Internet Governance = Netzpolitik?

Beim Gipfeltreffen zwischen amerikanischen und deutschen Parlamentariern kam es zu Verständigungsproblemen, und auch Echelon war ein Thema

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In zahlreichen Punkten herrscht Einigkeit beim Thema Internet Governance zwischen den USA und Europa beziehungsweise Deutschland, auch wenn es im Detail noch ausreichend Konfliktstoff gibt. Diesen Eindruck vermittelten Repräsentanten des US-Congress, die sich in dieser Woche auf großer Europatour befanden, sowie Abgeordnete des Deutschen Bundestags bei einem von der US-Botschaft eingefädelten "Gipfeltreffen" im Amerika Haus Berlin am Donnerstag Abend. Statements wurden vor allem zu den Themen Datenschutz von Bürgern und Unternehmen, Besteuerung des Internet, Open Access sowie allgemeinen Regulierungsfragen ausgetauscht. Auch an Echelon führte kein Weg vorbei.

"Haltet das Internet soweit wie möglich frei von Steuern und Regulierungen", gab der Republikaner Bob Goodlatte den Gesetzgebern auf beiden Seiten des Atlantiks mit auf den Weg. Der Congress werde sich ganz in diesem Sinne höchstwahrscheinlich für eine dauerhafte Verlängerung des vor zwei Jahren erlassenen dreijährigen Moratoriums für neue Steuerformen entscheiden. Das beziehe sich allerdings nicht auf die Mehrwertsteuer. Doch selbst in diesem Punkt sieht Goodlatte keine Eile geboten, auch wenn die amerikanischen Bundesstaaten gern die Hand aufhalten würden: "Das allgemeine wirtschaftliche Wachstum war so dramatisch, die ganze Ökonomie ist so sehr gewachsen, dass die Steuereinnahmen generell in signifikantem Tempo gestiegen sind." Der Congress sehe daher momentan keine Notwendigkeit, in den Prozess einzugreifen.

Das Netz habe den Menschen insgesamt große Macht in die Hand gegeben und es ihnen ermöglicht, Handel untereinander zu treiben. Diese Offenheit und der internationale kooperative Charakter des Internet müssten unbedingt erhalten bleiben. "Wir müssen den freien Zugang zum Netz bewahren", betonte Goodlatte, damit auch die "Mama-und-Papa-Unternehmen" mit den größten Konzernen in der Welt konkurrieren könnten. "Wir dürfen niemandem erlauben, das Internet zu beherrschen."

Wichtig sei es, ergänzte der Demokrat Richard Boucher, das "Open Access"-Prinzip auf alle zukünftigen Zugangswege zum Internet auszudehnen. Der Gesetzgeber habe in den USA zwar den offenen Zugang zum Telefonnetz gesichert. Die Kabelgesellschaften, die Kabelmodems immer stärker als Weg in ein breitbandiges Internet propagierten, seien aber noch nicht auf eine offene Architektur verpflichtet worden. In diesem Bereich habe man genauso wie beim Zugang zum Internet über den Mobilfunk sicher zu stellen, dass die Möglichkeiten, sich frei einen Serviceprovider aussuchen zu können, nicht eingeschränkt würden.

Unverständlich erschien den amerikanischen Abgeordneten, dass es in Deutschland immer noch keine Flat-Rate für lokale Telefongespräche und damit für das Surfen im Internet allgemein gibt. Dass sei so, unkte Goodlatte, als ob man eine Eintrittsgebühr fürs KaDeWe oder andere Warenhäuser verlange, bevor die Leute dort einkaufen könnten. Echte Flat-Rates in den USA seien wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass dort der Prozentsatz der Internetnutzer größer sei als in den meisten europäischen Ländern.

Martin Mayer, Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Fragen der Informationsgesellschaft, fand sich dank dieser Vermutungen darin bestätigt, die Bundesregierung zum Einschreiten gegen das Monopol der Deutschen Telekom im Ortsbereich aufzurufen. Was die jüngsten "Flat-Rate"-Angebote der Telekom (Schröder und Telekom blasen zur Online-Offensive) angehe, so ist sich Mayer noch nicht ganz sicher, "ob das nicht ein Trick sei". Eine echte Flat-Rate könne es erst geben, wenn der Wettbewerb im Ortsbereich gesichert, das Kabelnetz geöffnet und Funkverbindungen das Problem der "letzten Meile" beseitigt hätten.

Geht es nach Viag Interkom, soll es bald soweit sein. "Bis zum Jahresende wird das De-facto-Monopol der Telekom beendet sein", versicherte Robert Pelzel, Leiter der Abteilung Partnerlösungen bei dem Telekommunikationsprovider. Die Technik werde bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls für den Einsatz bereit stehen - hoffentlich hätten dann auch die Politiker ihre Hausaufgaben gemacht.

Unbehagen mit der politischen Entwicklung verspürt auch Hermann Neus von IBM Deutschland. Sein wichtigstes Anliegen ist es, alle Deutschen ans Netz zu bekommen, um die digitale Kluft zu vermeiden. Traurig sei es in diesem Zusammenhang, dass die Regierung der Bevölkerung in Fragen der Internetnutzung hinterher hinke, anstatt mit gutem Beispiel vorauszugehen. Der von der Bundesregierung ausgegebene Fahrplan, die USA in fünf oder 10 Jahren einzuholen, sei durch eine Zeitplanung von zwei Jahren zu ersetzen. Besonders seien die Politiker aber übers Netz allgemein zu unterrichten, damit der Umfang der Regulierung des Internet nicht die der deutschen Steuergesetzgebung annehme, die quantitativ weltweit nicht zu übertreffen sei.

"Das Internet entwickelt sich rascher, wenn es nicht ängstlich mit vielen Vorschriften geregelt wird", hat auch Mayer erkannt. Man müsse ihm einen "großen Freiheitsspielraum" lassen. Eine der wichtigsten Aufgaben in Deutschland sei es zwar, die allgemeinen Rechtsvorschriften - Mayer spricht vom Handelsrecht, dem Bürgerlichen Recht und dem Urheberrecht - ans Netzzeitalter anzupassen. Dabei gehe es aber eher um eine Ausdünnung denn um eine Verdichtung des bestehenden Rechts.

Medienpolitik kann sich aber nicht auf das allgemeine Wettbewerbsrecht beschränken, glaubt Jörg Tauss, Beauftragter der SPD-Fraktion für Neue Medien, der vor allem auf den Punkt Datensicherheit und Privacy zu sprechen kam. Nach den Gesprächen am Dienstag zwischen David Aaron, dem scheidenden Unterstaatssekretär des amerikanischen Wirtschaftsministeriums, sowie Jon Mogg, dem Generaldirektor der EU-Kommission für den Internen Markt, scheint sich zwar eine Annäherung im jahrelang ausgetragenen transatlantischen Streit um die Verarbeitung personenbezogener Daten abzuzeichnen. So machte Aaron klar, dass die Safe-Harbor-Prinzipien, mit denen amerikanische Unternehmen ihre den EU-Bestimmungen "adäquaten" Datenschutzregeln bekunden sollen, mit allen gesetzlichen Möglichkeiten kontrolliert würden: "Wenn eine amerikanische Firma sagt, dass sie gewissen Datenschutzregeln folgt und die Safe-Harbor-Regeln und -Praktiken adaptieren werde, und sie dann nicht befolgt, dann ist das eine täuschende Unternehmenspraxis", betonte Aaron. Das sei aber nicht nur irreführend, sondern "das ist ein Vergehen" und werde daher von der Federal Trade Commission verfolgt. Mogg versicherte, dass man bis Ende März eine endgültige Lösung der Datenschutzfrage festklopfen wolle.

Die zunehmende Übereinstimmung zwischen der EU und den USA im Bereich des Datenschutzes begrüßt auch Tauss. Kontrovers werde aber in Deutschland und Europa noch das Thema Echelon (Die Echelon-Debatte geht jetzt erst richtig los), also die Überwachung des Internet und des gesamten Telekommunikationsverkehrs durch die amerikanischen Sicherheitsbehörden, diskutiert, gab er seinen amerikanischen Parlamentskollegen noch mit auf den Weg zurück über den Atlantik. Das betreffe auch den Bereich der Privacy von Bürgern und Unternehmen: "Der sichere Geschäftsverkehr und die sichere Kommunikation übers Internet dürfen nicht gestört werden durch staatliche Eingriffe", sagte Tauss.

Mogg wollte während einer Pressekonferenz in Brüssel nach seinen Gesprächen mit Aaron die Verknüpfung der Themen Echelon und Datenschutz allerdings nicht nachvollziehen. Auf die Frage eines Reporters, ob die Datenschutzdiskussion nicht "surrealistisch" sei angesichts von Echelon, beschied der Generaldirektor, dass dies eine Frage sei, "wo ich keine Kompetenz habe und auch nicht bereit bin zu beantworten." Die Kommission sei nicht der Meinung, dass die Datenschutzrichtlinie" auf diesen spezifischen Fall" anwendbar sei.

Die US-Repräsentanten bezogen während des Symposiums keine Stellung zum "großen Lauschangriff" durch die National Security Agency und ihre Verbündeten in Großbritannien, Australien oder Neuseeland sowie zu den Vorwürfen des STOA-Berichts Interception Capabilities 2000, wonach Echelon auch zur Wirtschaftsspionage eingesetzt wird. Goodlatte versicherte gegenüber Telepolis allerdings nach der Gesprächsrunde, dass "die USA sehr strikte Gesetze und Regeln für die Geheimdienste hat" und dass die Weitergabe von Informationen an private Unternehmen ausgeschlossen sei. "Mir sind keine solche Aktivitäten zu Ohren gekommen", sagte der Republikaner, der anscheinend den STOA-Report nicht gelesen hat, wo mehrere Fälle der Wirtschaftsspionage dokumentiert werden. Sollte es Betroffene geben, so empfiehlt ihnen Goodlatte, "ihre Bedenken gegenüber den entsprechenden Regierungsvertretern zu äußern".

Dass es in manchen Punkte noch Verständigungsprobleme zwischen der deutschen und der amerikanischen Seite gibt, belegte die Dolmetscherin, die eigentlich die Kommunikation erleichtern sollte, treffend. Die Statements von Tauss und Mayer wurden völlig sinnentstellt übersetzt: Aus der Förderung der Kryptografie von deutscher Seite wurde beispielsweise das Eintreten gegen Verschlüsselungsmechanismen. Bis das Internet wirklich zur allgemeinen Völkerverständigung beiträgt, wird es wohl noch ein weiter Weg sein.