In Brasilien herrschen jetzt Alte, Reiche, Weiße und Rechte

Brasiliens De-facto-Präsident Michel Temer. Bild: Agência Brasil/CC-BY-SA-3.0

Nach dem institutionellen Putsch in Brasilien zögern die neuen Machthaber nicht, das politische Ruder brutal herumzureißen

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Brasiliens De-facto-Präsident Michel Temer hat nach dem vorläufigen Sturz der gewählten Präsidentin Dilma Rousseff eine "Regierung der nationalen Rettung" ausgerufen. Sein Kabinett lässt eine massive politische Zäsur erkennen. Brasilien wird in den kommenden 180 Tagen - solange ist Rousseff mindestens suspendiert - von alten, reichen, weißen und rechten Männern regiert. Die Massivität des politischen Bruchs erinnert an Argentinien unter Präsident Mauricio Macri. Und sie lässt erahnen, dass sich die neuen Machthaber nicht mit ihrer zeitlich begrenzten Macht zufriedengeben werden.

Eine der ersten Amtshandlungen von Temer bestand darin, das Regierungskabinett von 32 auf 22 Posten zu stutzen. Mehrere Ministerien wurden abgeschafft, andere fusioniert.

So löste der Neoliberale Temer das bisherige Kultusministerium auf und gliederte es als Unterressort in das Bildungsministerium ein. "Wegen der massiven Gegenwehr von Intellektuellen und Künstlern gegen den institutionellen Putsch ist das keine Überraschung", schrieb die argentinische Tageszeitung Pagina12, deren Autor Eric Nepomuceno die Veränderungen auflistet. Die Staatssekretariate für Menschenrechte, ethnische Gleichheit und Frauen wurden aufgelöst. Diese Themen sollen fortan vom Ministerium für Justiz behandelt werden (das bis dato Ministerium für Justiz und Bürgerfragen hieß).

Página12 weist darauf hin, dass der neue Justizminister, Alexandre de Moraes, bislang Anwalt des gerade wegen mutmaßlicher Korruption vom Obersten Gerichtshof abgesetzten Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Eduardo Cunha, war. Cunha ist einer der Hintermänner des institutionellen Putsches gegen Rousseff. De Moraes war bis Mitte dieser Woche zudem Beauftragter für öffentliche Sicherheit in San Pablo. "Dort war er dafür bekannt, jede Demonstration von Studierenden von der Polizei mit Kriegswaffen auflösen zu lassen", so Nepomuceno.

Eine ähnliche Haltung nimmt demnach der neue Minister für Nationale Sicherheit, General Sergio Westphalen Etchegoyen, ein. Als die brasilianische Wahrheitskommission ihren Abschlussbericht vorstellte und zahlreiche Staatsverbrechen während der Militärdiktatur (1964-1985) anprangerte, bezeichnete Etchegoyen das Dokument als "verantwortungslos". Ein möglicher Grund: Sein Vater, Leo Etchegoyen, ebenfalls ein General, taucht in dem Bericht auf Basis mehrerer Zeugenaussagen als Vergewaltiger und Folterer auf.

Die Verlierer demokratischer Wahlen teilen nun die Macht unter sich auf

Der neue brasilianische Arbeitsminister Ronaldo Nogueira de Oliveira, ist Prediger einer evangelikalen Sekte. Als Abgeordneter hatte er ein Gesetzentwurf eingebracht, nach dem Hausangestellten während des gesetzlich garantierten Urlaubs die Tage in Rechnung gestellt werden sollten, die sie normalerweise hätten arbeiten müssen.

Bei der Verteilung der Kabinettssitze unter den neuen Regierungsparteien entfallen auf die Gruppierung von Temer, die rechtsgerichtete PMDB, sechs Minister, diese Zahl hatten sie auch unter Präsidentin Rousseff inne. Die nur ihrem Namen nach sozialdemokratische PSDB, die aus den letzten vier Präsidentschaftswahlkämpfen als Verliererin hervorgegangen war, kann auf einmal drei Minister entsenden. Die rechte DEM wird das Bildungsressort übernehmen. Sie entsendet einen Hinterbänkler namens Mendonça Filho, der im Laufe seiner Karriere allerdings nie mit kultur- oder bildungspolitischen Inhalten in Erscheinung getreten ist. Seine Partei hat im Laufe dieses Jahres 89 parlamentarische Initiativen eingebracht. Nur zwei davon hatten mit kulturpolitischen Themen zu tun.

Die neuen Minister und der De-facto-Präsident haben indes mehrere Gemeinsamkeiten: Alle sind Männer, weiß und sehr reich. Unter ihnen befindet sich auch der Multimillionär Blairo Maggi, einer der größten Soja-Anbauer der Welt. Er übernimmt verständlicherweise das Agrarministerium. Eine weitere Charakteristik der "Regierung der nationalen Rettung" in Brasilien besteht darin, dass die Justiz gegen ein Drittel der Regierungsfunktionäre wegen Korruption ermittelt (Brasiliens korrupte Bonzen setzen zum Putsch an). Unter ihnen findet sich auch der Name des designierten Planungsministers Romero Jucá, der für einen Großteil der Investitionen und Privat-öffentlichen Partnerschaften verantwortlich sein wird.

Übrigens weist die argentinische Zeitung auf eine andere nicht uninteressante Parallele hin: Als die Putschisten 1964 ihr illegitimes Regime errichteten, sprachen sie von einer "Regierung der nationalen Erneuerung". Seit dem gestrigen Donnerstag nun hat Brasilien eine "Regierung der nationalen Rettung". Am Ende, schreibt Página12, scheine nur eines sicher: "Vor dem Gericht der Geschichte wird sich keine dieser beiden Führungen retten können."

Rousseff spricht von Putsch und kündigt Widerstand an

Am Donnerstag war Rousseff nach über fünf Jahren ihres Amtes enthoben worden. Eine deutliche Mehrheit im Senat in der Hauptstadt Brasilia stimmte dafür, dass die linksgerichtete Politikerin ihr Amt für maximal 180 Tage ruhen lassen muss. Die Regierungsgeschäfte übernimmt in dieser Zeit Vizepräsident Michel Temer. Er stellte umgehend die Regierung neu auf und krempelte die Institutionen um. Es sieht also nicht so aus, als wolle Temer - wie von der Verfassung vorgesehen - die Regierung nur kommissarisch weiterführen. Als eine der ersten Amtshandlungen entlässt die De-facto-Regierung 4.000 Staatsbedienstete.

Nach einer über 20 Stunden währenden Debatte hatten die Senatoren mit 55 zu 22 Stimmen für die Suspendierung Rousseffs gestimmt und damit den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren freigemacht. Dieses Verfahren wird nicht, wie oft fälschlich berichtet, mit Korruption begründet, sondern mit Regelverstößen beim Umgang mit Staatsgeldern. Zuletzt war der Druck auf Rousseff innenpolitisch wegen der schweren Wirtschaftskrise, vor allem wegen des Verfalls der Rohstoffpreise, immer größer geworden. Hinzu kamen Korruptionsermittlungen im halbstaatlichen Petrobras-Konzern, deren Spur allerdings nicht zu Rousseff verfolgt werden konnte.

In einer Rede vor Anhängern und Vertretern sozialer Bewegungen gab sich die Politikerin am Donnerstag weiterhin kämpferisch. Sie sei die gewählte Präsidentin und werde alles dafür tun, ihr Mandat nach der Zwangspause bis zum 31. Dezember 2018 auszufüllen. Ihre Gegner seien bei allen Wahlen gescheitert, so Rousseff, die von den Mitgliedern ihres bisherigen Regierungskabinetts begleitet wurde. Die jetzigen Machthaber wollten nun die Wahlen umgehen, um die Regierung an sich zu reißen.

Die 68-Jährige Politikerin und Vertreter der Arbeiterpartei (PT) bezeichnen die Absetzung der bisherigen Regierung als Staatsstreich. Es schmerze sie, "einer politischen und juristischen Farce" zum Opfer zu fallen, sagte Rousseff am Donnerstag. Zugleich rief sie die Menschen im Land auf, sich für den Erhalt der Demokratie einzusetzen. "Unser Kampf gegen den Putsch wird lange dauern, aber wir werden ihn gewinnen", rief Rousseff.