Hurra, der (Pseudo-) Aufschwung ist da!
Seite 2: Blinde Bankenbilanzen
Wenn es um die Ausgestaltung Potemkinscher Dörfer geht, lassen sich allerdings die Banken von niemandem überbieten. Bereits im vergangenen Oktober lockerte die Europäische Union im Eilverfahren die Bilanzregeln für die Finanzinstitute, um so ausufernde Notverkäufe und eine drohende Börsenpanik zu verhindern. Die EU-Kommission räumte den Banken und Versicherungen die Möglichkeit ein, „Wertpapiere in ihren Büchern zum Kaufpreis zu verbuchen, der oft viel höher liegt als der derzeitige Marktwert“, wie es damals pietätsvoll Springers Welt formulierte formulierte.
Die „gelockerten“ Bilanzregeln wurden rückwirkend wirksam, so dass beispielsweise die Deutsche Bank nur dank dieser kreativen Buchführung im Zeitraum Juli bis September 2008 an die 414 Millionen Euro Gewinn ausweisen konnte – ansonsten hätte sie 900 Millionen Euro an Abschreibungen vornehmen müssen. Im Endeffekt legalisierte die EU-Kommission einen Straftatbestand, nämlich die Überbewertung von Aktivposten, der einstmals zur Nichtigkeit einer Unternehmensbilanz führte.
Aus dieser Ad-hoc-Maßnahme, die ähnlich in den USA umgesetzt wurde, wird nun neues Bilanzrecht geformt. Bereits im April 2009 hob der amerikanische Bilanzierungsrat auf Drängen des Kongresses die fundamentale Bilanzregel auf, wonach ein Unternehmen nur das in die Bilanz hineinschreiben darf, was es am Markt erzielen kann. Laut Financial Times Deutschland (FTD) geben die neuen Leitlinien den „US-Instituten mehr Spielraum, bei der Bewertung ihrer Ramschpapiere vom aktuellen Marktwert (Fair Value) abzuweichen“.
Mitte Juli gab ebenfalls die europäische Bilanzorganisation IASB dem politischen Druck – auch aus Deutschland - zur Schönfärberei nach und lockerte die Bilanzierungsregeln. Europa und Amerika lieferten sich einen regelrechten „Wettstreit“, wer den Finanzinstituten „beim Bewerten von Problem-Papieren und Krediten am meisten“ entgegenkomme, witzelte die FTD. Bei vielen Finanzinstituten dürfte es sich somit nur noch um lebende Tote handeln, um Zombies des untergegangenen, finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, die nur dank der legalisieren Bilanzfälschung noch am Leben erhalten werden. Scheinbar kann der Kapitalismus nur noch funktionieren, indem er seine eigenen Rentabilitätskriterien außer Kraft setzt.
Zu dieser neuen Phase der betriebswirtschaftlichen und statistischen Schönfärberei muss man selbstverständlich noch die „klassischen“ Verzerrungen in den Statistiken hinzuzählen, wie sie beispielsweise bei der Inflationsrate oder der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten sukzessive und planmäßig forciert worden. Es ist eigentlich schon seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass beispielsweise die deutsche Arbeitslosenstatistik massiv manipuliert ist und Millionen von Arbeitslosen nicht mehr erfasst werden. Wie man sich die Inflationsrate zurecht lügen kann, erläuterte jüngst Paul Craig Roberts, ehemals stellvertretender Finanzminister in der Reagan-Administration. Das Zauberwort lautet „Substitution“:
The Consumer Price Index no longer measures a constant standard of living and is not comparable to pre-Clinton periods. During the 1990s, the CPI ceased to be based on a weighted fixed assortment. The principle of substitution was introduced. For example, under the old measure, if the price of steak rose, the CPI rose. Under the new measure, if the price of steak rises, the index switches to hamburger on the assumption that consumers substitute hamburger for steak.
Paul Craig Robert: How Fake is the "Recovery"?
Konjunkturpropaganda, statistische Tricks oder die legalisierte Bilanzfälschung der Banken können aber die derzeit zu beobachtende, zumindest zeitweilige Stabilisierung der Weltwirtschaft nicht gänzlich erklären. Neben der BRD und den USA meldete beispielsweise auch das schwer gebeutelte Japan zwischen April und Juni 2009 ein Wachstum von 0,9 % gegenüber dem Vorquartal. China hingegen, wo das BIP im zweiten Quartal dieses Jahres um 7,9 % hochschnellte, gilt ohnehin inzwischen als die „Lokomotive“ der Weltwirtschaft.