"Intervention in Katalonien sofort beenden"
Die Unabhängigkeitsbewegung setzt nach den Zwangswahlen ihren Parlamentspräsidenten durch und verteidigt erfolgreich die wichtige Mehrheit im Präsidium
Es gab gestern keine wirkliche Überraschung während der konstituierenden Sitzung des katalanischen Parlaments in Barcelona. Obwohl sich der aus Spanien abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont und vier seiner Minister weiter im belgischen Exil in Brüssel befinden, konnten die drei Unabhängigkeitsparteien problemlos mit ihrer bei den Zwangswahlen erreichten Mehrheit erneut ihren Parlamentspräsidenten wählen. Sie konnten auch die wichtige Mehrheit im Präsidium verteidigen, obwohl ihre Sitzmehrheit durch die spanische Repression derzeit um fünf Stimmen dezimiert ist.
Der 38-jährige Roger Torrent von der Republikanischen Linken (ERC) steht dem Parlament nun vor. Der Bürgermeister der Gemeinde Sarriá de Ter löst Carme Forcadell ab. Gegen sie laufen fünf Strafverfahren wegen ihres mutigen bisherigen Auftretens, weshalb sie nicht erneut antreten wollte. Torrent ist ein Vertrauter der ERC-Generalsekretärin Marta Rovira. Er ist der bisher jüngste Präsident. "Ich werde für die Restituierung unser Institutionen arbeiten", erklärte er mit Blick auf die spanische Zwangsverwaltung. Er will die "Intervention der Institutionen sofort beenden".
Er begrüßte bei seiner Antrittsrede den bisherigen Präsidenten und die Minister, deren Sitze erstmals leer blieben. Auf ihnen waren allerdings jeweils große gelben Schleifen angebracht. "Die einen sind Gefangene, die anderen im Exil oder abgesetzt", wies Torrent auf die Ausnahmesituation hin, unter der sich das Parlament konstituieren musste.
Eine Überraschung gab es dann aber doch noch. Neben den acht Parlamentariern der linken Catalunya en Comú (Katalonien Gemeinsam), hinter der die linke spanische Podemos (Wir können es) steht, hat sich auch aus dem Block der Unionisten ein Parlamentarier in den beiden Abstimmungen ein Vertreter enthalten. Wurde nach der ersten Abstimmung ein Fehler angenommen, war nach der zweiten klar, dass die Enthaltung gewollt war. Vermutet wird, dass ein Vertreter der katalanischen Sektion der spanischen Sozialdemokraten (PSC) seinen Widerspruch dazu gezeigt hat, dass seine Partei den Kurs unterstützt hat, über den Verfassungsparagraph 155 die Regierung und das Parlament aufzulösen und Zwangswahlen zu verordnen.
Deshalb läuft auch die Kritik der Ciudadanos (Bürger) nun völlig ins Leere. Die hatten mit Blick auf eine theoretische Chance, dem Parlament vorzustehen, der Linksformation vorgeworfen, immer an der Seite der Unabhängigkeitsbewegung zu stehen. Selbst wenn deren acht Parlamentarier gegen ihre Wähler und ihr Programm - denn sie treten ebenfalls für das Selbstbestimmungsrecht ein - mit der rechtsradikalen Volkspartei (PP) und den Ciudadanos gestimmt hätten, hätte es mathematisch nicht einmal unter dem Ausschluss der Exilierten gereicht. Die Ciudadanos hatten gehofft, über den Ausschluss der fünf Exilierten den Wählerwillen verfälschen und das Parlamentspräsidium erstürmen zu können. Für "Katalonien Gemeinsam" war es aber unmöglich, eine Präsidentschaft der rechten Ciudadanos zu ermöglichen. Damit hätten sie zudem die Anwendung des 155 legitimiert, wogegen sie sogar Verfassungsklage eingereicht haben, die auch angenommen wurde.
Dass Katalonien weiter in einer Ausnahmesituation ist, zeigte sich auch daran, dass viele tausend Menschen vor dem Parlament protestiert haben, dass Puigdemont und vier Mitstreiter weiter Inhaftierung droht und die drei gewählten Parlamentarier, der ERC-Chef Oriol Junqueras, der frühere Innenminister Joaquin Forn und Jordi Sànchez. weiter inhaftiert sind. Auf einer riesigen Leinwand verfolgten sie vor dem Parlament die Abstimmungen. Sànchez, ehemaliger Chef des Katalanischen Nationalkongress (ANC) sitzt mit Jordi Cuixart nun seit drei Monaten im Knast. Der ANC hatte zu den neuen Protesten aufgerufen. So demonstrierten schon am späten Dienstag in ganz Katalonien zahllose Menschen für die Freiheit der Gefangenen.
Die Gefangenen konnten allerdings ihre Stimme über Delegierte abgeben. Es brauste stets Beifall auf, wenn andere Parlamentarier für sie in Abwesenheit abgestimmt haben. Am Sitzungsende wurde in Sprechchören ihre "Freiheit" gefordert. Richter Pablo Llarena vom Obersten Gerichtshof hatte das Parlament in einem Beschluss angewiesen, die Delegierung zu erlauben, da er den dreien die Sitzungsteilnahme verweigert hat.
Diese Entscheidung ist nur sehr schwer nachvollziehbar, schließlich wurden früher drei Untersuchungsgefangenen der baskischen Untergrundorganisation ETA die Teilnahme an Parlamentssitzungen erlaubt. Verfassungsrechtler, wie Argelia Queralt, halten Llarenas Beschluss für Amtsanmaßung, da dies allein in die Kompetenz des Parlamentspräsidiums falle. Zudem habe er nicht einmal ein Urteil gefällt, sondern nur einen Beschluss. Interessant ist auch, dass der Richter seine Entscheidung darüber, ob er Forn und die Jordis freilässt oder nicht, seit fast einer Woche über die konstituierende Sitzung hinaus unüblich verzögert hat.
Dilemma für Puigdemonts
Da die Exilierten ihre Stimme nicht delegieren wollten, war das Alterspräsidium vor der Wahl des neuen Präsidiums zunächst nicht zu einer schwierigen Entscheidung gezwungen, ob den Brüsselern die Delegierung der Stimme ebenfalls erlaubt wird. Parlamentsjuristen haben sogar im Fall der Gefangenen bezweifelt, dass dies über die derzeitigen Statuten erlaubt ist. Die Unionisten hatten Verfassungsklage angekündigt, sollten auch die Exilierten abstimmen können. Mit dem Rückzug der Exilierten wurde diese Situation aber umschifft. Doch warum die spanische Regierung von Mariano Rajoy angekündigt hat, nun keine Klage einreichen zu wollen, obwohl die Gefangenen abstimmen durften, bleibt deren Geheimnis.
Das Parlamentspräsidium zu kontrollieren, ist für die bevorstehende Wahl des Präsidenten sehr bedeutsam. Im Eilverfahren kann es nun auch die Statuten ändern und die Delegierung der Stimmen definitiv erlauben. Und natürlich fragen sich viele, warum es nicht auch möglich sein soll, aus Brüssel abzustimmen oder sogar gewählt zu werden, wenn man das auch aus einem spanischen Knast tun kann. Mit diesem Widerspruch müssen sich Llarena und die Unionisten auseinandersetzen.
So setzt vor allem Puigdemonts Formation auf die Anpassung der Statuten. Gemeinsam für Katalonien (JxCat) hält weiter daran fest, ihn in Abwesenheit am 31. Januar zu wählen. In der linksradikalen CUP und der ERC sieht man es zunehmend kritisch, am "legitimen Präsident" festzuhalten, wenn der nicht vorher zurückkehrt. Um seine erneute Wahl zu ermöglichen, prüft Puigdemont die Möglichkeit, nach Spanien zurückzukehren. Denn es ist klar, dass eine Wahl in Abwesenheit eine sofortige Verfassungsklage nach sich ziehen würde. Und da die "unabhängige" spanische Justiz stets Gewehr bei Fuß steht, wenn die Regierung ruft, ist zu erwarten, dass die Klage wie andere zuvor sofort angenommen würde. Damit wäre die der Wahl von Puigdemont sofort "vorläufig" wieder ausgesetzt und das würde die Fortsetzung der Zwangsverwaltung bedeuten.