"Ich bin Bauhaus", sagt die Lampe

Seite 3: Die Ikone Bauhaus ist brüchig

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Gibt es denn bei allen Widersprüchen nun den Bauhausstil?

Philipp Oswalt: Doch, den gibt es schon.

Das ist ja meine Frage: Haben nicht die Typisierung und Standardisierung, denen sich das Bauhaus verschrieben hat, eine gewisse Verwandtschaft der Bauhausprodukte zur Grundlage?

Philipp Oswalt: Sie haben jetzt noch einmal einen Dreh in Ihre Frage eingebaut. Die Typisierung und Standardisierung hat Gropius und zeitweise auch Meyer in der Sowjetunion gepredigt. Damals bestand die Vision, über die Normierung und Standardisierung von Bau-Elementen zu typisierten Bauformen zu gelangen. So weit ist es jedoch am Bauhaus nicht gekommen. Die haben eher künstlerisch herumexperimentiert. Sie haben sich nicht so weit diszipliniert, dass sie nach einem fertigen Prinzip alles durchgehend entworfen hätten. Was aber stattgefunden hat, war die stark von Kandinsky geprägte Methode, aus Grundelementen und Grundformen ein Repertoire zu etablieren, das sich durch alle Gestaltungsprodukte durchzieht.

Hannes Meyer verabschiedete sich von der von Gropius gepflegten "Marke Bauhaus" und baute in Ziegel. Die Möbel seiner Ägide sind aus Holz und Stoff und Leder und demontierbar, also so etwas wie eine Proto-IKEA-Produktion. Bei der Durchsetzung des Bauhausmythos durch Gropius wird dies alles zur Seite geschoben, um eine bestimmte Ikonographie mit dem Bauhaus zu präsentieren und damit einen Einheitsstil zu etablieren. Damit war Gropius auch erfolgreich, selbst wenn er einen Bauhausstil leugnete.

Ich habe meine Zweifel, ob in einer modernen offenen Gesellschaft, die demokratisch und kapitalistisch organisiert ist, überhaupt noch die Möglichkeit zu einem verbindlichen Einheitsstil besteht. Mit dem Beginn des Kapitalismus und der Ausformung moderner Gesellschaften geht ein Stilpluralismus einher. Das war im 19. Jahrhundert so und auch in den 1920er Jahren, selbst wenn wir dies heute oft aus den Augen verlieren. Insofern ist Stileinheit eine Utopie, die nicht den Gegebenheiten der Moderne entspricht.

Die Etablierung eines Stils durch Gropius war nichtsdestotrotz eine Leistung. Im Bauhaus wurden damit jedoch Wertvorstellungen verbunden. Heraus kam das Moderne-Bekenntnis: Gebrauchsorientierung, Schlichtheit, Einfachheit, Sachlichkeit. Der Formensprache werden diese Werte zugeschrieben, aber von den Objekten werden diese Werte gar nicht eingelöst.

Nun kann man sagen: In den vierzehn Jahren des Bauhauses gab es extreme Veränderungen. Die Produktion war sehr heterogen. Das würde ich nie bestreiten. Aber das "Post-Editing", die Kommunikation nach Ende des Bauhauses, ist über viele Jahrzehnte fokussiert worden auf dieses Stilverständnis. Tel Aviv zum Beispiel hat mit dem Bauhaus so gut wie nichts zu tun. Aber warum wird es als Bauhaus-Stadt vermarktet? Weil man diese Gebäude dem Bauhaus-Stil zuschreibt.

Ise und Walter Gropius beim Lagerfeuer am Elbestrand, um 1927. Bild: Stiftung Bauhaus Dessau (Scan) / Copyright: Erich u.Stephan Consemüller

Noch einmal: Das Bauhaus reklamierte die Herstellung eines "Universale" Dieses ist nach meinem Verständnis das übergreifend Gesellschaftliche, das in allen Bauhaus-Produkten dem Anspruch nach drin steckt. Dieses Universale - jetzt rede ich von Demokratie - ist nicht die Forderung nach Gleichheit aller, sondern es ist die Aufforderung zur Gleichbehandlung aller. Insofern ist das Bauhaus für mich durchaus ein formal-demokratisches Prinzip.

Philipp Oswalt: Es gibt so eine Kippfigur zwischen den universellen Rechten und den universellen Antworten. Im 19. Jahrhundert kommt die Idee eines universellen Rechts auf Wohnen auf. In den 1920er Jahren wird daraus die Suche nach der Wohnung für das Existenzminimum, und Gropius konstatiert: Die wesentlichen Grundbedürfnisse aller Menschen sind gleich. Daher können wir auch gleichartige Lösungen anbieten. Und das bildet die Grundlage für sein Programm der Typisierung und Vorfertigung von Wohnungsbau. Heute sehen wir das anders: Jeder hat ein Recht auf Wohnung, aber die Bedürfnisse nach Wohnung sind unterschiedlich. Insofern können wir mit universellen Lösungen nichts anfangen.

Gropius und Meyer gerieten in Konflikt miteinander. Wenn aber Gropius Architektur als Organisation der Lebensvorgänge bezeichnet, liegt dieser quasi-soziologische Ansatz nicht nahe bei Meyer?

Philipp Oswalt: Völlig richtig. Gropius hat ja auch Meyer als Nachfolger ausgewählt. Meyer war für ihn nicht die erste Wahl, er hatte erst Mart Stam gefragt, aber Stam ist in seiner Architekturposition nicht weit von Meyer entfernt. Die haben auch zusammengearbeitet. Gropius hatte sich also für eine dezidiert "linksfunktionalistische" Position entschieden. Die architekturtheoretischen Positionen von Gropius und Meyer gingen damals ineinander über, aber in der Architekturpraxis gab es immer eine große Differenz zwischen beiden. Gropius hat offenkundig nicht damit gerechnet, dass Meyer, der gar keine andere Wahl hatte, deutliche Veränderungen am Bauhaus vornahm. Gropius sah dadurch sein Erbe beschädigt.

Ganz praktisch und anschaulich zollt Gropius dem Meyerschen Meisterwerk, wenn dies die Gewerkschaftsschule in Bernau ist, Lob und Anerkennung. Sollte man im Bauhaus-Streit nicht die Architekten an ihren Werken messen? Die Architekten waren (und sind) menschlich-allzumenschlich zueinander, kämpfen um Pfründe und Ideologien, aber in ihren Werken kann man sie auch miteinander vereinbaren.

Philipp Oswalt: Es ist wesentlich, die Bauten anzuschauen. Ob das dann immer friedlich aufgeht oder man doch Schwachstellen und Probleme entdeckt im Unterschied zu dem, was als wohlfeiles Bild nach außen kommuniziert wird, ist eine andere Frage.

Philipp Oswalt hat zusammen mit Thomas Flierl den Band herausgegeben: Hannes Meyer und das Bauhaus im Streit der Deutungen, Leipzig 2019.