Ich bin nicht Michael Jackson

Ein Gespräch mit Hollywood-Schauspieler Ethan Hawke über seine Rolle in "Hamlet" und seine Karriere

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Seit rund zehn Jahren gehört Ethan Hawke zu den Besten und Erfolgreichsten unter den jüngeren US-Schauspielern. Der Durchbruch gelang dem 1970 geborenen mit Peter Weirs "Dead Poets Society". Seitdem zeigte seine Rollenauswahl einen deutlichen Hang zu unabhängigen, mutigen Produktionen. Nach einer längeren Pause kehrt Ethan Hawke jetzt in der Titelrolle in Michael Almereydas "Hamlet" ins Kino zurück.

Warum "Hamlet"? Was hat Sie an dieser berühmten, aber auch schwierigen Rolle gereizt? Immerhin treten Sie in die Fußstapfen von Laurence Olivier...

Hawke: Genau dies: Eine neue, große Herausforderung. Und ich habe gehofft, dass es Spaß machen würde. Ich kenne Regisseur Michael Almereyda aus New York. Das ist ein echter Avantgarde-Typ. Ich war eine Art Fan seiner bisherigen Filme "Nadja" und "Trance". Eines Tages bekam ich einen Brief von ihm, der war tatsächlich 20 Seiten lang. Darin hat er mir seine Vorstellungen dargelegt, "Hamlet" im heutigen New York anzusiedeln - das war sehr reizvoll für mich. Über ein Jahr lang haben wir uns unterhalten, gemeinsam am Script gearbeitet. Bei den meisten Hamlet-Produktionen, die ich vorher kannte war das einzige Problem die Frage, wer die Hauptrolle bekommt. Der Blick auf das Stück als Ganzes fehlte da völlig. Aber auch das ganze Stück musste neu betrachtet werden. Michael hatte da gute, frische Ideen. Mal davon abgesehen: Die Typen, die bisher Hamlet gespielt haben, waren immer viel zu alt für die Rolle.

Hamlet hat auch sozusagen "zeitgenössische" Probleme, mit denen sich ein junges Publikum heute identifizieren kann. Ist Hamlet nicht einfach ein Slacker, ein Angehöriger dieser Generation X, Y oder ich weiß nicht was, einer, der zu spät gekommen ist? Es gibt nichts mehr aufzubauen, er stört nur bei Hofe?

Hawke: Ja unbedingt. Genau das dachte ich mir auch: Wie Kurt Cobain, oder meinetwegen noch James Dean. "Live jung, die fast". Mit diesem säbelschwingenden General, den es früher auf der Bühne gab, hat das nichts zu tun. Der Grund warum Hamlet so infantil wirkt, so viele Entscheidungsprobleme hat, liegt darin, dass er einfach jung ist. Es sind archetypische Probleme junger Männer: Schwierigkeiten mit den Eltern, eine Identitätskrise, und ein Freundin, die es ihm auch nicht leicht macht. Wenn das ein 40-Jähriger spielt - Jesus, das kann nicht überzeugen.

Fiel es Ihnen nicht schwer, diesen modernen Stoff in der altertümlichen Bühnensprache zu spielen?

Hawke: Tatsächlich: es ist ziemlich merkwürdig, in einer Szenebar abzuhängen und Zeug zu reden, wie: "Denmark is a prison. I could be in a nutshell and call myself king of infinite space." Und drumherum rattert die U-Bahn. Manchmal hat das richtig gut gewirkt, manchmal gar nicht. Aber so bekommt man heraus, welche Teile des Stücks noch überzeugend und zeitgemäß sind, und welche nicht. Eine heikle Erfahrung...

Wo sehen Sie sich selbst als Schauspieler? Wie schätzen Sie Ihre bisherige Karriere ein?

Hawke: Ehrlich gesagt: es erschreckt mich, wie die Zufälle mich begünstigt haben. Es hat eine Weile gedauert, aber ich habe erst jetzt begriffen, wie viel Glück ich gehabt hatte. Das war nicht zu erwarten. Ich habe so viele Chancen gehabt, und sie nutzen können. Wenn Sie mir mit 18 gesagt hätten, dass ich je bei einer Independentfilmversion von Shakespeares "Hamlet" mitmachen würde, hätte ich es nicht geglaubt. Das war ein Traum, der wahr wurde. Wie der allergrößte Teil meines Lebens als Schauspieler. Ich bin erst erwachsen geworden, während ich diesen Beruf schon ausübte. Mit 18 habe ich meinen ersten Film gedreht, mit 25 war ich zum ersten Mal in Deutschland mit "Before Sunrise". Andere haben Ihren Durchbruch mit vielleicht 32, wenn sie sich selbst gefunden haben, bei mir war die eigene Selbstfindung damals noch voll im Gange. Das hat seine eigenen Schwierigkeiten. Es ist für einen 21jährigen nicht unbedingt eine gute Sache, wenn er Interviews gibt. Man hat nichts zu sagen. Aber man glaubt, man sollte etwas zu sagen haben. Da kommt dann merkwürdiges Zeug raus. Damit will ich nicht behaupten, ich hätte heute viel Interessanteres zu sagen. Aber ich weiß das wenigstens. Mit anderen Worten: Ich bin selbst gespannt, wie der "erwachsene" Teil meiner Karriere ablaufen wird.

Sie haben gerade zum ersten Mal Regie geführt. Was wollen Sie für Filme machen?

Hawke: Die besten Filme überhaupt! [lacht] Keine die Oscars gewinnen, dass ist eher eine Bestätigung, dass man einen Looser-Film gemacht hat. Wie ein Grammy, dann hat man Mist gemacht.

Würden Sie den Oscar ablehnen?

Hawke: Das wäre zu arrogant. Was ich meine ist nur: einige der größten Regisseure aller Zeiten haben nie einen Oscar gewonnen. Wie Martin Scorsese, Orson Welles... Hat Truffaut je einen Oscar gewonnen?

Ist der Ruhm unangenehm, oder genießen Sie ihn?

Hawke: Ich genieße es, mit interessanten Leuten arbeiten zu können, und beim Basketball-Spiel gute Plätze zu bekommen. [Lacht] Es hat für mich keine wirklich negativen Seiten. Manchmal muss ich an diesen Spruch von Dustin Hoffman denken: "Das einzige, was noch schlimmer ist, als berühmt zu sein, ist, nicht mehr berühmt zu sein." Aufmerksamkeit ist wie eine Droge. Man kann süchtig danach werden. Dabei ist es eigentlich bedeutungslos: "All men are created equal" steht in unserer Verfassung. Ich freue mich sehr darüber, dass mir meine Arbeit Spaß macht. Das ist wirklich ein Luxus.

Werden Sie gern erkannt?

Hawke: Ich habe keine Probleme damit. Manchmal beunruhigt mich nur der Gedanke an meine Tochter. Für sie muss es ziemlich merkwürdig sein, so einen Vater zu haben, und manchmal mache ich mir Sorgen, was das wohl für langfristige Folgen haben mag. Aber andererseits bin ich ja nun nicht Michael Jackson.

Wenn Sie an Ihre Rollenwahl denken: Gibt es etwas, dass Sie bedauern, oder etwas, was Sie im Nachhinein ablehnen?

Hawke: Klar gibt es ein paar Filme, die ich im Nachhinein lieber nicht gemacht hätte. Aber die will ich am liebsten vergessen. Das, was ich wirklich bedaure, ist, dass ich mich früher oft zuviel um den Film als Ganzes gekümmert habe, dass mir das wichtiger war als meine Rolle. Ich habe mir immer so viele Sorgen um "den Film" gemacht. Aber die Schauspieler, die ich am meisten bewundere, sind egozentrischer: Sie kümmern sich um ihre Rolle, sonst nichts. Ich habe einige langweilige Rollen gespielt, weil ich dachte, der Film würde gut. Das war falsch.

Hätten Sie nicht Lust, mal in einem richtigen Action-Film zu spielen?

Hawke: Ja, ich würde dafür 'ne ganze Menge Dollars bekommen, nicht? Nein, vielleicht bin ich nicht der Typ für so etwas. Ich mache nächstes Jahr einen Film mit Denzel Washington, der ist schon nahe dran. Ich will nicht sagen, dass ich das nie tun würde. Einige Action-Filme gehören zu meinen Lieblingsfilmen, zum Beispiel "Blade Runner" und "The Wild Bunch". In so etwas würde ich natürlich gerne mitspielen. Aber ganz allgemein ist das nicht mein Ding. Ich habe mich eigentlich nie für Entertainment interessiert. Und Filme wie "Before Sunrise", oder "Hamlet" sind ja nun nicht gerade Unterhaltungsfilme. Sie haben einen anderen Wert, hoffe ich zumindest. Und "Gattaca" war der erste Science-Fiction-Film ohne Knarre. Nein, ich bin nicht der Typ dafür. Als ich ein Kind war, hieß mein Lieblingregisseur Jean-Luc Godard. Wirklich, ich schwöre es! [Lacht]