Im Tempel der Nation sind violette Schweine unerwünscht

Nationale Töne im Vorfeld der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie

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Stolz thront die Alte Nationalgalerie über der Museumsinsel in Berlin. Frisch dem Jungbrunnen entstiegen scheint sie, so prächtig herausgeputzt wurde sie in den letzten dreieinhalb Jahren. 133,5 Millionen Mark kostete die Generalsanierung. Nun wird sie pünktlich im 125. Jahr ihres Bestehens wieder eröffnet. Die Feuilletons jubilieren - keiner zeigt sich jedoch erstaunt über die nationalen Töne, die im Vorfeld zu hören waren.

Ausgerechnet der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz und Hausherr der Nationalgalerie Peter-Klaus Schuster hatte da Erstaunliches von sich gegeben:

Deutschland wieder vereint, die Regierung wieder in Berlin als neuer alter Hauptstadt, und das erste wiederhergestellte Gebäude auf der Museumsinsel ist die Nationalgalerie! Das Bedeutungsmächtige dieses Ereignisses ist offensichtlich. Wieder ist das Museum der Ort einer Neubesinnung der Deutschen, was sie als Nation sind.

raunte er im aktuellen Museumsjournal.

Man fühlt sich geradewegs ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, liest man diese Zeilen, die auch den neuen Bestandskatalog der Nationalgalerie einleiten. Das Kunstmuseum als der Ort, an dem die nationale Identität definiert wird - ist das nicht ein bildungsbürgerlicher Traum von vorgestern? Wer besinnt sich dieser Tage schon im Museum neu? Zumal in einem, das der Kunst des 19. Jahrhunderts gewidmet ist. Auch heute noch verkündet die goldene Inschrift am Gebälk der Nationalgalerie: "Der Deutschen Kunst". Doch der Zusatz "1871" benennt den historischen Ort dieser Widmung, die auf prekäre, teils verhängnisvolle Weise Kunst und Nation miteinander verband. Ein spezifisches Zeugnis deutscher Geschichte also, an deren Ende sich die Berufung des Museums auf die Nation erledigt haben sollte.

Zum Ruhme der Nation

Wenn man schon der nationalen Einheit entbehrte, so wünschte man sie sich wenigstens im Bereich der Kunst verwirklicht. Das war im 19. Jahrhundert der Ursprung des bürgerlichen Wunsches nach einer Nationalgalerie. Das entsprach dem kulturellen Nationalismus der Zeit: "Wo es keinen gemeinsamen Staat gibt," so der Historiker Thomas Nipperdey, "ist es gleichsam selbstverständlich, dass Sprache, Kultur und Geschichte eine Nation konstituieren". 1861 vermachte der Honorarkonsul Johann Heinrich Wilhelm Wagener seine aus 252 Bildern bestehende Sammlung dem preußischen König in der Hoffnung, dass sie vermehrt werde, "um so zu einer nationalen Galerie heranzuwachsen, welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwicklung darstellt". Doch erst als Bismarck in den Reichseinigungskriegen daran ging, das Reich mit "Blut und Eisen" zu schmieden, wurde der Bau einer Nationalgalerie in der Form eines griechischen Tempels in Auftrag gegeben. Er passte nun ins Konzept.

Als im Jahr 1876 dann endlich die Nationalgalerie eröffnet wurde, fand sich die Sammlung Wagener in Nebensäle und enge Kabinette abgeschoben. Die zentralen Säle gehörten den Werken Peter Cornelius, der als Erneuerer der Monumentalmalerei gefeiert wurde und dessen Bilder das preußische Gottesgnadentum verherrlichten. Ähnlich monumental waren die Schlachtengemälde, die mit lautem Pathos von der Schlacht bei Königgrätz erzählten oder wie es in der Schlacht von Wörth gegen die französische Reiterei ging.

Der preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm I. hatte das bürgerliche Kunstmuseum zu einem nationalen Ruhmestempel umfunktioniert und es in den Dienst der patriotischen Erziehung gestellt. Indem der prächtige Bau auf hohem Sockel - das teuerste Gebäude seiner Zeit - in Bild und Skulptur das historische Erbe der Kulturnation darzustellen trachtete, preußische Siege und Gottesgnadentum inklusive, stand er in Diensten der nationalen Erziehung der Besucher. Während diese die Säle durchschritten, eigneten sie sich das historisch-kulturelle Erbe an und fanden so ihre Identität als preußisch-deutsche Untertanen.

Nationalgalerie um 1879/80

Die Emanzipation der Kunst

Dennoch war die Nationalgalerie ein Kunstmuseum und die Direktoren waren als Kunsthistoriker vornehmlich bemüht, es von allen nationalen Repräsentationspflichten frei zu halten. Dieser Grundkonflikt - ist die Nationalgalerie ein Tempel der Kunst oder ein Tempel der Nation? - bestimmte die Geschichte der Institution über die längste Zeit. Nicht zuletzt ging es dabei um die Frage, ob die Nationalgalerie auch nichtdeutsche Kunst zeigen dürfte. Zwar lautete besagte Widmung "Der Deutschen Kunst", doch schon die Sammlung Wagener hatte eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Werken ausländischer Künstler besessen. Zum Eklat kam es unter dem Direktorat Hugo von Tschudis. Dieser hatte um 1900 mit Hilfe privater Mäzene die staatliche Ankaufskommission umgangen und Werke des französischen Impressionismus erworben; darunter die ersten von einem deutschen Museum angekauften Bilder Paul Cezannes und Edouard Manets. Wilhelm II. war die Sache zwar suspekt, doch intervenierte er nicht gleich und scherzte: "Nur keine violetten Schweine!" Erst als Tschudi die Bestände der Nationalgalerie neu ordnete, die Kunst des "Erbfeinds" in den Mittelpunkt stellte und die Schlachtenbilder an wenig prominente Stelle abschob, war es dem Kaiser zuviel: Die Kunst habe der Nation zu dienen und der bestehenden Ordnung mit dem Monarchen an der Spitze. Tschudis Hängung wurde revidiert und alle Ankäufe mussten fortan dem Kaiser zur Erlaubnis vorgelegt werden.

Mit dem Untergang des Kaiserreichs emanzipierte sich auch die Kunst. Es war Tschudis Nachfolger Ludwig Justi, der in der Weimarer Republik die legendäre "Neue Abteilung" der Nationalgalerie begründete. Dieses im Kronprinzenpalais untergebrachte "Museum der Lebenden" war das erste Museum rein zeitgenössischer Kunst und versammelte neben Künstlern der "Brücke" und des "Blauen Reiters" van Gogh und Gauguin, später auch Picasso, Braque und Matisse.

National entartet

Den Nationalsozialisten war dies nur eine "Brutstätte des Kulturbolschewismus". "Alle Höhenkultur, Raffinesse, Ästhetisiererei und snobistisches Getue ist für uns als nationale Gemeinschaft ohne Sinn", befand Propagandaminister Joseph Goebbels. "Die Kunst gehört allen, sonst ist sie keine Kunst." Von solch einer Auffassung, die die Kunst ganz der "Volksgemeinschaft" unterordnete, war es nur ein kleiner Schritt bis zur Schließung des Kronprinzenpalais und der infamen Aktion "Entartete Kunst". Wieder hatte die Nation über die Kunst gesiegt. Waren aber im Kaiserreich Bilder höchstens abgehängt worden, wurden sie jetzt diffamiert, verkauft oder gleich im Heizungskeller des Kronprinzenpalais verbrannt. Danach war es mit dem Nationalen in der Nationalgalerie erst einmal aus. In West-Berlin setzte man der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum einen neuen, von Mies van der Rohe erbauten Tempel und suchte Anschluss an die internationale Moderne. Im Osten hingegen baute man die kriegszerstörte Nationalgalerie wieder auf und war bemüht, sich nicht allzu sehr von der sozialistischen Staatsführung vereinnahmen zu lassen.

Griff in die Mottenkiste

Und heute? Die Frage, ob ostdeutsche Künstler wie Werner Tübke oder Bernhard Heisig in der nun gesamtdeutschen Neuen Nationalgalerie vertreten sein dürfen, beschäftigte in den Neunzigern die Feuilletons - die Nation aber blieb ungerührt. Und über die in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel vertretene Kunst des 19. Jahrhunderts erregt sich ohnehin kein Gemüt mehr. Undenkbar auch, dass Bundeskanzler Schröder, nachdem er am Sonntag bei der feierlichen Eröffnung durch die Säle geführt worden wäre - aus terminlichen Gründen musste er absagen -, Worte gesprochen hätte wie einst Wilhelm II.: "Diese Veränderungen finden meinen Beifall nicht und ich wünsche, dass die Werke wieder an ihre alte Stelle gebracht werden."

Woher also kommen die nationalen Töne? Zeigte der kursorische Rückblick auf die Geschichte der Nationalgalerie nicht, dass sie sich glücklich schätzen darf, dass die Kunst die Nation überlebt zu haben scheint; dass über die Belange eines Kunstmuseums nur noch die wissenschaftlich legitimierte Kunstgeschichte zu entscheiden hat? Peter-Klaus Schuster, das muss man sagen, ist allen nationalistischen Ambitionen unverdächtig (auch wenn er die Pressekonferenz unter dem deutschen, einst in Hitlers Privatbesitz befindlichen Sehnsuchtsbild, der "Toteninsel" von Arnold Böcklin, abhielt). In seiner nun der Öffentlichkeit präsentierten Neuhängung der Werke ist der bedeutendste Ort Edouard Manets "Im Wintergarten" eingeräumt. Wenn er dennoch die nationale Rhetorik aus der Mottenkiste hervor holt, hat er anderes im Sinn: Die Nationalgalerie, ja die ganze von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Museumsinsel, soll zum nationalen Projekt stilisiert werden, um ihre grundlegende Finanzierung zu sichern. Denn seitdem Berlin faktisch pleite ist, kann nur noch der Bund die milliardenschweren Sanierungsarbeiten finanzieren - und das weckt alte föderale Ängste und Vorbehalte. So wie damals die Erbauer der Nationalgalerie den preußischen und den bayerischen König einträchtig vereint im Bilderfries der Nationalgalerie zeigten, zielt Schusters nationale Rhetorik darauf, die Bundesländer davon zu überzeugen, sich der "nationalen" Verantwortung den Museen in der Hauptstadt gegenüber bewusst zu werden.

Aus dieser Perspektive verwundert es auch nicht, wenn in dem gerade erschienenen, an Pierre Noras "Les lieux de mémoires" orientierten Monumentalwerk Deutsche Erinnerungsorte ein Kapitel der Museumsinsel gewidmet ist - geschrieben hat es ein Schuster-Intimus, der Berliner Kunstgeschichtsprofessor Thomas W. Gaehtgens. Das aber ist Wunschdenken: Die Museumsinsel - und das gilt auch und besonders für die Nationalgalerie - hatte nie einen Platz im gesamtdeutschen Kollektivgedächtnis. Sie war immer preußisch, immer Berlin und vor allem immer ein Tempel der Hochkultur. Nie kam ihr der Rang ihres großen Vorbilds zu, der National Gallery in London, die mit Fug und Recht von sich sagen kann, sie sei the collection of the nation.

Keine Pilger mehr

Dennoch überrascht der Griff in die Mottenkiste. Sind Kunstmuseen schon so marginalisiert, dass sich ihre Bedeutung nur noch im Rückgriff auf alte Sinnstiftungsmuster legitimieren lässt? Ihren Rang als die zentralen Bildspeicher der Gesellschaft haben sie längst verloren - und das Internet macht wenig Anstalten, in ihnen wenigstens eine Art Fort Knox zu sehen, in dem die real existierenden Bilder ihre virtuellen, im Netz kursierenden Doppelgänger legitimieren. Auch müht sich die Kunstgeschichte bisher vergebens um ihre Erweiterung zur alle Medien umfassenden Bildwissenschaft - zu selten noch wird der hohe Anspruch eingelöst.

Es ist gar nicht so lange her, dass der französische Soziologe Pierre Bourdieu von den Museen als "bürgerlichen Tempeln" sprach, "in denen die bürgerliche Gesellschaft deponiert, was sie an Heiligstem besitzt". Diese "heiligen Stätten der Kunst" suchten nur einige "Erwählte" auf, "um den Glauben an ihre Virtuosität zu nähren", während "Konformisten und Philister" nur hierher pilgerten, "um einen Klassenritual Genüge zu tun". Damit ist es vorbei. Nicht, dass es keine Besucher mehr gäbe. Im Gegenteil: Die Menschen strömen in immer größeren Mengen in die Museen. Doch diese, zumeist die traditionellen Kunstmuseen, haben ihnen kaum noch etwas zu sagen. Man absolviert das meist vom Reiseführer vorgegebene Programm der alten Meister - das war's. Damit aber rücken die Museen in ein Glied mit anderen touristischen Orten der Unterhaltung.

Dieser gesellschaftliche Relevanzverlust macht den Museen in Zeiten knapper öffentlicher Kassen zu schaffen. Es versteht sich eben nicht mehr von selbst, dass Museen a priori förderungswürdig sind. In dieser Situation scheinen einige Museumsleute ihre Rettung in alter, eben nationaler Bedeutungshuberei zu sehen. Das Beschwören des Museums als Ort, an dem das Wesen einer Nation konstituiert wird, wirkt in Zeiten der Globalisierung jedoch nur antiquiert. Ein Beweis der Zukunftsfähigkeit der Nationalgalerie ist das nicht.

Vom 4. Dezember an ist die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel wieder der Allgemeinheit zugänglich. Im Dezember ist der Eintritt frei.