"Impfsurv": Charité will Studie zu Nebenwirkung nach Corona-Impfung binnen 14 Tagen prüfen

Fehlermeldung statt Impfschadenmeldung: Die Charité hat die Notbremse gezogen. Bild: charite.de

Berliner Uniklinik hatte Bewerbung für Umfrage eingestellt. Studiendesign soll überprüft werden. Fall wird von Kritikern der Corona-Politik im Netz politisiert

Das Berliner Universitätsklinikum Charité will eine in die Kritik geratene Studie zu Corona-Impfnebenwirkungen binnen zwei Wochen erneut untersuchen und dann über den weiteren Umgang mit dem Fall entscheiden.

"Aktuell gehen wir davon aus, dass diese Prüfung innerhalb der nächsten 14 Tage abgeschlossen ist", sagte Charité-Sprecher Markus Heggen gegenüber Telepolis. Bis dahin werde eine Charité-Internetseite, auf der die Studie "Impfsurv" des Berliner Gastroenterologen Harald Matthes beworben worden war, offline bleiben.

Bei der Impfsurv-Studie handelt es sich um eine Befragung, die seit Juli 2021 läuft. Teilnehmer sollen über Reaktionen auf Coronaimpfungen und mögliche Nebenwirkungen Auskunft geben. Einer der Kritikpunkte ist, dass es sich um eine einfache Umfrage handelt und den Ergebnissen derjenigen, die auf freiwilliger Basis über die subjektiv empfundene Impfverträglichkeit Auskunft geben, keine Placebogruppe gegenübergestellt wird.

Gegenüber dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel hatte der Leiter der Infektiologie an der Charité, Leif Erik Sander, zudem bemängelt, dass in der "Impfsurv"-Befragung nicht – wie üblich – zwischen "unerwünschten Ereignissen" und "unerwünschten Arzneimittelwirkungen" unterschieden wird.

Sander beanstandete, dass ein nicht belegter Kausalzusammenhang hergestellt werde, wenn Matthes als Initiator und Leiter der Studie von "schweren Nebenwirkungen" spreche.

Kritisiert wurde auch, dass die Teilnahme an der Umfrage technisch manipuliert und die Ergebnisse auf diese Weise verzerrt werden können. Auch dieser Aspekt des Studiendesigns wird von der Charité nun offenbar noch einmal überprüft.

Zu der Entscheidung der Berliner Uniklinik, die Seite offline zu nehmen, trugen offenbar die medialen Auftritte des Studienleiters bei. Matthes, der auch ärztlicher Leiter des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe im Westen der Bundeshauptstadt ist, hatte bei der Präsentation von Zwischenergebnisse gegenüber dem MDR weitreichende Rückschlüsse gezogen.

Entscheidung von Charité zu Impfsurv wird im Netz politisiert

Zum einen sagte Matthes in einem Interview, es seien neurologische Störungen, Nervenlähmungen, Muskel- und Kopfschmerzen und Herz-Kreislauf-Probleme festgestellt worden. Dabei stütze er sich auf Selbsteinschätzungen und Beobachtungen der freiwilligen Studienteilnehmer.

Zum anderen beklagte er eine massive Untererfassung gesundheitlicher Probleme durch Corona-Vakzine und forderte mehr Anlaufstellen für Betroffene. Die Zahl schwerer Komplikationen nach Impfungen gegen Sars-CoV-2 sei "40-mal höher, als durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bislang erfasst wurde", berichtete auf dieser Basis der Mitteldeutsche Rundfunk, dessen Gesundheitsmagazin Hauptsache gesund Anfang Mai zuerst über die langfristige Beobachtungsstudie berichtet hatte. Damit war die mediale und politische Aufmerksamkeit erst auf die Befragung gelenkt worden.

Denn erst nach den Auftritten von Matthes, der auch eine befristete Stiftungsprofessur am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité innehat, erreichte der Fall auch die politische Ebene. Nach Recherchen des Tagesspiegels hatte Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Bündnis 90/ Die Grünen) im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses auf eine Frage von Tobias Schulze (Die Linke) mitgeteilt, dass die Charité die Studie offline genommen habe.

Die erfolgte Löschung der Charité stelle sich bei näherer Betrachtung "als halbherzig heraus", schrieb auf Telepolis der Wissenschaftsautor Stephan Schleim: "Über den älteren Aufruf bei der Charité kann man sich nämlich immer noch zur Teilnahme anmelden."

Dennoch hat der Fall umgehend entschiedene Kritiker der Pandemiepolitik auf den Plan gerufen. Vor allem auf Twitter wurde die Entscheidung der Charité umgehend politisch interpretiert und der Ablauf verfälscht dargestellt.

"Orwellsche Zustände" etwa sieht der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, der auch auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Politik aufgetreten ist: "Eine Politikerin entscheidet also, was wissenschaftlich korrekt ist und nimmt Unerwünschtes vom Netz", schrieb er unter Bezug auf Gotes Rolle.

Wissenschaftssenat Berlin zu Impfsurv: "Keine Einflussnahme"

Dass Senatorin Gote die Entscheidung getroffen hat, ist durch die Berichterstattung aber nicht gedeckt. Der Tagesspiegel hatte lediglich geschrieben, dass die Grünen-Politikerin im Wissenschaftsausschuss über die Entscheidung der Charité berichtet hatte. Gote habe weiterhin darüber informiert, dass man an der Uniklinik eine "externe Best-Practice-Prüfung" erwäge.

"Es gab keine Einflussnahme seitens der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung", bestätigte auf Telepolis-Anfrage knapp auch eine Sprecherin Gotes. Wenn man die Debatte auf Twitter und anderen Social-Media-Plattformen verfolgt, verfestigt sich dennoch der Eindruck, dass der Fall weiter politisiert werden wird. Einlassungen wie jene von Homburg zeigen, dass es dabei nicht immer serös zugeht.

Die Charité versucht nun Verschwörungstheorien entgegenzuwirken. Allerdings nicht proaktiv, sonders erst auf Nachfrage erklärte Kliniksprecher Heggen dazu:

Wir haben Herrn Matthes aufgefordert, uns alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, so dass eine umfassende Qualitätsüberprüfung durchgeführt werden kann. Dabei schauen wir uns unter anderem die festgelegten Ziele, den methodischen Aufbau, die Glaubwürdigkeit der Daten, die statistische Analyse und die medizinische Aussagekraft an.

Matthes könne als Stiftungsprofessor im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit an der Charité wissenschaftlich arbeiten, also Forschen und Lehren, so Heggen weiter. Er müsse dabei aber die Regelungen für Gute klinische Praxis, Gute wissenschaftliche Praxis sowie die Auflagen der Ethikkommission für seine Untersuchungen einhalten: "Wir prüfen aktuell, ob diese Vorgaben eingehalten wurden."

Allerdings griff der Charité-Sprecher der Prüfung auf Telepolis-Nachfrage schon jetzt partiell vor:

Bei dieser Untersuchung handelt es sich um eine noch nicht einmal abgeschlossene offene Internetumfrage, im engeren Sinne also nicht um eine wissenschaftliche Studie. Diese Datenbasis ist nicht geeignet, um konkrete Schlussfolgerungen über Häufigkeiten in der Gesamtbevölkerung zu ziehen und verallgemeinernd zu interpretieren.

Charité-Sprecher Markus Heggen

MDR steht zu eigener Berichterstattung über Impfsurv-Studie

Die Debatte über die Impfsurv-Studie beschränkt sich indes nicht nur auf die Berliner Politik und die Charité. Auch der MDR, der der Studie Anfang Mai erst landesweite Aufmerksamkeit beschert hatte, ist indirekt betroffen. Dort war der ursprüngliche Beitrag über Matthes Studie und Interpretation, auf den sich in einer ersten Meldung auch Telepolis bezogen hatte, zeitweise offline genommen worden.

Dazu hatte ein Sprecher des Senders gegenüber Telepolis zunächst erklärt, der Beitrag sei "zur Prüfung eines Sachverhalts kurzzeitig offline" gewesen, "inzwischen ist er wieder unverändert online. Unsere Komplettsendungen waren und sind durchgängig verfügbar in der ARD-Mediathek."

Journalistisch sieht man in der Leipziger MDR-Zentrale kein Problem, auch nicht nach der Entscheidung der Charité: "Unsere Beiträge zum Thema Impfnebenwirkungen sind Ergebnis langer und intensiver Recherchen", fügte der Sprecher des Senders auf Nachfrage am Mittwoch dieser Woche an:

Selbstverständlich verfolgen wir die Diskussion um die ImpfSurv-Studie der Charité. Die Kritik daran prüfen wir gegenwärtig gründlich. Wir sind dazu mit Expertinnen und Experten und Beteiligten im Gespräch. Die Ergebnisse der internen Überprüfung der Studie durch die Charité fließen in unsere Bewertung und Berichterstattung ein.__MDR-Sprecher

Trotz rückläufiger Corona-Zahlen ist die Aufmerksamkeit für das Impfthema groß. Am heutigen Mittwoch erst hat das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht zurückgewiesen.

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