Idlib: Nächster Krisenherd ...

Seite 3: Gefährliches Spiel der Türkei

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Die Türkei spielt bei dieser komplizierten Gemengelage auf Zeit. Erdogan hofft, seine Verhandlungsmacht zu stärken, bevor die Lage in Idlib eskaliert. Die aktuellen Entwicklungen in Syrien, sowohl in Tel Rifaat als auch in Manbij, gingen derzeit nicht in gewünschter Richtung voran, sagte Erdogan kürzlich.

Zufriedenstellend sei die Situation in Afrin, Jarablus und al-Bab. Das 4.000 Quadratkilometern große Gebiet sei vollständig unter türkischer Kontrolle. Es gäbe auch Gespräche und Vereinbarungen mit den Astana - Gesprächspartnern bezüglich Manbij und Tel Rifaat.

Er hoffe, Tel Rifaat und Manbij bald mit zu übernehmen. Erdogans Kalkül ist, dass er mehr Mitspracherechte hat und den Einfluss der Kurden besser eindämmen kann, wenn er sein Einflussgebiet vergrößert.

Darüber hinaus könnte er Tel Rifaat und Manbij auch als Zufluchtsort für die Dschihadisten und deren Angehörige anbieten. Dies würde bedeuten, dort nach altem Muster die jetzige Zivilbevölkerung zu vertreiben und die Geflüchteten aus Idlib dort anzusiedeln. Dann hätten die Gebiete der Föderation Nordsyrien noch mehr Flüchtlinge auf einem minimierten Gebiet und ein neues Idlib vor ihrer Tür.

Es ist unklar, ob dieser Plan für Russland eine Option wäre. Aber mit Manbij wären dann die USA wieder mit im Boot: Sie haben gegenwärtig wenig Ambitionen auf gemeinsame Operationen mit der Türkei haben. Denn bei Manbij haben sich die Amerikaner zwischen die Frontlinien der Türkei und den SDF geschoben - auf Seiten der SDF.

Um mit den Amerikanern zu kooperieren, müsste die Türkei neben dem Geplänkel um den inhaftierten amerikanischen Pastor einem wirtschaftlichen und politischen Embargo gegen den Iran zustimmen. Das würde aber zum Bruch mit Russland führen und wirtschaftliche Risiken bergen.

Syrisches Regime zeigt sich selbstbewusst

Von diesen Gedankenspielen zeigt sich Assad unbeeindruckt. "Egal, was Russland der Türkei versprochen hat, die Idlib-Operation wird durchgeführt", berichteten syrische Medien. Russland und Syrien hätten sich darauf geeinigt, sichere Korridore für die Zivilisten in Idlib zu errichten.

Der syrische Plan scheint also, die Zivilbevölkerung vor einem Angriff zu evakuieren und die Islamisten in Idlib zu isolieren. Was aber, wenn die Zivilbevölkerung an der Evakuierung gehindert und als Faustpfand von den Dschihadisten benutzt wird? Die derzeitigen Herrscher von Idlib gehören zu den unversöhnlichsten und fanatischsten Fraktionen des Krieges.

Eine Frage ist auch, was mit den 12 türkischen Militärstationen in Idlib im Falle eines Einmarschs der syrischen Armee geschieht? Wie wird die syrische Armee vorgehen, sollten die 1000 stationierten türkischen Soldaten auf Seiten der Terroristenmiliz HTS, die unter dem Deckmantel Nationale Befreiungsfront (FNL) weiter agiert, kämpfen?

Wird die Türkei sie von dort abziehen und Assad das Feld überlassen? Wäre es in diesem Fall eine Option für Assad, gemeinsam mit den Kurden, nach dem Muster der Befreiung von Rakka vorzugehen, um möglichst Opfer unter der Zivilbevölkerung in Idlib zu vermeiden?

Für die Kurden ist Afrin die Nummer 1 auf der Agenda

Der Sprecher der demokratischen Gesellschaft (TEV-DEM), Kemal Akif, erklärte auf der wöchentlichen Pressekonferenz, die Politik der Türkei in Idlib sorge für Chaos und verhindere eine Lösung. Die Haltung der Türkei zu Idlib sei immer noch unklar. Die Türkei treibe den syrischen Staat in die Zersplitterung. Akif warf der Türkei, Russland und auch Syrien vor, mit Hilfe der innersyrischen Migranten und Geflüchteten die demographische Struktur verändern zu wollen.

Hesen Mihemed Elî, Vorstandsmitglied des Syrischen Demokratischen Rates (MSD) in Nordsyrien, erklärte, die Krise in Syrien sei nur durch einen nationalen Dialog zu lösen. Mit Blick auf Idlib ließ er die syrische Regierung wissen, dass für den MSD feststehe, "dass Waffen nur eingesetzt werden dürfen, wenn Dschihadisten die Bevölkerung angreifen".

Elî, der für die demokratische Föderation Nordsyrien‘an den Gesprächen mit der syrischen Regierung teilnahm, berichtete über die Gesprächsinhalte: Sie hätten konkrete Vorschläge zu einer Autonomieverwaltung gemacht, die auch für andere vom IS befreite Gebiete in Nordsyrien machbar wären. Dies und die zivile Leitung der Gebiete durch die Bevölkerung, unter Berücksichtigung aller Ethnien und Konfessionen seien die Hauptthemen des Gesprächs am 26. Juli in Damaskus gewesen.

Das Gespräch wurde von Ilham Ahmed, der Präsidentin des Syrischen Demokratischen Rates (MSD), und Ibrahim Kaftan, dem Präsidenten der "Future Syria Party" angeführt. Die Vertreter der syrischen Regierung zeigten sich für weitere Diskussionen aufgeschlossen. Sie verwiesen auf schon bestehende gesetzliche Regelungen zu den Kommunalverwaltungen und sagten weitere Gespräche über autonome und regionale Verwaltungsmodelle zu.

Aldar Khalil, der Vorsitzende der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM), neben dem MSD das einflussreichste Gremium der nordsyrischen Föderation, hat angedeutet, dass ihre Sicherheitskräfte (SDF) der Idlib-Operation beitreten könnten. "Wenn wir gebeten werden, eine Rolle bei Idlib zu spielen, die zur Befreiung von Afrin beitragen würde, sind wir bereit."