Hundejahre auf der Couch

150 Jahre Sigmund Freud: Sprechblasen und Comic-Wahrheiten

Am 6. Mai jährte sich Sigmund Freuds Geburtstag zum 150. Mal. Ein Anlass, den Vater der Psychoanalyse umfassend zu würdigen. Symposien, Ausstellungen, Film- und Vortragsreihen setzen sich mit seinem Erbe auseinander; Fernsehsender zeigen Themenabende, Zeitungen und Zeitschriften präsentieren spezielle Dossiers, Sonderhefte oder Beilagen, und eine Fülle von Buch-Neuerscheinungen beschäftigt sich mit Leben und Werk. Telepolis stellt drei Bücher vor, die sich dem Meister des Unbewussten mit einer Kombination aus Zeichnungen und Worten nähern.

Das Ich, das Über-Ich, das Es - Sigmund Freud leuchtete die Kräfte aus, die den Menschen bewusst und vor allem unbewusst antreiben, der Seele dunkle Pfade. Nach der kopernikanischen Kosmologie, die dem Menschen klar machte, dass er nicht der Mittelpunkt des Universums ist, und nach der Evolutionslehre von Charles Darwin, die den Homo sapiens aus dem Zentrum der Biologie rückte und seine enge Verwandtschaft mit den Tieren verdeutlichte, bedeutet Freuds Psychologie des Unbewussten die dritte Kränkung des Menschen, die dritte Revolution des menschlichen Weltbilds.

Der Mensch ist nicht Herr seines Geistes, er muss begreifen, dass er oft schlicht von seinen Treiben, vor allem seinem Sexualtrieb gesteuert wird.

Die ganze Wahrheit

"Sigmund Freud - Die ganze Wahrheit" von Christian Moser ist beinahe eine klassische Biografie. Der Münchner Comiczeichner schildert das Leben und die Arbeit Sigmund Freuds aus der Sicht seiner legendären Couch, auf die sich die Patienten im Arbeitszimmer für die Psychoanalyse legten.

Ein besonderes Möbel und seither wichtiges Accessoire aller Analytiker. Kein Wunder, dass auch das Sigmund Freud Museum in Wien seine aktuelle Ausstellung dem Thema Die Couch. Vom Denken im Liegen. Im Prolog des Buchs stellt sich die Couch vor:

Ich bin eine ganz normale Couch (..) Ein bisschen Holz, ein paar Stahlfedern, etwas Rosshaar und ein wenig Stoff. (...) Wenn man fast ein halbes Jahrhundert lang als Behandlungsmöbel eines Analytikers gedient hat, dann kommt noch so einiges dazu: Blut, Schweiß und Tränen. Die Tränen der Erinnerung, der Schweiß der seelischen Schwerstarbeit...

Christian Moser geht von den Erfahrungen aus, die das Möbelstück als stiller Zeuge aller Vorgänge gesammelt hat, und berichtet über das berufliche wie das private Leben des "Erforschers der dunkelsten menschlichen Abgründe". Die ganze Wahrheit eben. Das Buch ist kein klassischer Comic, sondern eher ein Bilderbuch, das bunt und mit viel Komik in die Entstehung der Psychoanalyse einführt und dabei ganz spielerisch die wichtigsten Begriffe erklärt, z.B. treten die Hauptfiguren der Traumdeutung wie der Zensor, der Tagesrest oder die Verdichtung als kleine Monster auf die Bühne.

Und Freud selbst sieht sich mit dem teuflischen Abgrund des Unbewussten konfrontiert. Oder es werden Phänomene wie die erotische und die negative Übertragung im Text erläutert und auch bildlich verdeutlicht. Ergänzt werden die Erinnerungen der Couch durch Zitate von Sigmund Freud.

Christian Moser hat sich schon der Vergangenheit mit den vielen kleinen Psycho-Monstern beschäftigt, die den Menschen alltäglich quälen und ausbremsen (Monster des Alltags). Zusammen mit dem Wiener Kabarettisten Severin Groebner bringt er die innere Leere, den Liebeswahn, das schlechte Gewissen und viele andere alltägliche Quälgeister auch als Show auf die Bühne.

Sigmund Freud - Die ganze Wahrheit ist eine sorgfältig recherchierte, sowohl liebevolle als auch humorige Hommage an den Gründervater der Psychoanalyse.

Hundejahre

Manu Larcenet legt dagegen mit Die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud - Hundejahre eine wunderbare, völlig fantastische Comic-Geschichte ohne Authentizitätsanspruch vor. Sigmund Freud reist nach Amerika. Tatsächlich besuchte er 1909 die USA, wo er begeistert willkommen geheißen wurde. Er konnte dem amerikanischen Traum allerdings nicht viel abgewinnen und hielt Amerika für einen "gigantischen Irrtum" (Auch Bush ist nur ein Ödipus).

In der Realität unternahm der Psychoanalytiker eine Vortragsreise, Larcenet lässt ihn dagegen frei fabulierend über den Ozean fahren, um die Amerikaner zu analysieren, weil er von den "hysterischen alten Schachteln" in Wien genug hat. Freud reitet mit seinem Diener Igor mitten hinein in einen herrlich schrägen Western. Aber es gestaltet sich für den Seelendoktor schwieriger als gedacht, einen brauchbaren Patienten zu finden, denn

Dieses Land scheint zweigeteilt zu sein: Auf der einen Seite die Opfer, auf der anderen die Peiniger... die Opfer sind so resigniert, dass es mich Jahre kosten würde, ihnen zu helfen und die Peiniger sind mir zu gefährlich... das ist eine Bande von Mördern, Vergewaltigern und Ganoven...

Aber da gibt es noch den zweiten Protagonisten, einen streunenden Hund, der in ein Arbeitslager kommt, weil er sich geweigert hat, dem Menschen zu dienen. Beim Gefangenengottesdienst erfährt er vom Priester, dass er gefangen ist, weil er keine Seele hat. Er bricht aus, um einen indianischen Schamanen zu finden, der große Kräfte haben soll und ihm vielleicht eine Seele verschaffen kann. Auf seiner Flucht begegnet er Sigmund Freud, den er berauben will - stattdessen wird er aber analysiert.

Die nun zusammen Reisenden treffen einem Wanderschamanen, der ihnen ein paar weiße Pilze zu essen gibt und mit dem Geschirr verschwunden ist, als sie aus ihrem psychedelischen Trip erwachen. Nach weiteren Abenteuern werden die drei ihm aber wieder begegnen - aber es soll hier nicht die ganze Geschichte verraten werden. Der Comic bietet Action und trotz des Funny-Stils rasante und eindrückliche Bilder. Und natürlich einen guten Schuss indianischer Mystik.

Manu Larcenet, der dieses Jahr für den Max und Moritz-Preis auf dem Comic-Salon Erlangen als bester Szenarist für seine Comic-Alben "Der alltägliche Kampf" (der dritte Band erscheint im September) nominiert ist und der für "Die Kosmonauten der Zukunft und die Donjon-Parade mit Lewis Trondheim zusammen arbeitete, legt mit seiner Freud-Saga einen neuen Beweis vor, dass zu den Großmeistern des neuen französischen Comic zählt.

Diese in jeder Hinsicht durchgeknallte und komische Wild-West-Suche nach der Seele und ihren Abgründen ist absolut lesenswert!

Grüße für Anfänger

Last but not least erschien gerade die Neuauflage eines absoluten Freud-Comic-Klassikers, der seit vielen Jahren zu den Empfehlungen für Psychologie-Studenten im Grundstudium gehört: Freud lässt grüßen von Richard Appignanesi und Oscar Zarate, zuvor bekannt unter dem Titel Freud für Anfänger (Freud for Beginners).

Der Autor Richard Appignanesi und der Zeichner Oscar Zarate klärten schon 1979 in der Erstauflage grundlegend über Neurosen, Libido, Ich, Es und Über-Ich auf. Der schwarzweiße Comic mit leicht verständlichen Zwischentexten, die Schlüsselbegriffe erklären, ist eine bildliche Mischung aus den rasanten Zeichnungen Zarates (der 1994 den Eisner Award für das beste Comic-Album erhielt), kunstgeschichtlichen Zitaten und Collagen.

Diese amüsante Einführung in die Psychoanalyse erläutert die Grundzüge der Theorie entlang der Biografie von Sigmund Freud. Von Mamas Liebling, der 1856 in Mähren geboren wird, bis zum Nationalsozialismus, dem Exil in London und dem Krebstod 1939. Die wichtigsten Stationen seines Lebens sind ebenso Thema wie die behandelten Patienten, aus deren Fällen er entscheidende Schlüsse zog, von Anna O. bis zum Rattenmann.

Wer wissen will, was es mit dem Ödipuskomplex, dem Penisneid, der Fixierung und Übertragung, dem triebgesteuerten Ich und der Traumarbeit auf sich hat, der kann in diesem Comic humorvoll und informativ einen Eindruck bekommen, ohne gleich wissenschaftliche Texte lesen zu müssen.

Schade ist, dass die Druck-Qualität der deutschen Ausgabe etwas zu wünschen übrig lässt, insgesamt ist der Band viel zu grau geraten und manche Bilder (z.B. Kronos von Goya auf S. 54 oder Utopia von Breughel auf S. 80) sind kaum zu erkennen.