Hunderttausende zogen zum Generalstreik in Spanien auf die Straßen
Gewerkschaften erklären, der Kampf gegen die Arbeitsmarktreform habe diesem massiven Generalstreik gerade erst begonnen
Für die rechte spanische Regierung hatte Wirtschaftsminister Luis de Guindos erklärt, man werde trotz des Generalstreiks am Donnerstag "keinen Zollbreit" von der Arbeitsmarktreform abgehen. Der Finanzminister fügte an, damit werde die Krise nur verschärft, die schon viele Arbeitsplätze vernichtet habe. Für Cristóbal Montoro "steht auf dem Spiel, ob wir aus der Krise herauskommen", und nicht, ob ein Generalstreik stark oder schwach befolgt werde.
Wegen harter Sparmaßnahmen und einer Reform, die den Kündigungsschutz in Spanien praktisch abschafft, die Abfindungszahlungen mehr als halbiert, die Mitbestimmung der Betriebsräte und Gewerkschaften enorm beschneidet, hat die Regierung den Streik mit diesen Worten nur weiter angeheizt. Die Vertreter der konservativen Volkspartei (PP) können den Widerspruch nicht auflösen, dass sie mit ihrer Reform Arbeitsplätze schaffen wollen, aber die Regierung für 2012 selbst prognostiziert, die Zahl der Arbeitslosen werde von etwa 5,4 auf fast 6 Millionen Land ansteigen. Die Wirtschaft soll erneut um 1,7% schrumpfen und die Jugend verliert jede Hoffnung, denn die Jugendarbeitslosigkeit ist sogar auf über 50% gestiegen.
Die Stärke des Streiks zeigte sich auch am Stromverbrauch, der am Morgen fast 25% unter dem vor einer Woche lag. Dabei wird auch beobachtet, dass die Straßenbeleuchtung in Teilen Madrids und an anderen Orten am Tag eingeschaltet war, um den Stromverbrauch künstlich zu erhöhen. Bestätigte sich das, würde sich auch erklären lassen, warum die Differenz auf knapp16% im Tagesverlauf geschrumpft ist. Der Rückgang am Morgen war aber deutlich stärker als beim Generalstreik gegen die Kürzungspolitik der sozialistischen Vorgängerregierung im September 2010. Die großen spanischen Gewerkschaften gaben die Streikbeteiligung mit durchschnittlich 77% an. In der Industrie sei sie mit 97% deutlich höher und in der öffentlichen Verwaltung 57% geringer gewesen. In Madrid sollen nach El Pais an der zentralen Demonstration 170.000 Menschen teilgenommen haben, in Barcelona 275.000 und in Valencia 95.000. Die Zahlen der Gewerkschaften liegen deutlich darüber, die der Behörden ebenso deutlich darunter.
Wie stets war die Beteiligung nicht überall gleich. Besonders stark war erneut der Ausstand im Baskenland. Hier hatten die baskischen Gewerkschaften sofort zu ihrem vierten Generalstreik während der Krise mobilisiert, nachdem die Regierung per Dekret die Reform im Februar ohne Verhandlungen diktierte. Da sich vor drei Wochen schließlich auch die großen spanischen Gewerkschaften anschlossen, streikten hier erstmals seit vielen Jahren wieder alle Gewerkschaften gemeinsam.
Der Ausstand war im Baskenland in vielen Bereichen total. Besonders stark war er im Seebad Donostia-San Sebastian und in seiner Umgebung, weil sich sogar die linksnationalistische Regierung der Provinz Gipuzkoa und auch die großen Kooperativen beteiligten. Ähnlich sah es aber im gesamten Baskenland aus. Überall gingen die Menschen in Städten und Dörfern auf die von eitler Sonne beschienenen Straßen. Sogar die baskische Regierung räumte eine hohe Beteiligung von 60 bis 70% in der Privatwirtschaft und 72% im öffentlichen Dienst ein, obwohl die Angaben von Gewerkschaften und Regierung sonst weit auseinander liegen. Streikposten seien deshalb hier meist unnötig gewesen, bestätigten baskische Gewerkschaftler gegenüber Telepolis.
Ainhoa Etxaide, Generalsekretärin der Gewerkschaft LAB, erklärte, das Baskenland habe gezeigt, dass man den Unternehmern und ihrer Regierung mit Würde sagen kann: "Es reicht!" Industriegebiete und Häfen waren am Donnerstag völlig verweist, wie Videos zeigen. Geschäfte, Banken und Restaurants blieben mangels Belegschaft geschlossen. Auch im Mercedes-Werk in Vitoria- Gasteiz und dem VW-Werk in Pamplona ging nichts und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es praktisch nicht.
Anders war das in Katalonien, wo auch brennende Barrikaden auf Autobahnen und in der Metropole Barcelona errichtet wurden, um den Verkehr zu behindern. Der Streik war auch in Katalonien und Galicien überdurchschnittlich hoch. In einigen Städten ging die Polizei hart gegen Streikposten vor. Festnahmen und Verletzte wurden vor allem aus den südspanischen Städten Murcia und Sevilla gemeldet. Doch auch in Madrid wurden 24 Personen festgenommen. Hier blockierten Streikende u.a. Großmärkte wie Mercamadrid.
Auch die spanischen Gewerkschaften sprechen von einem "Erfolg". Den wollen sie nutzen, um die Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy an den Verhandlungstisch zu zwingen, während aus dem Dekret auf dem parlamentarischen Weg ein Gesetz gegossen wird. Man müsse einen "Konsens im Land finden", sagte Fernández Toxo, Generalsekretär der großen Arbeiterkommissionen (CCOO). Die kämpferischen Regionalgewerkschaften aus dem Baskenland, Galicien, Katalonien und den Kanarischen Inseln lehnen im gemeinsamen Streikaufruf diese Sozialpaktgespräche ab. Denn darin schlucken die großen spanischen Gewerkschaften immer wieder Kröten und haben sogar die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 abgenickt. In ihrem gemeinsamen Aufruf heißt es, die Bevölkerung müsse sich gegen das "herrschende neoliberale Dogma" und die "Angriffe auf den Wohlstand der einfachen Menschen" erheben.
Doch auch die spanischen Gewerkschaften stellen sich nun offenbar auf einen längerfristigen Konflikt ein. Sollte die Regierung den ausgestreckten Arm weiter ablehnen, "werden die Konflikte weiter zunehmen", drohte Toxo. Er wirft der Regierung vor, sich nur "die Haushaltkonsolidierung zu konzentrieren, wobei die Arbeitslosen völlig vergessen würden". Der CCOO-Chef bezweifelt, dass bei steigender Arbeitslosigkeit, die mit Steuerausfällen und steigenden Sozialausgaben einhergeht, ohne Wachstum die Sanierung gelingen kann.
Die Gewerkschaften erinnern Rajoy daran, dass seine Partei schon 2002 eine Arbeitsmarktreform nach einem Generalstreik fast vollständig zurücknehmen musste, der damals in den staatlich kontrollierten vollständig negiert wurde. Der Informationsdirektor wurde deshalb später sogar zur Richtigstellung verurteilt. Zudem wurde die Reform später auch noch vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft und erneut gibt es große Zweifel, ob diese Reform von der Verfassung gedeckt wird.
Die Gewerkschaften verweisen überdies darauf, dass die Konservativen am vergangenen Sonntag in zwei Regionen an den Wahlurnen nach nur vier Monaten die Quittung für ihre Politik bekommen haben. In der bevölkerungsreichsten Region Andalusien verfehlte sie ihr Ziel deutlich, den Sozialisten auch in der letzten Hochburg die Macht zu nehmen, wie es prognostiziert worden war. Die PP verlor seit November wieder 400.000 Stimmen in der Region und den Durchmarsch verhinderte die Vereinte Linke, die sich am Generalstreik beteiligt hat.