"In den USA gehen sechs Millionen Stimmen verloren"

Greg Palast über Stimmenraub bei Wahlen in den USA, den Einfluss von Parteien auf Behörden und die Demokratisierung des Wahlsystems

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Greg Palast (*1952 in Los Angeles) ist unabhängiger Reporter, Investigativ-Journalist und Filmemacher. Er arbeitet u.a. für die britische BBC, die britische Tageszeitung The Guardian und das Rolling-Stone-Magazin. Seine Bücher waren mehrfach auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Palast war Dozent an den Universitäten Cambridge und São Paolo und ist "Patron of the Trinity College Philosophical Society", eine Position, die vormals schon Jonathan Swift und Oscar Wilde innehatten.

Im Verlag Haffmans & Tolkemitt erscheint diese Tage sein neues Buch "Gern geschehen, Mr. President! Wie man die US-Wahl manipuliert in 10 einfachen Schritten" mit einem Vorwort von Robert F. Kennedy Jr. Palast führt darin aus, wie in den USA der Wahlbetrug funktioniert und welche Tricks dabei angewendet werden. Es ist eine vollständig überarbeitete, aktualisierte und erweitere Neuausgabe des 2012 erschienenen Titels "Billionaires & Ballot Bandits. How to Steal an Election in 9 Easy Steps".

Greg Palast. Screenshot aus dem YouTube-Video: The Best Democracy Money Can Buy
Sie sagen, dass George W. Bush im Jahr 2000 gar nicht zum US-Präsidenten gewählt wurde (George W. Bush ist rechtlich, aber wahrscheinlich nicht faktisch der von der Mehrheit gewählte US-Präsident). Das ist eine starke These. Wie kommen Sie dazu?
Greg Palast: In meinem Buch führe ich aus, wie George W. Bushs Bruder Jeb Bush - zu dieser Zeit Gouverneur von Florida - zehntausende schwarze Wahlberechtigte aus den Wählerverzeichnissen hat entfernen lassen. Die Behörden in Florida verlangen, die ethnische Zugehörigkeit eines Wählers zu verzeichnen, deshalb wissen wir, dass sie schwarz waren.
Seine für den Wahlprozess verantwortliche Innenministerin Katherine Harris hatte diese schwarzen Wähler mit der Begründung blockiert, sie seien verurteilte Kriminelle. In Florida können Sie Ihr Stimmrecht lebenslänglich verlieren, wenn Sie wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind.
Aber nicht ein einziger dieser schwarzen Wahlberechtigten, die Harris blockiert hatte, hatte eine Haftstrafe verbüßt. Dennoch verloren sie ihre Stimme. George W. Bush gewann Florida damals mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur 537 Stimmen. Unter dem merkwürdigen US-amerikanischen Wahlsystem wurde er damit Präsident. Mehr als 90 Prozent der Schwarzen in den USA stimmten damals für die Demokratische Partei. Hätte Harris diese schwarzen Wähler nicht blockiert, hätte Bush das Weiße Haus nicht erobert. Meine Untersuchung, die ursprünglich in der britischen Tageszeitung The Guardian erschienen war, wird inzwischen selbst von Bushs eigener Bürgerrechtskommission als unanfechtbare Tatsache anerkennt. Allerdings entschied sich das Oberste Gericht gegen eine Wiederauflage der Wahl.

Meist werden Wahlberechtigte mit allerlei kuriosen Begründungen von den Wählerlisten entfernt

Wie funktioniert dieser Wahl-Manipulation-Apparat, von dem Sie in Ihrem Buch schreiben?
Greg Palast: Es gibt es zehn Methoden, um US-Wahlen zu manipulieren. Meist geht es darum, die Wahlberechtigten mit allerlei kuriosen Begründungen von den Wählerlisten zu entfernen. Wahlberechtigte werden - wie in Florida - beschuldigt, sich strafbar gemacht zu haben. Oder es heißt, sie hätten in der gleichen Wahl zwei Mal abgestimmt oder eine falsche Adresse angegeben. In der Tat: Mehrfach abstimmen, die Verwendung einer falschen Adresse oder das Wählen nach einer strafrechtlichen Verurteilung sind nach dem Gesetz Vergehen - und doch wird deswegen fast niemand verhaftet. Der Grund ist, dass die Wähler diese Delikte, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können, praktisch nie begehen. Dennoch verlieren mehrere Millionen US-Wähler verdachtsbedingt ihr Wahlrecht.
Wie mein Koautor, der Juraprofessor Robert F. Kennedy Jr., zudem vermutet, werden Wahlen durch solche grobe Tricks wie das Füllen von Wahlurnen mit tausenden gefälschten Stimmenzetteln gestohlen. Für die meisten Europäer ist es sicher schockierend zu erfahren, dass die US-Wahlen wie in einer afrikanischen Diktatur durchgeführt werden. Aber die USA haben nie eine politische Kultur entwickelt, in der alle Parteien die Unantastbarkeit von Wahlen respektieren.
Warum denken Sie, dass Arme, Afroamerikaner sowie US-Amerikaner mit lateinamerikanischen oder asiatischen Wurzeln bei der Ausgrenzung von Wahlen besonders betroffen sind?
Greg Palast: Ganz einfach: Die Republikaner blockieren diese Wähler, weil sie überwiegend für die Demokraten stimmen. Rund 74 Prozent der US-Amerikaner mit asiatischer Herkunft haben für Barack Obama votiert. Interessanterweise greifen Demokraten oft die gleichen Wähler an, weil einige reichere, demokratische Politiker vom rechten Rand dieser Partei nie eine Nominierung gewinnen würden, wenn die ethnischen Minderheiten uneingeschränkt am Wahlprozess teilnehmen könnten. Sie dürfen nicht vergessen, dass US-Wahlen immer aus zwei Schritten bestehen: Zunächst findet eine Abstimmung innerhalb der Parteien für einen Kandidaten statt, das sind die Vorwahlen, und dann wird zwischen den Gewinnern der Parteikandidaten entschieden.
Es gab ja schon Kritik an den Vorwahlen im New York im April. Was ist da falsch gelaufen?
Greg Palast: New York bietet ein einfaches Beispiel, wie Menschen ihr Wahlrecht aberkannt wird, indem sie aus den Wählerverzeichnissen entfernt werden. In der Vorwahl der Demokraten in New York zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders erschienen allein in Brooklyn 126.000 Wähler in den Wahllokalen und mussten dort feststellen, dass ihre Registrierungen gelöscht worden waren. Niemand hat eine gute Erklärung dafür. Aber es ist klar, dass die meisten dieser Wähler Bernie Sanders bevorzugten.
Sie haben mit diesem Phänomen, wie Sie schreiben, selbst Erfahrungen gemacht, als Sie im Wahlbüro in Brooklyn, New York, eingesetzt waren. Was war damals geschehen?
Greg Palast: Ich war Leiter der Wissenschafts- und Technologie-Kommission dieses Staates. Die Demokratische Partei hatte mir auferlegt, in das Wahlbüro von Brooklyn zu gehen, um die Registrierung von missliebigen Wählern anzufechten. Sollte ich an der Säuberung der Wählerverzeichnisse nicht teilnehmen, würde mir eine Entlassung drohen. Dieses Vorgehen ist übrigens vollkommen legal.

Der "Diebstahl" betrifft sechs Millionen Stimmen, die wahlentscheidend sein können

Das ist offenbar kein Einzelfall, wie Sie schreiben. Sogar renommierte Politiker wie Senator Hank Sanders aus Alabama sind offenbar betroffen.
Greg Palast: Ja. Nachdem Martin Luther King und seine Anhänger 1965 den Streit um das Wahlrecht gewannen, gab es eine massive Zunahme von Afroamerikanern in öffentlichen Ämtern. Staatssenator Hank Sanders, ein Rechtsanwalt, ist einer von ihnen. Er hatte als junger Mann an dem Marsch von Selma teilgenommen, der von King angeführt wurde - damals wurden vier der Demonstranten getötet. Im vergangenen Jahr war Senator Sanders auf einmal selbst mit dem Problem konfrontiert, dass er aus dem Wählerverzeichnis entfernt wurde. Er bat mich, diesen Fall zu untersuchen.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gelangt?
Greg Palast: Das Problem ist, dass vor drei Jahren der Oberste Gerichtshof der USA die Wahlgesetzgebung massiv verändert hat. Das erlaubt es einzelnen Bundesstaaten - oft von Republikanern kontrolliert -, schwarze Wähler aus den Verzeichnissen zu entfernen. Während meiner Arbeit für den Sender Al Jazeera und jetzt für das Rolling-Stone-Magazin, konnte ich den neuesten Trick der Wählerentfernung aufdecken: den "Interstate Crosscheck". Senator Sanders' Staat, Alabama, hatte begonnen, an dieser Gegenprüfung von Wählerverzeichnissen zwischen US-Bundesstaaten teilzunehmen. Auf der entsprechenden Liste stehen insgesamt sage und schreibe 7,2 Millionen Namen. Es werden dann die Namen der Wählerverzeichnisse einzelner Staaten verglichen. Wenn Sie nun Maria Hernández heißen und es im Vergleichsstaat auch eine Maria Hernández gibt, können Sie beide Ihre Stimme verlieren. Sogar, wenn andere Angaben wie der Mittelname sich unterscheiden. Das Gleiche passiert mit asiatischen Namen wie Wong oder afroamerikanischen Namen wie Jackson. Das scheint der Grund zu sein, warum der Staat Alabama einem der eigenen Senatoren das Stimmrecht aberkannt hat. Das ist nichts anderes als eine ethnische Säuberung der Wahlregister.
Welche Rolle spielt die US Election Assistance Commission in diesem Zusammenhang?
Greg Palast: Diese Bundesbehörde soll den Überblick über Abstimmungsstatistiken in den USA behalten. Sie wurde im Jahr 2001 etabliert, um ein "zweites Florida" zu vermeiden. Aber vor kurzem erlaubte ein republikanischer Direktor der Behörde eine Änderung der Wahlformulare. So werden eine Menge junger Wähler in einigen Staaten daran gehindert, sich zu registrieren. All das ist Teil eines zentralen Problems: Es gilt als Fair Play, wenn Sie die Blockierung der Wähler Ihres Gegners durchsetzen. Es gibt keine Kultur in den USA, die sagt, dass es falsch ist, Stimmen zu stehlen.
Ein Drittel der Wähler in den USA stimmt per Briefwahl ab. Bekommen sie mit, ob ihre Stimme gezählt wird?
Greg Palast: Die meisten Staaten informieren ihre Wähler nicht, ob ihre Stimme gezählt wurde. In jeder US-Wahl werden mindestens drei Millionen Stimmzettel nie gezählt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Stimmzettel nicht gezählt wird, ist bei schwarzen Wählern im Vergleich zu weißen Wählern 900 Prozent höher. Das hat auch damit zu tun, dass in armen Gebieten und wohlhabenden Bezirken sehr unterschiedliche Wahlsysteme zur Anwendung kommen. Das wird für Europäer überraschend sein, weil bei ihnen im Allgemeinen dasselbe System für die ganze Nation verwendet wird. Unsere Systeme variieren von Landkreis zu Landkreis.
Sie bleiben also dabei: Die Wahl im Jahr 2000 war gefälscht?
Greg Palast: Ja. Die US-Bundesregierung erkennt inzwischen ja auch an, dass schwarze Wähler von der Stimmabgabe ausgeschlossen wurden. Für mich bedeutet das: Die Wahl war gestohlen.

Arme, Afroamerikaner oder Menschen lateinamerikanischer oder asiatischer Herkunft sind betroffen

Gehen Sie davon aus, dass die Ergebnisse 2016 auch nicht den Wählerwillen widerspiegeln werden?
Greg Palast: Juraprofessor Bobby Kennedy Jr. und ich schätzen, dass insgesamt etwa sechs Millionen Stimmen verloren gehen, weil sie nicht gezählt oder Wähler von der Stimmabgabe abgehalten werden. Die meisten von ihnen sind Arme, Afroamerikaner, oder Menschen lateinamerikanischer oder asiatischer Herkunft, mit anderen Worten, vor allem Wähler der Demokratischen Partei.
Wird das die Wahl beeinflussen? Wenn das Präsidentschaftsrennen eng ist, ja. In den Jahren 2008 und 2012 hat Obama den "Diebstahl " der Wahl dank einer massiven Pluralität von Stimmen gegenüber seinem Gegner gewonnen. Der wahrscheinlichere Fall ist, dass diese "Unterdrückung von Stimmen" - so der offizielle Terminus für Wahldiebstahl - von Armen und Minderheiten den Demokraten vier oder fünf Sitze im Senat kosten wird. Das könnte genügen, um den Kongress zu verlieren, was hieße, dass die Republikaner dort die Kontrolle behalten.
Aber widerspricht Obamas Wahl 2008 nicht der These von Manipulationen?
Greg Palast: Nein, denn der "Diebstahl" betrifft ungefähr sechs Millionen Stimmen. Obama sagte meinem Co-Autor, er habe gewusst, dass der Diebstahl kommen würde. Also war sein Plan, mit einer unüberwindbaren Marge zu gewinnen. Und das hat er getan.
Wenn all das also belegt ist: Wären die US-Wahlen nicht ein Fall für die Gerichte, nationale oder internationale?
Greg Palast: Ja. Leider wurde George W. Bush von unserem Obersten Gericht mit einer Entscheidung von fünf zu vier Stimmen zum Präsidenten bestimmt. Die republikanische Mehrheit des Gerichts erklärte ihn also zum Sieger.
Und, ja, ich arbeite mit mehreren Teams von Anwälten, die mir Informationen für rechtliche Schritte zur Verfügung stellen. Es gibt im Moment wahrscheinlich etwa 200 anhängige Klagen von Wahlberechtigten, die versuchen, rassistisch voreingenommene Abstimmungsverfahren aufzuheben. Dann kommt es auf die Richter an. Aber Richter werden in den USA nach politischen Kriterien benannt. Derzeit kommt es durch den Tod von einem der Richter am Obersten Gerichtshof zu einem Patt von vier zu vier Stimmen zwischen den Parteien. Das wird interessant werden.
Was internationale Beobachter betrifft: Das Carter Center sagt, dass die US-Wahlen nicht internationalen Normen entsprechen, die ausländischen Beobachter erlauben würden, die Abstimmung zu überprüfen. Die Republikanische Partei würde jeden ausländischen Versuch, die US-Abstimmung zu überprüfen, als einen Angriff auf unsere Souveränität werten. Deshalb enthält die US-Ausgabe meines Buches eine kurze, auf eine Buchseite passende Handlungsanweisung mit sieben Möglichkeiten, seine Stimme bei der kommenden Wahl zu schützen. Ich habe auch eine wöchentliche Radiosendung in den USA, um den Menschen dabei zu helfen, dass sie ihre Stimme in unserem komplexen und voreingenommenen System nicht verlieren.

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