Idlib: Nächster Krisenherd ...

Seite 2: Fragwürdige Allianz der Dschihadisten

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Auch wenn sich die international gelistete Terrormiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in die von der Türkei konstruierte Nationale Befreiungsfront integriert, ist sie trotzdem noch präsent. Und der IS will sich auch Plätze für seine Leute in Idlib sichern. Insgesamt kann man sagen, dass die verschiedenen islamistischen Gruppen versuchen, ihren Einfluss in Idlib zu vergrößern.

Am 27. Februar schlossen sich Huras al-Din (Organisation der Wächter der Religion, der "offizielle" al-Qaida-Ableger in Syrien) mit Jaish al-Malahim, Jaish al-Badiya, Jaish al-Sahil, Saraya al-Sahil und Jund al-Aqsa zusammen. Dieser Zusammenschluss aus mit al-Qaida verbündeten Milizen, IS-Dschihadisten und dem Westen "zugewandte" islamistische Milizen erinnert an die Dschaisch al-Fatah, die 2015 von der Türkei gegründet wurde, um Aleppo zu erobern, und die sich denn aber in internen Kämpfen zerlegte.

Nach dem Willen der Türkei soll die islamistische Nationale Befreiungsfront alle schweren Waffen an die türkische Armee übergeben. Es soll eine "lokale Zivilverwaltung" gegründet werden. Sofort stellt sich dann allerdings die Frage, wer die Zivilverwaltung bestimmt. Sicherlich wird das nicht wie in den Gebieten der demokratischen Föderation Nordsyriens ein von der lokalen Bevölkerung gewählter Rat sein. Wahrscheinlicher wäre ein von der türkischen Regierung eingesetzter Rat à la Afrin.

Moskau wiederum sieht spätestens dann die Zeit gekommen, in der sich die Türkei aus Syrien zurückziehen soll. "Wenn wir von den Gebieten zu sprechen kommen, die die türkische Armee kontrolliert, ist dies ein sehr großes Gebiet zwischen Azaz und Jerablus.

Wenn sich die Türkei in Idlib befindet, hat sie bestimmte Verantwortungen übernommen, um die Ordnung zu gewährleisten. "Wenn die Bedingungen für ein sicheres Leben der Zivilisten gegeben sind, werden wir auf dem Rückzug der türkischen Soldaten beharren," sagte unlängst Alexander Lawrentiew, Syrien-Beauftragter des russischen Präsidenten.

Damit hätten die neo-osmanischen großtürkischen Phantasien Erdogans ein Ende. Wie will er das innenpolitisch verkaufen? Daher stellt er für einen Rückzug klare Bedingungen: Die Kurden dürfen keinen Autonomiestatus bekommen und keiner der Beteiligten soll bezüglich der PYD und YPG einen Schritt tun, ohne die Türkei zu informieren. Ankara will bei der Zukunft Syriens mitsprechen und die Türkei soll an den Wiederaufbauarbeiten beteiligt werden und ihren wirtschaftlichen Anteil bekommen.

Türkei unter Erfolgszwang

Die Türkei steht nun unter Erfolgszwang, will sie eine Offensive der syrischen Armee noch verhindern. Gelingt ihr die Kontrolle über die dschihadistischen Gruppen wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS) nicht, - und vieles spricht dafür, dass sie daran scheitert, könnten erneut Hunderttausende Flüchtlinge in die Türkei flüchten.

Diesmal wären es Islamisten jedweder Couleur, z.T. mit ihren Familien, die sich über die Türkei auch in andere Länder absetzen könnten. Die UN haben die Türkei angehalten, die Grenzen für den Fall eines Angriffs aus "humanitären Gründen" offen zu halten.

An diesem Beispiel wird erneut die Doppelmoral auch der UN deutlich: Für Islamisten aus Idlib mit ihren Familien soll aus humanitären Gründen die Grenze zur Türkei offen gehalten werden. In Afrin nahm man aus geopolitischen Gründen die Vertreibung in das eh schon von Geflüchteten dicht bevölkerte Gebiet Sheba in Kauf.

In der kurdischen Region befürchtet man, dass sich ein Teil der Bevölkerung von Idlib auf den Weg in ihre Gebiete machen wird - eine Aufgabe, die angesichts der vielen Geflüchteten aus dem Irak und aus den vielen vom IS besetzten Gebieten ohne internationale Hilfe kaum zu bewältigen ist.

Sie haben vor allem in der Sheba-Region schon Zehntausende von Flüchtlingen aus Afrin zu versorgen, die ihnen Erdogan mit dem Einmarsch in Afrin beschert hat. Angesichts der Wirtschaftskrise versucht nun Erdogan, sich die syrischen Flüchtlinge zu Nutze zu machen, indem er die Ansiedlung sunnitischer Araber in kurdischen Gebieten forciert, um dort den kurdischen Einfluss zurückzudrängen.

In dieser Frage hofft Erdogan auf Russland. Am Rande eines BRICS-Gipfels in Südafrika versuchte Erdogan Putin zu überzeugen, dass ein Angriff der syrischen Armee die Vereinbarungen von Astana zum Scheitern bringen würden. Putin solle doch bitte Baschar al Assad überzeugen. Er selbst würde auch eine erneute Annäherung zu Assad versuchen, wenn dieser ihm die Kurden in Nordsyrien vom Leibe hielte.

Aber es sieht nicht so aus, dass Assad Interesse an Verhandlungen mit dem unberechenbaren Nachbarn im Norden hat. Er führt weiter Gespräche mit der politischen Vertretung der "demokratischen Föderation Nordsyrien", um eine innersyrische Lösung zu finden.

Auf einem der letzten Treffen mit Vertretern der "demokratischen Föderation Nordsyrien", waren sich beide Parteien einig, dass die Türkei eine Besatzungsmacht ist und sie kein Recht hat, irgendein Gebiet in Syrien zu kontrollieren. Auch Russland betrachtet Idlib als Brutstätte des Terrorismus.

"Die Situation in Idlib ist sehr schwierig, sie hat die größte Konzentration von Militanten und Terroristen", sagt Alexander Kinshchak, Russlands Botschafter in Damaskus. In Idlib haben sich sämtliche anti-russischen Nordkaukasus-Kämpfer versammelt, derer sich Russland ebenfalls gerne, ähnlich wie China, entledigen würde.

Darüber hinaus betrachten die Islamisten die Gespräche in Astana und Genf als Verrat. Allerdings zögert Russland auch, die Türkei wegen Idlib vor den Kopf zu stoßen. Zu wichtig sind die Investitionen in der Türkei im Kernenergie- und Erdgassektor.

Die Abkoppelung der Türkei vom Westen will Putin auch nicht gefährden. Von daher steht Putin vor der schwierigen Aufgabe, die Balance zwischen Assad und Erdogan zu halten.