Im Schatten der Gewalt

Wahlen im Irak: Erfolgsmeldungen trotz vieler Anschlagsopfer

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Seit 15 Uhr europäischer Zeit (17 Uhr Ortszeit) - sind die Wahllokale im Irak geschlossen; am frühen Nachmittag gab es bereits die erste Zahl zum Jubeln. Über 72% der Iraker sollen wählen gegangen sein, gab die Independent Electoral Commission of Iraq (IECI) schon am frühen Nachmittag bekannt. In einer Pressekonferenz nach Schließung der Wahllokale wurde die beeindruckende Zahl dann relativiert.

Wenn um 14 Uhr nachmittags schon 72% gewählt haben, wie viel mehr hätten denn dann bis zum Abend gewählt, wollte ein englischsprachiger Journalist wissen. Der Vertreter des IECI musste passen: Nein, so könne man das nicht sehen. Man habe sich über Telefon mit Leitern von Wahllokalen im ganzen Land unterhalten und diese hätten eine spontane Einschätzung abgegeben, die man dann grob hochgerechnet hätte; eine genaue rechnerische Basis hätte die Zahl nicht. Die ungefähre Schätzung, die man zum heutigen Abend abgeben wollte, belief sich auf ungefähr 60 Prozent. Schätzungsweise acht Millionen der vierzehn Millionen registrierten Wähler sollen ihre Stimme abgegeben haben. Man wisse aber, dass von 5 232 Wahllokalen im ganzen Land in 5 101 Lokalen gewählt wurde; genauere Angaben würden folgen, spätestens morgen früh.

Die Erwartungen, vor allem in großen Teilen der westlichen Öffentlichkeit, sind sehr hoch. Man würde gerne, ähnlich wie in Afghanistan, von einer überwältigenden Zahl von Menschen schreiben und lesen, die, den Gefahren trotzend, tapfer zur Wahlurne gehen, um ein deutliches Zeichen für ihren Willen zur Demokratie zu setzen. Wenn höchstwahrscheinlich auch nicht die gigantischen 80% Beteiligung erreicht wurde, von der die neue amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice laut CNN noch am Vormittag gesprochen hatte, so werden die historischen Wahlen am heutigen Tag in den großen internationalen Presseorganen doch als "Erfolg" anerkannt, an dem auch die traurige Tatsache, dass mindestens 44 Menschen Anschlägen zum Opfer gefallen und gestorben sind, nichts Wesentliches ändert.

Erwartungsgemäß war die Wahlbeteiligung im kurdischen Norden und im schiitischen Süden besonders hoch. Einem Reuters-Bericht zufolge, soll die Zahl der Wähler jedoch auch im sunnitischen Kernland höher ausgefallen sein als erwartet. Selbst in Falludscha, Bakuba und Mosul sollen überraschend mehr Bewohner gewählt und ihren "demokratischen Akt" gefeiert haben, als in den letzten Wochen angenommen wurde. Einem Radiobericht zufolge wurde beispielsweise in Samara, einer Widerstandshochburg nördlich von Bagdad, gar nicht gewählt. Auch Pannen gab es, so konnte in Baidschi nicht gewählt werden, weil der Leiter des Wahllokals, der den Schlüssel hatte, nicht auftauchte.

Inwieweit die Wahl Manipulationen ausgesetzt war, ist noch nicht klar. Auch wie viele Frauen gewählt haben, weiß man noch nicht. Inwieweit der heutige Wahltag eine Niederlage für Sarkawi und seine Terrortruppen darstellt, wird sich ebenfalls mit den ersten Ergebnissen, die in den nächsten Tagen erwartet werden, zeigen. Sollte sich nämlich bestätigen, dass die Wahlbeteiligung auch in den Gebieten des sunnitischen Widerstands beträchtlich höher ist als zunächst angenommen, dürfte dies eine klare Absage an den Al Qaida Anführer sein. Dem terroristischen Widerstand wird das jedoch bedauerlicherweise nichts anhaben können.