Im Alltag angekommen: Routenplaner, Aldi und Arbeitsamt

Der Zeitgeist in der Suchmaschine

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Das Jahr ist zu Ende, die Medien blicken zurück, auch auf die "Top Searches 2004" bei den einzelnen Suchmaschinen. Das ist amüsant und nützlich, denn wir erfahren, was uns bewegte, welche Stars wir anhimmelten und womit wir in den vergangenen zwölf Monaten die bezahlte Arbeitszeit totgeschlagen haben. Nicht umsonst nennt Google seine Hitliste "Zeitgeist". Ein Blick auf die diesjährigen Renner bei Google, Yahoo und Lycos.

Die Hitlisten von Google und Yahoo zeigen wenig Unterschiede, die Top 3 sind jeweils Routenplaner, Telefonbuch und Wetter. Lycos präsentiert mit "eBay" als Nummer 1 und "fussball em" als Nummer 2 ein völlig anderes Programm, denn diese Begriffe scheinen weder bei Yahoo noch bei Google unter den ersten zehn auf. Warum das so ist? Keine Ahnung, aber für die Marktforscher bei Lycos ist diese Erscheinung sicher Top-Material. Der Begriff "gmail" auf Platz 8 verrät, dass es sich um eine kleine, aber feine Zielgruppe handelt.

Der Schwerpunkt bei Routenplaner, Telefonbuch und Wetter zeigt eindringlich, dass für die Deutschen das Internet in erster Linie ein Nachschlagewerk ist. Das ist nicht selbstverständlich, denn in den USA, dem Ursprungsland des Internet, fehlen derartige Suchbegriffe unter den ersten zehn. Die Kultur-Supermacht sieht das Netz der Netze offensichtlich als Verlängerung von MTV: Teenager-Götzen wie Britney Spears, Christina Aguilera, Orlando Bloom und Usher sind in der amerikanischen Version von Google, Yahoo! und Lycos auf massive Rotation. Britney und Christina sind auch bei den .de-Versionen der Suchmaschinen beliebt, aber die hiesigen Nutzer sind laut Such-Zeitgeist eben nicht vorrangig von Pop-Musik, Film und Sport besessen.

Bedenklich ist die Popularität des Begriffs "Arbeitsamt", der bei allen drei Suchmaschinen unter den ersten zehn ist. Die "arbeitsagentur.de", zu der man nach einem Klick "auf gut Glück" gerät, ist vermutlich eine echte Internet-Sensation, macht aber aus irgendeinem Grund keine Reklame damit ("Eine Million Besucher pro Tag! Und täglich werden es mehr!").

Sittenwächter könnte es vielleicht beim ersten Blick freuen, dass das Internet nach den Suchbegriffsstatistiken doch nicht so versaut ist, wie es uns die Folklore rund ums Surfen glauben machen will - zumindest wenn es nach den von den Suchmaschinenbetreibern aufgelisteten Begriffen geht, bei denen es auffällig auch bis zu Platz 100 anscheinend sauber zugeht. Das erklärt sich allerdings dadurch, dass eine Vielzahl von Suchbegriffen gar nicht in die damit gesäuberten - oder zensierten? - Statistiken aufgenommen wird (das betrifft bekanntlich auch die Suche selbst: wer beispielsweise bei Google nach Abu Ghraib torture sucht, findet etwa im Gegensatz zur selben Suche bei Yahoo! keines der bekannten Bilder). Zum Thema Sex u.ä. heißt es bei Lycos wenigstens ehrlich:

Prurient Content: We ignore pornographic, four-letter words and otherwise lewd queries, including names of decidedly adult film stars, unless such terms are driven by news events.

Wir können nicht wissen, was die Internetnutzer hinter "chat" vorhatten (Nummer 5 bei Google, Nummer 4 bei Yahoo! und Lycos), aber abgesehen von "Paris Hilton" (Nummer 4 bei Google.de) sind die Deutschen aus der aufbereiteten Sicht der Suchmaschinen erstaunlich platonisch. "Janet Jackson", im Jahr 2004 der beliebteste Garderobe-Unfall bei der amerikanischen Lycos (Nummer 1!), interessierte das deutschsprachige Publikum nicht die Bohne. Vermutlich liegt einfach die Reizschwelle im Land der Dichter und Denker höher als im prüden Amerika.

Auf den ersten Blick rätselhaft ist die Popularität von Aldi und Bild bei Google.de (Platz 7 und 9). Die jeweiligen Domainnamen lauten "aldi.de" und "bild.de" und sind daher leicht zu erraten und zu merken. Diese Erscheinung legt den Schluss nahe, dass sich die Deutschen nicht lange mit dem Eingeben von URLs aufhalten, sondern das Eingabefenster von Google (vermutlich die beliebteste Browser-Homepage der Welt) und einen Klick in die Trefferliste bevorzugen.

Browser und Suchmaschine gehören demnach zusammen wie Auto und Benzin. Wir sind gespannt wie Microsoft, inzwischen sehr eifersüchtig auf Googles Erfolg, 2005 mit dieser Angewohnheit der Surfer umgehen wird. "Bild" und "Aldi" unter den ersten zehn zerstreut jedenfalls die letzten Zweifel: Das Internet ist ein alltägliches Medium geworden und reflektiert den Alltag von uns allen.