Ihre Straße könnte die nächste sein!

Ein Bürgerbegehren in Berlin wurde zur wohl teuersten PR-Kampagne für zwei Parteien und eine Tageszeitung

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Rudi Dutschke erhitzt auch fast drei Jahrzehnte nach seinem Tod noch die Gemüter in Berlin. Doch geht es heute nicht mehr um die Überwindung des Systems oder den Kampf gegen den US-Imperialismus. Nach zweijähriger Diskussion sind die Christdemokraten am Sonntag mit dem Versuch gescheitert, die Benennung einer Straße im Zentrum der Hauptstadt nach dem sozialistischen Studentenführer zu verhindern. Dafür hat keine Demonstration stattgefunden, nicht ein Auto ging in Flammen auf. In einem von der CDU beantragten Bürgerbegehren sprachen sich am Sonntag gut 57 Prozent der Teilnehmer für das Vorhaben aus. Wenn Rudi das erlebt hätte!

Ausgelöst hatte den Streit die Grünen-nahe taz im Dezember 2004. Zu seinem 25. Todestag sollte eine Straße im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nach dem Marxisten benannt werden. Mit Unterstützung der Bündnisgrünen setzte die Linkspartei.PDS das Vorhaben wenig später in der Bezirksverordnetenversammlung auf die Agenda. Doch die Roten hatten nicht mit der CDU gerechnet. Die Erben Adenauers kündigten kurzerhand ein Bürgerbegehren gegen die Entscheidung an.

CDU-Argumente: "Bäckerei" und "Wartezeiten"

Tatsächlich gelang es den Christdemokraten, die notwendigen 5.000 Unterschriften - drei Prozent der Wahlberechtigten - zu sammeln, um die Abstimmung durchzusetzen. So konnten am Sonntag rund 182.000 Wahlberechtigte den Antrag, "die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zurück zu nehmen", ablehnen oder annehmen. Am Ende ließen sich 16,6 Prozent von ihnen zur Stimmabgabe motivieren. Das notwendige Quorum von 15 Prozent wurde damit knapp überschritten.

Der Antrag auf eine Umbenennung eines Teils der Berliner Kochstraße hatte ursprünglich durchaus seinen Reiz. Schließlich soll die Rudi-Dutschke-Straße künftig an dem Axel-Springer-Hochhaus vorbeiführen, vor dem der Namensgeber als Aktivist des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes einst demonstriert hat. Und wenn der Springer-Konzern eine Straße vor der eigenen Haustür nach seinem Gründer benennen konnte, warum sollte es der taz nicht gelingen, die nahe Kochstraße, in der sie ihre Redaktionsräume hat, Dutschke zu widmen?

Dass das Vorhaben zur Provinzposse verkam, lag maßgeblich an der CDU. Ihr Antrag gegen die Umbenennung, der mit der amtlichen Abstimmungsbenachrichtigung an alle Wahlberechtigten versandt wurde, hätte auch aus der Feder eines Satiremagazins stammen können. Ihre offensichtlich politisch motivierte Ablehnung begründeten die Christdemokraten - anders als auf der eigens eingerichteten Webseite - vor allem mit den Kosten für die örtliche Bäckerei ("Wenn man das einmal hochrechnet auf 700 Unternehmen!"), dem Neudruck von Visitenkarten und "stundenlangen Wartezeiten in den Ämtern" bei der Neuausstellung von Personalausweisen. Was zwei Jahre zuvor als nette Idee seinen Lauf genommen hatte, wurde für die Berliner CDU zur Schicksalsfrage der von den Roten geknechteten Berliner. In einem verzweifelten Appell richteten sie sich an die Stimmberechtigten:

Helfen Sie den Anwohnern der Kochstraße, denn ihre Straße könnte die nächste sein!

Aus der "Darlegung der Argumente der Initiatoren des Bürgerbegehrens"

Die Bezirksverordnetenversammlung reagierte auf den mit Ausrufezeichen gespickten Hilferuf der CDU mit einer Erklärung, die in ihrer bewussten Sachlichkeit fast hämisch wirkt. Rudi Dutschke sei zum Sinnbild der Protestbewegung geworden, die dem Springer-Konzern Machtmissbrauch vorgeworfen hat:

Die Bezirksverordnetenversammlung hält das Teilstück der Kochstraße mit der angrenzenden Axel-Springer-Straße für sehr gut geeignet, um Rudi Dutschke zu ehren. Mit der Umbenennung wird ein Mann gewürdigt, der die jüngere Vergangenheit Berlins so wie der Bundesrepublik Deutschlands maßgeblich geprägt hat.

Aus der "Darlegung der Argumente der Bezirksverordnetenversammlung"

Bündnisgrünen und Linkspartei.PDS muss klar gewesen sein, dass in Berlin von einer Partei keine ernste Konkurrenz ausgeht, die unter Eberhard Diepgen Ende der achtziger Jahre in eine bis heute anhaltende Krise geführt wurde, die seit dem Berliner Bankenskandal unter Korruptionsverdacht steht und die von einem Teppichhändler als Spitzenkandidaten der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.

Die Abstimmung als Werbekampagne

Dass das Vorhaben zur Provinzposse verkam, lag aber auch an den Initiatoren. Seit Wochen hatten Bündnisgrüne und Linkspartei.PDS das Thema vereinnahmt, um an Infoständen für die jeweilige Partei zu werben. In dem Bewusstsein, den Streit angezettelt zu haben, wurde der Bürgerbescheid von der taz wie eine Abo-Kampagne ausgeschlachtet. Der Sohn des Namensgebers, Rudi-Marek Dutschke, nutzte die öffentliche Debatte erneut, um sich zu inszenieren, nachdem er in den vergangenen zwei Jahren als Kandidat der Bündnisgrünen mehrfach gescheitert war: 2005 bei der parteiinternen Nominierung für den Bundestag und im vergangenen September als Kandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus.

In der Kostenschätzung des Bezirksamtes zur Straßenumbenennung wurden neben den von der CDU monierten Kosten für neue Visitenkarten "Montagekosten in Höhe von ca. 180 Euro der ca. 12 betroffenen Straßenschilder" genannt. Am Ende kostete der bewusst geschürte Konflikt um einen symbolischen Akt Berlin über 200.000 Euro. Der Bürgerentscheid um die Rudi-Dutschke-Straße dürfte damit als wohl teuerste Werbekampagne für zwei Parteien und eine Zeitung in die Geschichte eingehen.

Und vielleicht war er gänzlich sinnlos. Denn nach der Entscheidung von Sonntag ist noch die Klage einer Interessengemeinschaft der Anwohner der umzubenennenden Kochstraße anhängig. Federführend dabei ist ein anliegendes Unternehmen: die Axel-Springer AG.