Iran und der Westen: Atombombe gegen wertebasierte Außenpolitik

Chorramschahr-Rakete auf einer Militär-Parade, September 2019. Archiv-Bild: Hossein Mersadi, Fars Media Corporation. Lizenz: CC BY 4.0

Iranische Atomwissenschaftler haben nun Uran bis auf 84 Prozent angereichert und stellen die westliche Politik damit auf eine harte Probe. Die Diplomatie steht mit dem Rücken zur Wand.

Die Augen des Westens richten sich auf die Proteste und die Todesurteile im Iran: Nun soll auch ein deutscher Staatsbürger iranischer Herkunft am Galgen enden. Keine Gespräche, harte Sanktionen, möglichst umfassende Isolation lautet die Herangehensweise der westlichen Regierungen.

Doch dass die Dinge so einfach nicht sind, wurde in der vergangenen Woche in einem Interview des US-Fernsehsenders CBS mit CIA-Direktor William Burns deutlich: Er gehe zwar nicht davon aus, dass die iranische Führung um Ajatollah Ali Khamenei bereits die Entscheidung getroffen habe, Uran bis auf einen waffenfähigen Grad anzureichern.

Aber bei der CIA sei man sicher, dass die iranischen Atom-Experten die Möglichkeit hätten, dies innerhalb von Wochen zu tun. Kurz zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Diplomaten berichtet, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) habe im Iran Uran mit einem Reinheitsgrad von 84 Prozent gefunden.

Für die Waffenfähigkeit werden 90 Prozent benötigt. Schon zuvor war bekannt gewesen, dass in den iranischen Atomanlagen Uran auf 60 Prozent angereichert wurde – einen Reinheitsgrad, für den es nach Auskunft der IAEA keine denkbare zivile Anwendungsmöglichkeit gibt.

Das Druckmittel

Der Grad der Anreicherung: Bislang stand er vor allem im Mittelpunkt des Hin und Hers zwischen der Führung in Teheran und den Verhandlungspartnern im Westen. Im Mai 2018 hatte der damalige US-Präsident das Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufgekündigt und neue Sanktionen verhängt; er wolle ein besseres Abkommen aushandeln, hatte Trump damals vollmundig erklärt. In seinem Umfeld sinnierte derweil Trumps kurzzeitiger Sicherheitsberater John Bolton über einen Regimewechsel im Iran.

Nun wurde das Abkommen mit dem leicht sperrigen Namen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) 2015 nicht von den USA allein ausgehandelt: Auch Deutschland, China, Russland, Frankreich und Großbritannien sowie die Europäische Union hatten mit unterschrieben. Doch die Versuche, einfach ohne die USA weiterzumachen, scheiterten: Unternehmen zogen sich reihenweise aus dem Iran zurück, aus Sorge, die Geschäfte in den USA zu gefährden.

Und der Anreicherungsgrad wurde für die iranische Führung zum Druckmittel, mit dem man versuchte, die Gesprächspartner zurück an den Tisch zu zwingen, um ihnen dort möglichst viele Zugeständnisse abzuringen.

Warum es so schwer ist, den Verhandlungsraum zu verlassen

Diese Gespräche gingen übrigens auch dann noch weiter, als im Iran die Protestwelle ausbrach, Hunderte erschossen, Dutzende zum Tode verurteilt worden waren. Vielerorts wurde ein Ende der Verhandlungen verlangt; besonders schwierig wurde die Situation für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die sich bei ihrem Amtsantritt auf die Fahne geschrieben hatte, eine "feministische Außenpolitik" betreiben zu wollen.

Nach Beginn der Proteste warfen ihr viele Medien dann vor, die Atomverhandlungen würden sie von einer klaren Antwort auf die Proteste abhalten. Am Rande des G7-Gipfels in München sagte Baerbock:

Es gibt ja auch einige, die sagen, dann soll man sagen, das Ganze ist gescheitert. Aber wenn man das in der Diplomatie sagt, dann bedeutet das ja, man nimmt es jetzt hin, dass es eine weitere Anreicherung geben wird.

Der Iran, das Regime wird nicht besser dadurch, wenn sie eine Atomwaffe haben. Sondern es wird nur noch schlimmer werden für die regionale Sicherheit und auch für die Menschen im Iran.

Annalena Baerbock

Warum es so schwer ist, einfach hinzuschmeißen, aus dem Verhandlungsraum zu rennen und einfach noch schärfere Sanktionen zu verhängen, zeigt ein Blick auf die politischen, strategischen und wirtschaftlichen Landkarten.

In Europa und Nordamerika besteht sowohl in der Politik als auch den Medien die Neigung, sich selbst für den Nabel der Welt zu halten und die Positionen der Regierungen, deren Länder anderswo in der Welt liegen, unter "irrelevant" abzuheften.

Tatsächlich aber wird dort über Erfolg und Misserfolg einer bestimmten Vorgehensweise entschieden. Sanktionen, an denen sich ein Großteil der Welt nicht beteiligt, laufen zwangsläufig ins Leere.

China, Saudi-Arabien und Iran

Und genau das ist in der Causa Iran der Fall: Zwar setzen die US-Beschränkungen der dortigen Wirtschaft massiv zu; die Währung verliert stetig an Wert. Doch China investiert weiter. Mitte Februar empfing der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Peking.

2021 hatten beide Regierungen ein Kooperationsabkommen unterzeichnet. Gesprochen wurde nun über konkrete Projekte, die in China Teil der Strategie sind, international an Einfluss zu gewinnen. Und es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Xi Jinping versucht, die chinesische Präsenz im Nahen und Mittleren Osten auszubauen.

Im Dezember war er in Saudi-Arabien zu Gast, hatte dort zusammen mit den Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates eine Erklärung unterzeichnet, in der zu Verhandlungen über drei Inseln im Persischen Golf aufgerufen wird, die sowohl vom Iran als auch von den Vereinigten Arabischen Emiraten beansprucht werden.

Die iranische Regierung bestellte daraufhin zwar den chinesischen Botschafter ein. Doch der Besuch in Peking zeigt, dass die Verstimmung der freundschaftlichen Atmosphäre nichts anhaben konnte: Raisi durfte gar einen Gastbeitrag in der chinesischen Volkszeitung veröffentlichen, in der er die gemeinsame Ablehnung beider Länder einer durch die USA dominierten Weltordnung beschwor.