorgesetzten in die Parade.

Auch das ist nur eine Anekdote. Sie verdeutlicht aber im kleinen Ausschnitt Aspekte, welche die Wahl-Kampf- Konkurrenz vor Probleme stellen wird. Valls ist kein Sozialdemokrat, gegen den man mit dem Vorwurf der Laxheit oder des Zauderns punkten könnte.

Er steht für Führungsstärke und Autorität, die gegenwärtig bei Wählern gut ankommt, und er ist, wie seine Haltung in der Burkini-Debatte erneut zeigte, nicht als "Islamistenversteher" zu denunzieren. Seine Haltung gegenüber radikalen Strömungen des Islam liefert keine Angriffsfläche für den FN.

Dazu kommt der Amtsvorteil. Marine Le Pen hat noch kein politisches Amt bekleidet, mit dem sie sich hervorgetan hat. Valls hat nicht nur Erfahrung, sondern mit dem Verzicht Hollandes die Möglichkeit, seine Agenda im Amt des Ministerpräsidenten zur Schau zu stellen.

Zwar ist Hollande durch seinen öffentlichen Schritt nicht vom Amt des Präsidenten zurückgetreten, er ist aber dadurch, wenn auch nicht in der ausgeprägten Form wie Obama in den USA, zu einer Art Lame Duck geworden. Die politische Umgebung, im Inland wie im Ausland, macht sich bereit für die Ablösung und achtet darauf, was mögliche Nachfolger vorhaben, wie deren Agenda aussieht. Bei Valls können sie bei der Regierungsarbeit zuschauen. Der Präsident wird ihn unterstützen.

Die Gegenkandidaten aus der eigenen Reihe muss Valls nicht groß fürchten, wenn es den Sozialdemokraten darum geht, die Wahl zu gewinnen. Mit Frondeuren, d.h. mit Vertretern des linken Flügels der Partei, dürfte keine Mehrheit in der Mitte zu finden sein. Auch der Vorwahlkampf der Rechtskonservativen hat gezeigt, dass die Mitte in Frankreich gerade nach rechts verlagert ist.

Dass er politisch gut taktieren kann, bewies Valls dadurch, dass er Hollande mit Nachdruck, aber nicht übereifrig (wie man dies etwa von Söder in Bayern kennt), in eine Position zwang, die ihm keinen anderen Zug mehr erlaubte als den der Aufgabe.