I can't get no Iraqification

Sunniten zu Polizei und Armee – Keine Zusammenarbeit mit den USA

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das irakische Parlament hat einen sunnitischen Parlamentspräsidenten gewählt: Hadschim al-Hassani, ein Akt mit eher symbolischer Bedeutung, da der Posten keine großen politischen Machtbefugnisse einräumt, trotzdem wurde die Wahl in den Medien mit Erleichterung kommentiert; man erhofft sich von diesem Schritt, die Sunniten in den offiziellen politischen Prozess einzubinden und den Regierungsbildungsprozess in Gang zu bringen. Kurz zuvor erließ eine Gruppe von sunnitischen Geistlichen einen Aufruf, der ebenfalls hohen Symbolwert hat, dessen Umsetzung in die Praxis aber die Situation im Irak sehr verändern könnte.

Der Aufruf kam überraschend und er hat auf den ersten Blick Integrationspotential: Am vergangenen Freitag haben 64 sunnitische Geistliche eine Fatwa erlassen, wonach es für alle Iraker, also auch Sunniten, nicht nur gestattet sei, sich den irakischen Sicherheitskräften anzuschließen, sondern gar ein patriotisches Gebot der Stunde. Nötig, um Polizei und Armee des Landes "davon abzuhalten, dass sie in die Hände jener fallen, die Chaos und Zerstörung geschaffen haben".

Prominente Mitglieder der "Association of Muslim Scholars" und der "Irakischen Islamischen Partei", beide entscheidende Befürworter des sunnitischen Wahlboykotts, sowie Imame berühmter sunnitischer Moscheen haben diesen Aufruf unterzeichnet, der allerdings an eine wesentliche Bedingung geknüpft ist: Die neuen Sicherheitskräfte müssten sich dazu verpflichten, den Besatzern keinesfalls zu helfen, wenn es gegen Landsleute geht.

Eine klare Absage also an die Adresse der Amerikaner, mit denen man nicht kooperieren will, eine Absage an die internationalen Dschihadis und ein Signal der Annäherung an den aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten, Dschafari, der, was den Widerstand anbelangt, zwischen "Guten" und Bösen" unterscheidet (vgl. Zedern und Zaudern).

Lasst uns genauer anschauen, wer die Aufständischen sind...Es gibt eine Minderheit von Sunniten und unter diesen befindet sich eine größere Gruppe von meist jüngeren Leuten, die Sympathien für die Aufständischen haben mögen, aber gute Menschen sind. Die Regierung mag den harten Kern nicht beeinflussen können, aber sie kann Einfluss auf die Sichtweise der größeren Gruppe haben, wenn für eine "gute Repräsentation" der Sunniten in der neuen Regierung gesorgt wird....Wir treffen eine genaue Unterscheidung zwischen jenen, welche die Wahlen boykottiert haben und denen, welche die Wahlen morden wollten.

Unklar ist jedoch noch, wie einig sich das "sunnitische Lager", das nicht so einheitlich ist wie in Meldungen oft suggeriert wird, in seiner Annäherung an die schiitischen und kurdischen Wahlsieger ist. Erst letzte Woche hatten sunnitische Scheichs bei einer Konferenz zu Gewalt gegen Schiiten und Kurden aufgerufen (vgl. Sunniten am Katzentisch).

Die Aufständischen scheinen von dem Aufruf unbeeindruckt. Mit dem gestrigen Anschlag auf das Abu Ghraib-Gefängnis, bei dem 44 US-Soldaten und 12 Inhaftierte verletzt wurden, zeigten sie wieder einmal, dass mit den "Insurgents" weiter zu rechnen ist – im Gegensatz zu den optimistischen Bewertungen, die in den letzten Wochen in US-Medien zu lesen waren. Noch immer werden etwa 60 Anschläge pro Tag ausgeführt.