"Ich bin Bauhaus", sagt die Lampe

Seite 2: Die demokratischen Verhältnisse, sie sind nicht so

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Sie haben jetzt die Kontradiktion herausgearbeitet: einmal das Bauhaus repräsentiert durch Gropius und zum anderen Meyer. Ihm haften die beiden Prädikate an: Funktionalismus und auch Utilitarismus. Sind das nicht von Meyer etwas diffus verendete Begriffe?

Philipp Oswalt: Wenn wir jetzt auf die Begrifflichkeit des Funktionalismus zu sprechen kommen, stoßen wir zunächst auf einen Widerspruch bei Gropius. Er hat immer behauptet, keinen Stil zu schaffen, da es ihm um die Wesensform der Dinge gehe, aus der heraus er die Gestaltung entwickelt. Unterm Strich jedoch muss man sagen: Was er getan hat, hat wenig mit Funktionalismus zu tun und sehr viel mit Stilbildung. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, denn der Anspruch geht aus dem 'Werkbund'hervor, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts den Historismus durch einen neuen Stil ablösen wollte. Die Architekten suchten nach einem überindividuellem Ausdruck.

Dieses Bemühen setzte sich mit den Bauhausbauten selbst fort und mit der von Mies van der Rohe kuratierten Weißenhofsiedlung. Das trug zur Etablierung des "International Style" bei, wie er dann von Henry-Russel Hitchcock und Philipp Johnson kanonisiert worden ist. Nach dem zweiten Weltkrieg führte das zum absurden Begriffskompositum "Funktionalismus-Stil". Heute wird der International Style gern mit Funktionalismus gleichgesetzt. Das ist völliger Unfug. Eine Gebrauchsorientierung muss sich nicht in einer bestimmten Formensprache äußern. Viele Bauten im sogenannten Bauhaus-Stil sind wenig funktional, sondern primär auf den optischen Effekt hin konzipiert.

Dagegen ist in den Schriften von Hannes Meyer die Sachlichkeit, die Orientierung am Gebrauch, kompromisslos formuliert und jede Art von ästhetischem Anspruch fast negiert. De facto aber hat er in seinen verschiedenen Lebensphasen, die auch durch Migration geprägt waren - Schweiz, Deutschland, Sowjetunion, Mexiko - sehr verschiedene Phasen der Architekturproduktion durchlaufen. Das war keine Eindimensionalität.

In seiner Bauhausphase in Dessau wandte er sich explizit von einer Technik-Fetischisierung ab und arbeitete stärker aus den lokalen Gegebenheiten, aus der Topographie, der Vegetation und der Nutzung heraus. Aus der Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe auch im Kleinen, im direkten Verhältnis des Körpers zum Raum kam er zu gestalterischen Lösungen, die man vorbildlich und für ihre Zeit sehr avanciert an der Gewerkschaftsschule in Bernau ablesen kann. Am Ende seines Schaffens knüpfte er an das vernakuläre Bauen mit modernen Mitteln an.

Hannes Meyer. Bild: 1928/29 Bauhaus-Archiv Berlin

Meyer hat in seine Entwurfstätigkeit die gesellschaftliche Organisation hineingenommen, den politischen Wandel und den Wandel der Lebensbedingungen und rekurrierte dabei auf den "Volksbedarf". Er stand politisch links, outete sich als Kommunist. Hat sich nicht das Bauhaus auch ohne Meyer auf die sozialen Verhältnisse bezogen, nur eben in der Orientierung an der - wenn auch zerfallenden - Demokratie?

Philipp Oswalt: Das Bauhaus wurde ab 1930 bis zu seiner Schließung 1933 von Mies van der Rohe geleitet. Mies hat sich immer deutlich dahingehend geäußert, dass für ihn gesellschaftliche Entwicklung und Architektur zwei paar Schuhe sind. Er hat zu Beginn der Nazi-Zeit wie auch Gropius durchaus sondiert, ob seine Position der Moderne nicht anschlussfähig sein kann an den Nationalsozialismus. Mies' Interesse war einzig und allein, seine Architekturvision zu realisieren, die er nicht eindeutig gesellschaftlich konnotierte.

Was Meyers politische Position ab 1931 angeht, ist diese für mich nicht nachvollziehbar und auch inakzeptabel. Ich glaube, dass er vom Rauswurf in Dessau wirklich traumatisiert war. Er ist im Waisenheim groß geworden, und der Rauswurf in Dessau war eine zweite Entwurzelung. Dann ist er in eine Sowjetunion gekommen, die sich ganz anders entwickelte, als man es damals in Deutschland wahrgenommen hatte. Man hatte noch den ganzen Aufbruchsgeist, den Konstruktivismus der Moderne vor Augen.

Die Sowjetunion war das Land der Hoffnung im Sinne einer sozialistischen Utopie, aber auch der kulturellen Produktion. Die russische Avantgarde war sehr radikal gewesen, mit phantastischen Künstlern. Meyer fasste nicht richtig Fuß und passte sich politisch an den Stalinismus an, lehnte aber den geforderten Nationalismus in der Gestaltbildung ab. Er wandte sich dem abstrakteren Thema des Städtebaus zu, kam aber an die Rolle von Ernst May nicht heran.

Das Leben und das Bauen sollen in der Architektur der Moderne auf ein einheitliches gestalterisches Prinzip zurückgeführt werden, auf Grundlage der Geometrisierung und Verflüssigung des Raumes Dieses Prinzip ist auf das kleinbürgerliche Wohnhaus, auf Wohnungen für die Massen wie auf großbürgerliche Villen und Fabriken anwendbar. Volksbedarf und Luxusbedarf. Welchen Sinn macht Meyers Forderung "Volksbedarf statt Luxusbedarf"? Geht er da nicht am 'Bauhaus' vorbei, dem beide Prinzipien inhärent waren?

Philipp Oswalt: Gropius hatte den Anspruch von Volksnähe und Massenwirksamkeit schon 1919 formuliert. In der utopistischen, expressionistisch-romantischen Phase spricht er davon, dass der Künstler nicht den Kontakt zum Volk verlieren soll, und 1920 heißt es bereits am Bauhaus: Man will keine Luxusgegenstände produzieren, sondern für die breite Bevölkerung. Das fand aber nicht statt. Das hat etwas zu tun mit den Produktionsverhältnissen, mit den Adressaten, mit den Partnern, mit denen man agiert, aber auch mit der Konzeption der Gestaltung selber.

Meyer suchte andere Bauherrenschaften und fand sie auch, etwa in der Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften. Heute würde man sagen: Meyer veränderte die Akteursstrukturen. Ihn interessierte: Mit wem produziert man für wen? Das ist eine ganz andere Gestaltungsprämisse, die nicht mehr an der Frage des Stils interessiert ist. Bemerkenswert ist, dass die Gebrauchsobjekte, die unter Meyer in großer Zahl entstehen, nicht mehr den auratischen Wert haben wie die frühen Bauhausobjekte von Wilhelm Wagenfeld und Marianne Brandt, die bis heute fetischisiert werden. Die "Kandem Leuchten", die zu Meyers Zeit zehntausendfach produziert worden sind, können Sie heute noch gebraucht zu erschwinglichen Preisen bekommen, und die Bauhaus-Tapete wird nach wie vor produziert.

Hat Meyer da auch mit Auftraggebern zusammengearbeitet?

Philipp Oswalt: Genau. Das Thema war Industrie-Kooperation. Das heißt, das Bauhaus entwickelt Gestaltungen, die dann von der Industrie hergestellt werden. Es werden keine Einzelstücke mehr in der Werkstatt produziert, sondern nur Modelle und Vorlagen für die Industrieproduktion. So wie auch zwei Jahrzehnte später an der Hochschule für Gestaltung in Ulm.

Hat Meyer nicht in jüngeren Jahren auch mal für Krupp gearbeitet?

Philipp Oswalt: Genau. In der Bauhaus-Zeit prägte er eine starke soziale Orientierung aus, aber er hatte keine Scheu, mit der Industrie, das heißt mit Kapitalisten zusammenzuarbeiten. Er arbeitete auch an der Markenentwicklung des Bauhauses weiter, anders als Gropius, aber sehr gezielt. Er versuchte, die Möglichkeiten des Kapitalismus für eine Selbstbehauptung der Institution zu nutzen.

Hat er nicht in Moskau rückwirkend bilanziert, es sei ihm nicht gelungen, ein "rotes Bauhaus" zu schaffen?

Philipp Oswalt: Das ist richtig. Rückwirkend hat er versucht, sein Direktorat am Bauhaus zu rekonzeptualisieren und in seiner Bauhaus-Ausstellung von 1931 in Moskau so darzustellen, als ob er ein kommunistisches Bauhaus angestrebt hätte, indem er z.B. spätere Arbeiten von ehemaligen kommunistischen Bauhaus-Studierenden ganz plakativ für seine Selbstrechtfertigung nutzte. Da war nicht sehr aufrichtig, und politisch half es ihm auch nicht.

So stand Meyer auf seine Weise unter Anpassungsdruck wie Gropius auf seine.

Philipp Oswalt: Völlig richtig.