IS überlässt türkischen Truppen Al-Bab

Bild: Civaka-Azad

Die Syrien-Politik der Türkei gegen die Interessen Russlands und der USA und das Stillehalten Deutschlands

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Der IS hat offenbar mit der Türkei ein Agreement zur Übernahme von Al-Bab getroffen. Die Türkei hält nach wie vor am Ziel fest, bei der Befreiung von Rakka mitspielen zu können und die Ausweitung der "Demokratischen Föderation Nordsyrien" zu verhindern.

Die USA halten dagegen an ihrer Zusammenarbeit mit den SDF fest - noch, denn es ist nach wie vor unklar, welche Strategie die neue US-Regierung im Kampf gegen den IS in Nordsyrien hat. Unklar ist auch, ob es Dissonanzen zwischen US-Militärs und der Trump-Regierung gibt. Die US-Militärs wollen an der Zusammenarbeit mit den SDF festhalten.

Das Verhältnis der USA zur Türkei ist ebenfalls unklar. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum die Bundesregierung im Umgang mit der Türkei nach wie vor "die Füße stillhält".

Verwirrung um Al-Bab

Die Nachrichtenlage zu den Geschehnissen in Al-Bab könnte verworrener nicht sein. Die Nachrichtenagentur Firatnews berichtete am 24.2., die türkische Armee und die ihr angegliederten islamistischen Gruppen hätten nach einer Übereinkunft mit dem IS die Stadt Al-Bab eingenommen.

Diese Gruppen hatten in den Monaten zuvor in Aleppo gekämpft und wurden auf Drängen Russlands von der türkischen Regierung dort abgezogen und nach Al-Bab beordert. Dort stießen sie auf massive Gegenwehr des IS, die türkische Armee hatte große Verluste zu verzeichnen.

Im Süden steht die syrische Armee in der drei Kilometer von Al-Bab entfernten Ortschaft Tadif. Ihr gelang es ebenfalls, zwei weitere Dörfer vom IS zu befreien. Noch vor wenigen Tagen hieß es, der IS werde die Stadt zwar verlassen, die Kontrolle aber dem syrischen Regime übergeben und nicht der Türkei, da die Türkei den IS hintergangen hätte.

Nun kam plötzlich alles anders. Der IS zog sich, wie auch vor Monaten in Jarablus, kampflos aus Al-Bab zurück und überließ den Ort türkischen Truppen. Nun stellt sich die Frage, was die Gegenleistung der Türkei für den Abzug des IS war?

2014 war die Gegenleistung für die Freilassung der 49 Geiseln aus dem türkischen Konsulat in Mosul die Freilassung von 50 inhaftierten IS-Angehörigen. Im Herbst 2016 sollen Waffen- und Munitionslieferungen die Gegenleistung für den Abzug des IS aus Jarablus gewesen sein.

Zusammenstöße zwischen syrischen und türkischen Militärs

In der Nacht von Sonntag auf Montag kam es zu Zusammenstößen zwischen der syrischen Armee und der mit der Türkei assoziierten FSA (Freien syrischen Armee) sowie anderen assoziierten islamistischen Milizen. Dabei soll es mehrere Tote auf syrischer Seite gegeben haben.

Schon Mitte Februar kam es zu Zusammenstößen zwischen der syrischen Armee und den türkischen Truppen mit ihren assoziierten FSA-Einheiten. Dabei gab es einen russischen Luftangriff auf türkische Stellungen, wobei drei türkische Soldaten getötet und elf weitere verwundet wurden. Russland wollte damit vermutlich die Kampfhandlungen unterbrechen.

Nach diesem Vorfall wurde vereinbart, dass sich die Türkei zurückziehen sollte, damit die syrische Armee die Rückeroberung von Al-Bab vom Süden her übernehmen kann. Damit die Türkei ihr Gesicht wahren konnte, sollte sie eine Erklärung abgeben, dass ihre Al-Bab-Mission erfolgreich beendet sei. Diese Erklärung wurde aber nicht abgegeben.

Stattdessen erklärte Erdogan, die türkischen Truppen seien bis ins Zentrum von Al-Bab vorgedrungen und der IS sei auf dem Rückzug. Man gedenke aber nicht, sich zurückzuziehen, sondern wolle Richtung Rakka weitermarschieren. Dies könnte der Moment gewesen sein, wo die Türkei das Agreement mit dem IS zum Abzug aus Al-Bab getroffen haben könnte.

Über die Gegenleistung kann man nur spekulieren: Vordergründig die Vertreibung des IS kommunizieren, aber gemeinsam mit dem IS die SDF der nordsyrischen Föderation und die syrische Armee bekämpfen? Denkbar ist auch ein Deal der Türkei über Waffenlieferungen an den IS über Saudi-Arabien, die Erdogan am 14.2.16 bei seinem Besuch des saudischen Königs in Riad verhandelt haben könnte. Dass die saudischen Wahabiten der IS-Ideologie nahe stehen und im Einklang mit der Türkei das syrische Regime bekämpfen, ist kein Geheimnis.

Kampf gegen die syrische Regierung nicht ad acta gelegt

Den Kampf gegen die syrische Führung hat die türkische Regierung nicht ad acta gelegt. Innenpolitisch, mit Blick auf das Referendum, muss Erdogan Erfolge aufweisen auf seinem Weg zum Neo-Osmanischen Reich. Denn das hat er seinem "Volk" versprochen: ein Reich, das Teile Griechenlands und des Balkans zurückholt, wie auch die Ausweitung im Osten von Aleppo bis nach Kirkuk im Irak.

Provokationen gegen die syrische Armee sind da Teil des Plans. Das weiß auch die syrische Regierung und mahnt vor weiteren Übergriffen der Türkei, die sich völkerrechtswidrig auf syrischem Territorium befindet. Der frühere syrische Verteidigungsminister, Ali Haydar, gab daher zur Übernahme von Al-Bab eine Erklärung ab:

Wir sind [geografisch] derzeit an einem Punkt, wo eine militärische Auseinandersetzung mit der türkischen Armee nicht mehr ausgeschlossen ist. Wir möchten keine Gefechte mit der türkischen Armee. Unser Wunsch ist es, dass sie sich nach einem politischen Dialog zurückziehen. Wir rufen Russland dazu auf, die Türkei zum Rückzug zu überreden.

Ali Haydar

Rückzug soll wohl auch heißen, die FSA und die anderen islamistischen Gruppen gleich mit in die Türkei zu nehmen. Über Nacht hat sich nun diese Befürchtung bewahrheitet. Der syrischen Armee gelang es, südwestlich von Al-Bab durch das IS-Gebiet eine Verbindung zu den SDF-Einheiten zu erobern. Damit ist im Süden der Türkei der Weg nach Rakka abgeschnitten.

Die syrische Armee versucht nun entlang der Wasser-Pipeline von Al-Khafsah vom Euphrat nach Aleppo gen Osten vorzudringen, um die Wasserversorgung Aleppos zu sichern. Aber auch die SDF dringt langsam weiter in IS-Gebiet Richtung Al-Bab vor, von daher kann es auch zu Zusammenstößen zwischen den Türken und der SDF kommen.

Die Grenzlinien von syrischer Armee und SDF des Kantons Afrin scheinen stabil zu sein. Nördlich von Manbij haben amerikanische Einheiten sich zwischen die Frontlinien von türkischen Truppen und der SDF positioniert, um dort Auseinandersetzungen zu verhindern.