Interview mit Gary Wolf, Wired Digital

Ambient Medien oder der soziale Raum der Zukunft

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Über konsumeristische Phantasien

Gary Wolf von Wired Digital plaudert aus dem Nähkästchen und erzählt über die Anfänge von Hotwired bis hin zu den neuesten Channel-Unternehmungen, genannt "Ambient Medien", der Content-Entrepreneure aus San Francisco.

Bei der Siggraph 97 präsentierte Gary Wolf im Rahmen des Panels "Community/Content/Interface - über kreativen Online-Journalismus" das Konzept der Ambient Medien, das die Grundlage für einen neuen Hotwired-Dienst sein wird. Wolf ist Executive Producer von WIRED Digital, jenes kürzlich umbenannten Zweigs von WIRED, unter dem die gesamten Online-Aktivitäten des Hauses zusammengefaßt sind, wie Hotwired, Hotbot und der Pointcast Channel. Gary Wolf ist innerhalb von WIRED digital Leiter einer kleinen Forschungsgruppe von 12 Leuten, die jeweils die neuesten Netztechnologien auf ihre Brauchbarkeit als Publikationsmedium hin auslotet. Bei einem Interview, das in den Räumen von WIRED digital geführt wurde, zwei riesige Etagen in einem renovierten Lagerhaus in San FranciscoŽs SOMA District, wo sich diverse Content Provider zusammenballen, erläutert er die Idee hinter dem Begriff Ambient Medien.

Animated Gif aus HotwiredŽs Eingangssequenz.

Vielleicht könntest Du uns etwas über Deinen persönlichen Hintergrund erzählen.

Gary Wolf: In den achtziger Jahren war ich bei "The Well", was damals ein Zentrum für die Diskussion aber auch Weiterentwicklung digitaler Medien hier im Raum der Bay Area war. In dieser Phase schrieb ich an einem Buch, eine Art Führer und Beschreibung der Online-Kultur. Ich schrieb auch für einige lokale Publikationen wie zum Beispiel Mondo 2000, als sie gerade herauskamen. Und dann begann Wired und ich denke, Wired funktionierte in diesem Eaum, aber auch national und international, als ein unglaublicher Katalysator. Mit Wired kristallisierte sich das Phänomen der digitalen Online Kultur heraus. Und wenn man hier lebte und damit eng zu tun hatte, dann hatte man eigentlich gar keine andere Möglichkeit, als irgendwie bei Wired einbezogen zu werden. Ich begann also für Wired zu schreiben und machte so um 93, 94 herum einige recht interessante Reportagen. Ich schrieb eine Story über Ted NelsonŽs Xanadu-Projekt und hab mich da sehr tief darauf eingelassen und die Philosophie von Hypertext untersucht, noch bevor es das Web gab. Ich schrieb auch jenen Bericht, der die Wired-Leserschaft über die Erfindung des Webs und die erste Version des Netscape-Browsers informierte, lange bevor Netscape eine Firma war. Wegen dieser Artikel wurde ich in WiredŽs sehr früh beginnenden Versuche einbezogen, eine eigene Web-Site zu machen. Ich nahm an den Diskussionen mit den Leuten teil, die da von Anfang an dabei waren und bin der Ansicht, daß es eine sehr weise Entscheidung von ihnen war, daß sie darauf bestanden, daß ihre Web-Site nicht einfach nur eine digitale Version des Print-Magazins sein sollte. Als die Web-Site dann erschien, war sie auch tatsächlich ganz anders als das gedruckte Wired. In den frühen Tagen lautete unser Slogan "Denken für ein neues Medium", wir wollten herausfinden, wohin das Medium selbst tendierte. Und seit damals haben wir eigentlich alles Denkbare versucht. Wir haben versucht, Registrierung als Voraussetzung einzuführen und hatten dann wieder keine Registrierung. Wir haben ein Java-Chat-System programiert, wir haben Diskussionen nach Threads angeordnet, wir hatten Navigation über Icons und Navigation über Index-Seiten, wir haben versucht, unsere Inhalte über viele verschiedene URLŽs zu verstreuen, die alle ein eigenständiges Leben hatten, wir haben den ganzen Ihnalt unter einer einzigen Url zusammengefasst, wir haben eine Suchmaschine aufgesetzt, einen persönlichen Informationsagenten, wir haben den Pointcast Channel gemacht. In diesem Zeitraum haben wir auch Wege verfolgt, die sich als Sackgassen herausstellten. Wir haben einen Castanet Channel mit Marimba eingeführt.

Das hat nicht funktioniert?

Gary Wolf: Es hat nicht funktioniert. Der Castanet Channel hat meiner Meinung nach versucht, zuviel mit Java zu machen. Eines, was ich immer schon über Wired gesagt habe, ist, daß man davon ausgehen kann, in jeder Nachbarschaft ein Kind zu finden, das mit seinem Fahrrad den steilsten Hügel zuerst hinunterfahren wird. Wired digital hat die Rolle dieses Kindes in der Industrie. Als es bezüglich Java also hieß, das werde die Quelle eines neuen, allgegenwärtigen, plattformunabhängigen und aktiven Netzes sein, da dachten wir, klar, das ist gut, das machen wir. Wir haben sehr hart gearbeitet und herausgefunden, daß Java noch nicht wirklich weit genug war, oder daß wir noch nicht weit genug waren. Wenn es darum geht, Animationen zu machen und täglich aktualisierte Inhalte, dann ist es einfach zu viel Arbeit, zu schwierig, zu absturzgefährdet und es verschlingt auch eine Menge an Ressourcen. Also haben wir das wieder eingestellt, doch wir können jederzeit wieder darauf zurückkommen, wenn die Technologie vielversprechend wird.

Kannst Du diesen neuen Begriff "Wired digital" erklären?

Gary Wolf: Als wir angefangen haben, waren wir Hotwired, eine Web-Site. Wir sind schnell gewachsen und haben mit verschiedenen Organisationsformen experimentiert. Vor kurzem haben wir uns dann entschlossen, uns in Wired digital umzubenennen. Der Firmenname war Hotwired und die Web-Site hieß Hotwired, was für die Leute verwirrend war. Denn Hotwired ist nur eine von mehreren Web-Sites, die Wired digital produziert, wir sind aber auch verantwortlich für Wired News, den Pointcast Channel, Hotbot, also die Suchmaschine und Wired digital ist die Dachorganisation für all diese Projekte. Mein Job-Titel bei Wired digital nennt sich "Executive Producer". Was jedoch meiner persönlichen Verantwortung unterliegt, ist eine Forschungs- und Entwicklungsgruppe zu leiten, die in neue Bereiche vordringt, die wir bisher noch nicht ausgelotet haben. Es war zum Beispiel meine Gruppe, die sich Pointcast angesehen und gesagt hat, wir machen was mit Pointcast. In den letzten sechs Monaten haben wir uns sehr darauf konzentriert, mit Internet Explorer 4.0 zu arbeiten und damit einen neuen Channel zu gestalten, der auch Microsofts "Desktop Components" berücksichtigt.

Warum Internet Explorer, warum nicht Netscape?

Gary Wolf: Wir haben auch einen Netcaster-Channel, wir haben Netscape ziemlich genau untersucht, denke ich, und wage sogar zu behauptesten, daß wir so aggressiv wie kaum jemand anders die Channel-Möglichkeiten innerhalb von Netscapes Browser erkundet haben. Doch dessen ungeachtet, gibt es ein paar Dinge, die IE ermöglicht, die wir für sehr interessant halten. IE ermöglicht es uns zum Beispiel, einen Bildschirmschoner zu programmieren, der sich immer verändert und aktualisiert. Ausserdem hat IE eine Implementation von dynamischem HTML, die recht gut funktioniert und uns einige interessante Möglichkeiten gibt, die wir gerne noch weiterverfolgen möchten.

Bei der Podiumsdiskussion hast Du über Ambient Medien gesprochen. Wenn Du uns darüber etwas erzählen könntest...

Gary Wolf: Für mich ist das die richtungsweisende konzeptuelle Einsicht hinter unserer gegenwärtigen Arbeit. Dabei geht es in der derzeitigen Phase um die "Versprechungen aber auch Bedrohungen durch Ambient Medien". Wenn ich von Ambient Medien spreche, dann meine ich damit Medien, die zu dir sprechen oder mit dir interagieren, da wo der Raum bislang noch nicht von Medien besetzt war oder in Räumen, die simultan zur Erledigung anderer Aufgaben wahrgenommen werden können. Wenn also jemand den Fernseher laufen läßt während er kocht, dann wird der Fernseher zu einem Ambient Medium; oder wenn man beim Autofahren Radio hört; wenn man sich eine Plakatwand im Vorübergehen ansieht; diese Sache, die ich kürzlich in New York bei einer Telefonzelle sah, das gibts dort zwar schon seit Jahren, aber da befindet sich eine LED-Anzeige, die Werbebotschaften von sich gibt während du telefonierst. Das alles sind Formen von Ambient Medien. Ich denke daß Ambient Medien sich zu einer sehr starken Kraft in unserem Leben entwickeln werden und bin deshalb der Ansicht, daß sich Kommunikatoren die Frage stellen müssen, ob sich das zu einer positiven oder negativen Macht entwickeln wird. Was können wir als Kommunikatoren tun, um diese Räume in einer Weise zu benutzen, daß sie sich positiv auf das Leben der Leute auswirken und ihnen nicht noch etwas wegnehmen. Das wird keine leichte Aufgabe sein. Was den Computer nun im speziellen betrifft, werden Ambient Medien vor allem in bestimmten Bereichen des Desktops zur Anwendung kommen. Eine davon sind Bildschirmschoner, die von einigen Leuten bereits jetzt dazu benutzt werden, um miteinander zu kommunizieren. Eine andere Ebene bildet, was Microsoft "Desktop Komponenten" nennt, also Fenster, die immer geöffnet bleiben, während man andere Arbeit macht, und die zugänglich sind, um zum Beispiel eine Suchabfrage zu machen, oder Überschriften einzuspeisen. Eine andere Ebene ist möglicherweise der Bildschirmhintergrund, auf dem man eine Tapete setzen kann, also der Raum unter den Icons, auch das ist eventuell ein Raum für Kommunikation. Wir haben bereits ein recht fortgeschrittenes Wissen darüber, wozu die meisten Leute diese Räume möglicherweise benutzen werden. Wir haben es ja schon gesehen, sie werden sie für Nachrichtenticker benutzen, als Eingabefelder für Suchabfragen, sowie für Sport und Börseninformation. Die Frage, die ich nun stelle ist, werden Schlagzeilen, Sport, Börsenkurse den gesamten Kommunikationsraum ausfüllen? Ist das alles, worüber die Leute in diesen Ambient Räumen reden oder informiert werden wollen? Welche Art von Dingen könnte man sich vorstellen, die sehr interessant sind, sehr wertvoll und die nicht von Sport und Schlagzeilen allein völlig vereinnahmt werden.

Was Du bei der Siggraph gezeigt hast, hat für mich bezüglich "Ambient" auch Assoziationen zur Ambient Music aufgeworfen, irgendwie sehr chic, sehr zurückgelehnt...

Gary Wolf: Wir versuchen zu den Leuten eine emotionale Verbindung aufzubauen, aber wir versuchen das auf eine Art und Weise, die sie nicht zwingt, sich 100 Prozent dem Medium hinzugeben, denn in einem Ambient Raum brauchst du deine Aufmerksamkeit ja gerade für die Dinge, auf die du gerade konzentriert bist. Du kannst dich also so einer Sache nicht völlig hingeben in der Art wie du dich vielleicht einem guten Film auf der Kinoleinwand hingeben würdest. Was wir gerne tun möchten, ist eine Informations-Umgebung zu schaffen, welche die Leute stimulierend finden, interessant und real - ich meine real in intellektueller und emotionaler Hinsicht -, und die es ihnen zugleich ermöglicht, ihre Beziehung zum Medium frei zu modulieren.

So wie ich das verstanden habe, soll auch die Möglichkeit gegeben sein, daß jemand tiefer einsteigen kann, indem Moment indem man sich für etwas genauer zu interessieren beginnt.

Gary Wolf: Ja, absolut. Und das führt uns zum zweiten Grundgedanken, der hinter unserer Arbeit steht. Der eine sind Ambient Medien, der andere läßt sich visuell als eine Achse beschreiben, die von sehr engagiert bis sehr unengagiert verläuft. Was wir als sehr engagiert beschreiben, ist sehr interaktiv. Wenn du also deine Hand auf der Maus hast, wenn du klickst, dann bist du engagiert. Das verlangt, daß du nahe am Bildschirm bist, daß du sehr konzentriert bist, daß du keine anderen Sachen gleichzeitig machst. Als unengagiert bezeichnen wir, wenn man weiter weg vom Bildschirm ist, wenn man nicht mit der ganzen Aufmerksamkeit dabei ist und wenn man es einfach als Teil der Umgebung auffaßt. Unser Ziel ist es nun, Produkte zu gestalten, die sozusagen ganz sanft und geräuschlos den Wechsel von engagiert zu unengagiert und umgekehrt ermöglichen, so daß du einfach bloss ein Auge darauf haben kannst, oder teilnehmen kannst, daß es Teil deiner Umgebung ist, und wenn dein Interesse plötzlich größer wird, kannst du dich einzoomen, näher kommen, kannst beginnen, in diesem Raum zu reisen.

Damit wird es sehr fernsehähnlich. Meinst Du nicht, daß uns ein solches Konzept auf einen rückwärtsgerichteten Weg bringt, hin zu etwas, das wir bereits hatten? Die meisten Leute verwenden doch Fernsehen als ein Ambient Medium.

Gary Wolf: Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Die Frage, ob das "Web nun zum Tv wird", beinhaltet die Annahme, daß wir das Fernsehen verstehen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir Fernsehen verstanden haben. Ich denke das Fernsehen entwickelt sich auch sehr schnell weiter und transformiert sich. Das Network Tv (die grossen Nationalen Fernsehstationen) scheint zwar in gewissen formelhaften Mustern steckenzubleiben. Tatsache ist aber, daß mehr und mehr Leute vom Network Tv abwandern und sich allen möglichen Formen von Fernsehen zuwenden. Fernsehen, das viel kleinere Publikumsschichten für viel genauer definierte Ziele anspricht und das manchmal extrem seltsam funktioniert, gemessen an seinen eigenen Regeln. Wenn man sich zum Beispiel den Home Shopping Channel ansieht, einen Sender, den ich nicht gerade als besonders tollen Sender bezeichnen würde und den ich mir auch fast nie ansehe, so ist das doch sehr faszinierend, denn dieser Sender spricht eine Sprache, die sich von der Sprache des Network Tv drastisch unterscheidet. Es ist eine Art von Ambiente, es geht immer weiter und weiter, wiederholt sich oft, es zeigt dir immer den Sekunden-Countdown. Das weist für mich auf neue linguistische Möglichkeiten im Medium Fernsehen hin. Oder ein programm wie "Cops", eine Serie in den USA, die aus Video-Aufnahmen von echten Polizeieinsätzen hergestellt wird. Sie wenden eine Menge Energie auf, um Cops so dramatisch wie möglich aussehen zu lassen, und so nahe wie möglich an einer Fiktion. Es ist wie verrückt geschnitten, sie geben am Anfang und am Ende Musik dazu, sie tun alles, um es wie eine normale Fernsehserie aussehen zu lassen. Aber es sieht nicht wie normales Fernsehen aus. Am Ende sieht Cops doch wie etwas sehr Fremdartiges und Verschiedenes aus. Es gibt uns einen Ausblick darauf, daß es in der Zukunft Fernsehen geben wird, das von Privatpersonen mit Videokameras gedreht wird und das sich nur sehr kleine Zielgruppen ansehen werden.

Vielleicht werden Leute mit kleinen Web-Kameras hermlaufen, deren Signal ins Netz übertragen wird...

Gary Wolf: Oder eher so, wie Bruce Sterling vorgschlagen hat, daß das Netz von Überwachungskameras, das bereits existiert, hin zu etwas transformiert wird, was sich die Leute im Fernsehen ansehen. Neulich sprach ich mit jemandem aus Princeton, der in seinem Büro über das Internet das Bild einer Kamera empfangen kann, die auf den Parkplatz gerichtet ist. Leute, die abends lange arbeiten, können damit sehen, ob sich am Parkplatz jemand aufhält, vor dem sie eventuell Angst haben. Das stellt ganz offensichtlich eine Verbindung zu den verschiedensten Themen her, die mit Überwachung und Privatheit zu tun haben, und ich denke das ist die Richtung, in die es sich weiterentwickelt und zwar so schnell wie wir es uns nur vorstellen können. Für viele Leute ist das immer noch nicht sehr sichtbar, die vielleicht denken, "ja Fernsehen, das sind Seifenopern, einstündige Fernsehfilme, die Abendnachrichten". Wenn das Web wirklich wie Fernsehen wird, dann wird es nicht mehr "das" Fernsehen sein. Es wird wie CCTV sein, oder wie der Home Shopping Channel oder Cops oder etwas in dieser Richtung.

Aber ist das nicht alles sehr besorgniserregend, wenn da überall Kameras sind, Überwachungskameras, Kameras, die von normalen Leuten herumgetragen werden, oder von professionellen Kamerateams und dann sind da noch die Ambient Medien, die auch überall sind. Man ist also umzingelt von Information, hauptsächlich von kommerziellen Botschaften, du bist immer unter Beobachtung. Wie denkst Du darüber?

Gary Wolf: Ja, ich denke wir sollten darüber sehr besorgt sein. Ich denke nämlich, daß das extrem bedrohlich ist und zugleich die Richtung, in die es sich entwickeln wird. Als Kommunikatoren haben wir die Aufgabe, unsere Augen weit offen zu halten, tatsächlich zu experimentieren, zu sehen, wie wir uns dabei fühlen, unsere Arbeit anderen Leuten zu zeigen und zu fragen, wie sie sich dabei fühlen, und Verantwortung dabei zu übernehmen, indem wir dabei helfen, die Entwicklung zu steuern, die Technologie zu steuern. Denn wenn wir die Verantwortung nicht übernehmen, dann bedeutet das nicht, daß die Entwicklung nicht dahingehen wird, hin zu einer Gesellschaft, einer Welt, in der Kameras allgegenwärtig sind und in der Medien allgegenwärtig sind. Wir werden uns auf jeden fall dahinbewegen. Die Frage also ist, wie schnell wir herausfinden können, was diese neuen Kommunikationsräume wirklich bedeuten. Ich denke dabei zum Beispiel an das System der Autobahnen. Es gab einmal diese unglaublich hochgesteckten Erwartungen, welche Auswirkungen das Automobil und die Autobahnen auf unsere Gesellschaft haben würden. Ideen zum Beispiel, daß man ein besseres Verhältnis zur Natur haben könne, weil man weiter entfernt vom Stadtzentrum leben würde. Es gab sogar die Hoffnung, daß sich dieses andere Naturverständnis auch positiv auf unser Demokratieverständnis auswirken würde. Und wie wir gesehen haben, hat uns das Autobahnsystem fürchterlich enttäuscht. Es hat eine Situation der Verschmutzung, der Verstopfung, der sozialen Isolation geschaffen. ich frage mich, ob besseres Nachdenken ganz am Anfang und auch ein besseres Design in der Frühphase geholfen hätten, das Autobahnsystem in etwas zu verwandeln, mit dem wir heute besser leben könnten. Ich habe sogar heute die Hoffnung für das Autobahnsystem nicht ganz aufgegeben. Vielleicht werden sich nicht alle dieser frühen utopischen Hoffnungen als komplett falsch herausstellen. Sie haben ja damals sehr tief nachgedacht und vielleicht ist es nicht die Frage, wie gut ihr Denken war, sondern mehr eine Frage der kommerziellen Kräfte, die so mächtig waren, daß sie dieses Phänomen in eine bestimmte Richtung treiben konnten. Ich nehme an wir werden das gleiche in unserem Industriezweig erleben. Die Kommerziellen Kräfte werden wahrscheinlich die Ambient Medien in eine Richtung drängen, bei der der möglichst größte Suchtcharakter für die Anwender gegeben ist, so daß sie möglichst viel konsumieren.

Mir erscheint, daß man mit dieser Art von Medium auf sehr subtile Art redaktionelle Inhalte mit Werbebotschaften mischen kann, so daß es eigentlich überhaupt keine klaren Abgrenzungen mehr gibt.

Gary Wolf: Ja, und ich denke, daß das auch sehr nah verwandt mit dem ist, was wir in unserer physischen Umwelt beobachten können, wobei die kommerziellen Kommunikationsformen immer mehr Einfluß auf die gebaute Wirklichkeit ausüben, so wie z.B. Disney auf Teile des Times Square Einfluß genommen hat, oder wie Nike durch sein Verkaufsgebäude wirbt, das "Nike Town" genannt wird. Die kommerziellen Interessen werden durch die tatsächlichen Strukturen der Kommunikation zu uns sprechen, ebenso wie durch die realen Räume, ebenso wie durch klar als Werbung demarkierte Botschaften und diese ganze Mischung ist noch ein völlig unerforschtes Gebiet. Bedeuten die konsumeristischen Phantasien, die uns über diese Kanäle verkauft werden, eine Gefahr für uns? Ja, absolut, sie werden sehr gefährlich sein. Das wird der soziale Raum der Zukunft sein.